Mit Gülle beschäftigen sich die wenigsten gerne. Bei Helmut Döhler ist das anders. Der 59-jährige Agraringenieur aus Untermerzbach hat in den vergangenen Jahren viele Gedanken um das tierische Abfallprodukt kreisen lassen. Ungeniert nimmt er Gülle sogar in die Hand. Für ihn ist das nichts Ekelhaftes. Denn was er in der Hand hält, ist weder schmierig oder flüssig noch stinkt es. Es sind kleine Pellets, die aussehen wie diejenigen, die in Öfen verfeuert werden, sie sind nur dunkler. Seine Pellets bestehen nicht aus gepresstem Holz, sondern aus dem, was übrig bleibt, wenn Döhler mit der Gülle fertig ist.
Diese Pellets sind quasi das Konzentrat des Besten, was Gülle zu bieten hat. Denn Gülle hat ihrem üblen Gestank zum Trotz viel Wertvolles zu bieten. Sie ist ein hochwertiger organischer und mineralischer Dünger und – richtig dosiert – ein wichtiger Bestandteil des Nähstoffkreislaufs einer Region.
Doch Gülle gibt es vielerorts in Hülle und Fülle. Döhler zeigt am Bildschirm seines Rechners eine Deutschlandkarte, die aussieht, als ob sie Scharlach hätte. Rote Flecken markieren Gegenden mit Gülle-Überfluss – dort fällt mehr Gülle an, als die Böden in der Region eigentlich aufnehmen können. Die Böden drohen dort überdüngt zu werden, Stoffe – vor allem Nitrat – können dann in zu großer Menge ins Grundwasser gelangen. Vor allem in Nordwestdeutschland, Sachsen-Anhalt, aber auch in Südbayern und Bereichen Mittelfrankens ist die Karte teils dunkelrot. Unterfranken dagegen ist auf der Karte weitgehend grün, dort fällt vergleichsweise wenig Gülle an.
Döhlers Interesse gilt besonders den Gülle-Problemzonen. Der Agraringenieur ist im Nachbarort Memmelsdorf aufgewachsen und arbeitete 30 Jahre im öffentlichen Dienst. Vor drei Jahren hat er mit seiner Frau Susanne ein altes Anwesen in Untermerzbach gekauft. Von dort aus arbeiten die beiden als Unternehmensberater mit dem Schwerpunkt Umweltschutz und Umwelttechnik.
Unternehmensberater
Zu ihren Kunden zählen vom Konkurs bedrohte landwirtschaftliche Betriebe ebenso, wie solche, die nach einem Plan suchen, sich fortzuentwickeln. Döhler berät auch das Bundesumweltministerium bei einem deutsch-russischen Projekt im Bereich Tierhaltung, oder erstellt Gewässerschutzkonzept für Kommunen.
Internationale Beachtung hat ein Projekt gefunden, das Döhler in der Gemeinde Pfitsch, im Oberen Wipptal in Südtirol im Auftrag der Biogas Wipptal GmbH geplant hat. Im Juli 2016 ging dort – zwölf Jahre nach der ersten Sondierung – eine Biogasanlage in Betrieb, nichts Besonderes, Standardtechnik, die aus dem aus Gülle gewonnenen Methangas Strom und Wärme erzeugt, wie der Ingenieur erklärt. Das eigentlich Interessante der Anlage steckt in einem Anbau. Dort wird seit April dieses Jahres Gülle in ihre Bestandteile, wie Stickstoff, Phosphor, Kalium, aber auch Kalzium und Magnesium, zerlegt und – vereinfacht gesagt – je nach Wunsch und Bedarf (etwa Weinbau oder Ackerfrüchte) neu zusammengesetzt, in Form konzentrierter, gepresster Dünger-Pellets, die nur noch zehn Prozent der ursprünglichen Feuchtigkeit der Gülle enthalten. „Das ist etwas Einmaliges“, sagt Döhler. Die Pellets sind geruchsfrei, gut lagerfähig und können je nach Düngemittelbedarf gezielt ausgebracht werden.
62 Landwirte machen mit
62 Landwirte aus einem Umkreis von bis zu 15 Kilometern gehören der Gesellschaft an und liefern pro Jahr etwa 70 000 Tonnen Rindergülle und Mist. Rund 33 000 Tonnen Gülle werden, nachdem sie die Biogasanlage durchlaufen haben, an die Bauern zurückgegeben, die sie wie bisher auf ihren Wiesen ausbringen – mit dem Vorteil, dass die Gülle nach ihrem Durchlauf durch die Biogasanlage als Gärrest ein wertvollerer Dünger ist, weil Pflanzen die darin enthaltenen Nährstoffe leichter aufnehmen. Außerdem stinkt die Gülle dann nicht mehr – sie hat dann einen nicht unangenehmen Geruch.
