Freitagmorgen, Ende September, kurz vor 8 Uhr: Tim Kabus, Lehrer an der Wallburg-Realschule Eltmann, kontrolliert in den beiden Wahllokalen der Schule noch einmal, ob alles passt. An diesem Tag findet dort – im Musikraum und im Mehrzweckraum – die U18-Landtagswahl statt. Sie ist eine Wahlsimulation für alle, die noch nicht wählen dürfen. Koordiniert wird sie vom bayerischen Jugendring.
Wie in einem regulären Wahllokal stehen in den beiden Räumen einige Tische mit Wahlkabinen und auch je eine Urne für die Stimmzettel – es wirkt authentisch. Kein Wunder, wie Kabus erklärt: "Die Wahlkabinen und die Urnen sind echt, sie sind von der Stadt Eltmann."
Die Wallburg-Realschule macht zum ersten Mal mit
Der 34-Jährige unterrichtet normalerweise die Fächer Englisch, Geschichte, IT, Politik und Gesellschaft, kümmert sich an diesem Tag aber um die U18-Wahl. Laut Kreisjugendring (KJR) wird sie immer neun Tage vor dem offiziellen Wahltermin abgehalten. In diesem Jahr findet sie zum ersten Mal an der Wallburg-Realschule statt.
Alle 598 Schülerinnen und Schüler dürfen wählen – von der fünften bis zur zehnten Klasse. Jedes Kind hat zwei Stimmen. Eine für einen Direktkandidaten, die andere für eine Partei. In den vergangenen Tagen sind die Schulkinder den Wahl-O-Mat durchgegangen und haben etwas über die verschiedenen Parteien gelernt, die zur Wahl stehen, informiert Kabus. Was nicht besprochen wurde: der Inhalt der Wahlprogramme. "Dafür fehlt im Schulalltag einfach die Zeit."
Unterstützt wird Kabus am Wahlvormittag nicht nur von einigen Schülern seiner Klasse, der 7a, sondern auch vom KJR Haßberge. Im Mehrzweckraum schaut Theresa Fleischmann nach dem Rechten. Die 29-Jährige ist normalerweise in der kommunalen Jugendarbeit tätig, unterstützt an diesem Tag aber den KJR. Sie steht den Schülerinnen und Schülern bei Fragen zur Seite.
Jeder hat die Chance zu wählen
Kabus wechselt zwischen den beiden Räumen hin und her, sieht dort nach, ob alles ohne Probleme klappt. Jede Klasse hat 15 Minuten Zeit, um zu wählen. Bevor die Schülerinnen und Schüler die Stimmzettel von den fleißigen Helfern der 7a in die Hand gedrückt bekommen, wird kontrolliert, wer alles anwesend ist. Jeder soll die Chance bekommen zu wählen. Die Wahl ist jedoch kein Muss – kein Kind, kein Jugendlicher wird dazu gezwungen.
Der 13-jährige Nathan aus der 7a hat gewählt. Er findet die Wahl gut. "Ich will schon wählen. Aber, ohne dass es zählt." Nathan ist froh, dass er noch einige Jahre Zeit hat, bis seine Stimme "wirklich zählt", erklärt er. Ähnlich wie ihm geht es auch einigen anderen Kindern.
Nicht alle Kinder interessieren sich für die Wahl
Die fünften und sechsten Klassen sind teils sehr interessiert, berichtet Kabus. Manche Kinder spielen die Wahl im Vorfeld schon zusammen mit ihren Eltern durch, erklärt er. In der achten und neunten Klasse lasse das Interesse dann wieder nach. Die Schülerinnen und Schüler der letzten Jahrgangsstufe seien dann wieder deutlich neugieriger. Und das hat seinen Grund: "In zwei Jahren ist Bundestagswahl, da sind einige von ihnen dann schon 18 Jahre alt und dürfen wählen", erklärt der Lehrer.
Die allermeisten der Schülerinnen und Schüler geben an diesem Tag ihre Stimme ab – aber nicht alle. In einer Klasse entscheiden sich sieben Kinder gegen den Gang zur Urne. Zwei weitere sind an diesem Tag krank. Die Wahlbeteiligung der Klasse liegt bei 66 Prozent. "Es gibt auch Erwachsene, die nicht wählen. Trotzdem ist es schade, weil wir versucht haben zu vermitteln, dass Wählen wichtig ist", sagt Kabus. Für ihn ist die U18-Wahl eine Herzensangelegenheit.
Er findet sie wichtig, gerade was die politische Bildung der Kinder angeht, erklärt er. Denn die lasse an den bayerischen Realschulen zu wünschen übrig: "Die Kinder haben zehn Jahre lang Religionsunterricht, aber nur ein Jahr das Fach Politik und Gesellschaft." Und zwar erst in der zehnten Klasse.
