
Freitag, 28. Juni, 8 Uhr morgens. Ein unerwarteter Gast sitzt im Garten, auf dem Kopf einer steinernen Schleiereule, den Blick nach vorn gerichtet. Es ist ein junger Turmfalke, der hier scheinbar in aller Ruhe der Dinge harrt, die da kommen. Schweigsam schaut er sich um, dreht sich auf der Stelle. Erblickt eine vorüber schleichende Katze, streckt sich, so dass der ganze Körper schmaler erscheint, doch die Wandernde zeigt kein Interesse an dem Zugeflogenen. Zuweilen öffnet der Falke seinen Schnabel, kein Laut ist zu vernehmen.
Das Fliegen klappt noch nicht so recht
Drei Stunden später: der Jungvogel wird unruhig, breitet seine Flügel aus, bleibt dennoch zunächst seinem Standort treu. Plötzlich Abflug. Weit kommt er nicht, landet auf einem nahegelegenen Hibiskuszweig, der sich durch das Gewicht hin und her wiegt. Eine offensichtlich unerwünschte Bewegung, der Unerfahrene krabbelt in stabilere Regionen, verharrt wiederum. Bis er sich, nach einer weiteren Stunde, entschließt, seinen Ausflug fortzusetzen. Unbeholfen fliegt er auf den Gartentisch, weiter auf den Stuhl, und landet auf dem Boden. Krabbelt in eine Ecke.
Wir beobachteten das Geschehen nicht ohne Unruhe: vor nunmehr dreißig Jahren hatte der Vogelkundler Toni Schenk aus Haßfurt hinter einer Öffnung am Hausdachgiebel einen Vogelkasten installiert, der auch umgehend als Nest angenommen wurde. Zunächst von der Schleiereule, dann von Turmfalken. Doch solch ein Jungvogelverhalten haben wir noch nicht erlebt: Lautlos sitzt er da, von nichts und niemandem scheint er sich ernsthaft aus der Ruhe bringen zu lassen.

Ist er Vollwaise? Oder krank? Oder einfach zu früh dem Nest entronnen? Wir sind in Sorge, suchen Rat. Das Tierheim verweist uns an die Greifvogelpflegestation Stettfeld. Wir stoßen auf Juliana Neumayer, die uns aufklärt:
Das Tier befindet sich in der "Bettelflugphase"
Zwei Fragen, eine Antwort: Ist das Gefieder vollständig entwickelt? Macht er einen gesunden Eindruck? Dann braucht der Jungvogel keine künstliche Aufzucht, die Eltern hätten alles im Griff. Wenn die Kleinen zirke 35 Tage alt sind, verlassen sie das Nest und beginnen ihre Flugübungen. All dies geschieht unter den wachsamen Augen von Mutter und Vater, welche ihre Jungen auch dort füttern, wo sie sich gerade aufhalten. "Bettelflugphase" nennt sich dieser Entwicklungsschritt. Ein äußerst gefahrvoller Lebensabschnitt: Die Katze sei ein Freßfeind von ihm, weiterhin der Marder. Auch der Autoverkehr kann ihm leicht zum Verhängnis werden.

Wir sollen Handschuhe anziehen, und ihn behutsam auf ein höheres Geäst setzen. Und ihn danach gänzlich in Ruhe lassen. Denn die Eltern griffen nur dann in das Geschehen ein, wenn sie keinerlei Gefahr witterten, was durch unsere Präsenz nicht gegeben sei. Gesagt, getan. Wir setzen ihn in den alten Kirschbaum, wo er eine gemütliche Position einnimmt. Als wir vier Stunden später vorsichtig schauen, ist der junge Falke verschwunden.
Katze, Marder und Auto als Feinde
Am Morgen danach kehrt er zurück: Erheblich flugsicherer und bewegungsfreudiger landet er auf dem Korb mit den Wäscheklammern, ein für ihn augenscheinlich wenig attraktiver Standort. Weiter geht es per Flug über das Hoftor, entlang der Mauer des Nachbarhauses, es folgt eine fußläufige Straßenüberquerung. Ein ankommender Autofahrer bremste aufmerksam ab und machte einen großen Bogen um den Jungvogel.

Unsere Wege trennen sich, wir haben dazugelernt: Jungvögel sind nicht automatisch verwaist, wenn sie am Boden herumkauern. Es sei ein großer Fehler, solche hilflos erscheinende Wesen ungefragt zum Tierheim zu bringen oder eine eigenmächtige Aufzuchtsaktion zu starten, erklärt
Expertin Juliana Neumeier. Denn trotz aller Widrigkeiten seien deren Überlebenschancen am größten, wenn sie in der Obhut ihrer Eltern bleiben.
Kontakt zu Experten: Wer unsicher ist, kann bei der Greifvogelstation nachfragen: www.greifvogelstation-stettfeld.de. Dort wird der Weg für das weitere Vorgehen besprochen.