Weitere 33 000 Tonnen Gülle landen in der Aufbereitungsanlage, die feste und flüssige Bestandteile trennt. Die schlammartige Substanz wird durch eine Membran gedrückt, wobei zwei Drittel (circa 17 000 Liter) des flüssigen Anteils als geklärtes Wasser in einen Fluss fließen. Aus dem restlichen, getrockneten Schlammkonzentrat entstehen etwa 2000 bis 3000 Tonnen Dünger-Pellets pro Jahr, die verkauft werden, wie Döhler berichtet.
Anfrage selbst aus China
Er hat die Anlage auf mehreren internationalen Veranstaltungen vorgestellt. Die Resonanz in der Fachpresse war gut. Eine Anfrage kam selbst aus China, sagt er. Dennoch glaubt er nicht unbedingt, dass die in Südtirol verwirklichte Anlage hierzulande eins zu eins kopiert werden könnte. Das liegt unter anderem daran, dass die Vergütung des gewonnenen Stroms in Südtirol höher ist als in Deutschland.
Doch grundsätzlich funktioniert die Anlage zur Herstellung der Dünger-Pellets auch unabhängig von einer Biogasanlage, oder kann an eine bestehende Biogasanlage angeschlossen werden. Allein das Abscheiden des Wassers reduziere die auszubringende Güllemenge so erheblich und spare Landwirten, die nicht mehr wissen, wohin mit ihrer Gülle, Geld, Zeit und womöglich weite Transportwege.
Phosphor herausfiltern
Ob sich eine solche Anlage rechnet, lässt sich nur im Einzelfall bestimmen. Das hängt von vielen Faktoren ab, etwa den Rohstoffpreisen. So kann die Anlage beispielsweise reinen Phosphor, der in Schweine- und Hühnergülle in größeren Mengen enthalten ist, als in Rindergülle, herausfiltern. Sollte sich Phosphor einmal verknappen, könnte sich die Gülleaufbereitung auf einmal, wirtschaftlich betrachtet, auch für Betriebe rentieren, für die es aktuell ein Verlustgeschäft wäre.
Döhler möchte seine Anlage nicht als Ausweg missverstanden sehen, um Viehbestände in einer Region über ein vertretbares Maß hinaus zu steigern, nur weil die Gülleentsorgung damit zu lösen wäre. Idealerweise, meint er, halte ein Bauer immer nur so viel Vieh, wie er Gülle auch auf seinen Flächen verwerten kann. Er verfolgt den Ansatz eines regionalen Nährstoffmanagements: Die Gülle sollte als Dünger dort ausgebracht werden, wo die enthaltenen Nährstoffe auch herstammen.
Bei dem Projekt in Südtirol funktioniert dies, da die Dünger-Pellets beispielsweise im dortigen Wein- und Obstbau eingesetzt werden. Nutznießer sind aber auch Einheimische und Touristen, da stinkende Güllelachen auf Feldern direkt neben Wellnesshotels damit der Vergangenheit angehören.
Fürs Düngen mit Gülle gilt eine Verordnung
Seit 2. Juni 2017 gilt eine neue Düngeverordnung, wie Heinz-Dieter Hofmann, Pflanzenbau-Berater des Amts für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten (AELF) Schweinfurt erklärt. Diese besagt: Nach der Ernte der Hauptfrucht darf auf Ackerflächen ab dem Spätsommer und im Herbst kein Dünger, also auch keine Gülle mehr ausgebracht werden.
Es gibt jedoch eine Ausnahme: Wenn ein Feld gleich nach der Ernte mit Raps, einer Zwischenfrucht, etwa Senf, oder Wintergerste (Vorfrucht muss ein Getreide gewesen sein) neu eingesät wird, darf dort bis 30. September stickstoffhaltiger Dünger (maximal 60 Kilogramm Stickstoff pro Hektar) ausgebracht werden. Von Anfang Oktober bis Ende Januar gilt dann jedoch ein generelles Düngeverbot.
Für Grünland gelten laut Hofmann andere Vorgaben. Dort reicht das Düngeverbot vom 1. November bis 31. Januar. Aber auch hier sind Sonderregeln möglich, die mindestens für einen kompletten Landkreis gelten müssen. So darf aktuell in ganz Unterfranken wegen des feuchten Herbestes noch bis 15. November gedüngt werden. Das dreimonatige Verbot verschiebt sich folglich und gilt bis 14. Februar.
Herbert Lang, Leiter des AELF Schweinfurt, sieht in Unterfranken keine drängenden Probleme, dass Viehhalter ihre Gülle nicht losbringen, auch wenn es für manche Betriebe eine Herausforderung darstelle, während des Düngeverbots im Winter genügend Lagekapazität vorzuhalten. Auch unpassende Witterung erschwere es, die Gülle richtig auszubringen. Der Grund, warum in Unterfranken weniger Gülle anfällt, als in anderen Regionen, liegt schlichtweg am geringen Tierbestand. Unterfranken ist mit weniger als einer Kuh pro Hektar laut Lang das Schlusslicht in Bayern. Text: mim