Die Schulkinder werfen ihre Stimmzettel nacheinander in die hölzerne Box. Klasse um Klasse, Stunde um Stunde, füllt sich die Wahlurne. Wer mag, bekommt ein Bändchen und auch noch einen blauen "U18"-Stempel auf den Handrücken.
Jeder darf nur einmal wählen
Und dann gibt es doch einige Kinder, die an diesem Tag nicht wählen dürfen. Nicht noch einmal – sie haben bereits in einem U18-Wahllokal auf der anderen Mainseite ihre Stimme abgegeben. Denn auch in Schloss Gleisenau konnten Kinder und junge Erwachsene in den vergangenen Tagen den Gang zur Urne antreten. "Hat jemand von euch schon gewählt?" Der Lehrer muss in jeder Klasse nachfragen.
Sarah und Lara, zwei aufgeweckte Mädchen aus der 6a, waren schon in Schloss Gleisenau. "Man fühlt sich ein bisschen erwachsen", sagt die elfjährige Lara und lacht. Sarah, ebenfalls elf Jahre alt, findet die U18-Wahl spannend. "Da sieht man schon früh, wie so eine Wahl funktioniert. Das ist gut zum Reinschnuppern."
Die Jungen und Mädchen nennen ganz unterschiedliche Gründe, weshalb sie sich für eine Partei oder einen Direktkandidaten entscheiden. Lena, elf Jahre alt, wünscht sich weniger Atomkraft – stattdessen mehr Windräder.
Die Politik soll an die Umwelt denken
Und ihrer Freundin Sophie, ebenfalls elf, ist es wichtig, dass die Politik auch an die Umwelt denkt – und dass es weniger Plastik gibt. "Wir leben hier, wir müssen uns an Regeln halten", ist sie überzeugt. Das fange bei der Mülltrennung an und reiche bis zu den großen Themen.
Hannah, 15 Jahre, aus der 10a, hat sich im Vorfeld die verschiedenen Wahlprogramme der Parteien durchgelesen. "Mir war schnell klar, was ich wähle", erzählt das Mädchen mit den langen roten Haaren. Und auch, welche Partei keine Stimme bekommt. Wer ausländerfeindlich und homophob auftrete, den würde sie nicht wählen, sagt Hannah. "Jeder Mensch ist gleich viel wert." Sie würde gerne schon mit 16 Jahren wählen.
Ihre Klassenkameradin Selma nicht. "Viel zu viele Jugendliche beschäftigen sich nicht mit Politik, bilden sich keine eigene Meinung. Oder sie wählen einfach das, was ihre Eltern wählen", begründet die 15-Jährige. "Dabei ist Wählen wichtig. Wenn man nicht selbst wählt, wählen andere für einen. Dann darf man auch nicht unzufrieden mit dem Ergebnis sein."
Einige Schülerinnen und Schüler der 10a wünschen sich, schon eher das Fach Politik und Gesellschaft im Unterricht zu haben. Gewählt haben sie alle. Themen wie der ÖPNV, der Klimawandel, aber auch der Rechtsruck treiben sie um, berichten sie.
Zwar ändern die Stimmen nichts an der anstehenden Landtagswahl, sagt ihre Freundin Anouk, doch ein Zeichen setzen – und die Politik damit auf Themen aufmerksam machen, für die sich die Jugend interessiert – können die Kinder und Jugendlichen damit dennoch. "Die Parteien sehen ja, wie wir wählen."
Derselben Ansicht ist auch Theresa Fleischmann von der kommunalen Jugendarbeit. "Man kann nicht früh genug damit anfangen, Politik zum Thema zu machen." Die U18-Wahl helfe den Kindern nicht nur, sich zu orientieren, ist Fleischmann überzeugt. Sondern auch dabei, ihnen beizubringen, dass sie von Anfang an eine Stimme haben.
Kurz nach 11 Uhr gibt die letzte Klasse ihre Stimmzettel ab. Fleischmann und Kabus leeren die Urne. Jetzt heißt es abwarten. An diesem Montag bekommt die Wallburg-Realschule ihr Wahlergebnis. Ebenso das bayerische und das des Stimmkreises 604 (Haßberge/Rhön-Grabfeld).
In den kommenden Tagen wird dann im Unterricht besprochen, wie Schülerinnen und Schüler die Wahl fanden und auch wie diese ausgegangen ist, sagt Kabus. Welche Partei und welcher Direktkandidat ist am häufigsten gewählt worden? Weshalb haben sich die Kinder dafür entschieden? Und auch: Warum haben einige der Kinder nicht wählen wollen? Damit künftig vielleicht ein paar Kinder mehr ihre Stimme nutzen.
Anmerkung der Redaktion: Aus Datenschutzgründen veröffentlichen wir nicht, welche Parteien und Direktkandidaten die Schülerinnen und Schüler gewählt haben.