Eine bundesweite Razzia gegen randalierende und prügelnde Fußball-Fans hat Ermittler aus dem Ruhrgebiet am Mittwoch auch zu mutmaßlichen Hooligans in Unterfranken geführt: Polizisten suchten gezielt nach 49 mutmaßlichen Schlägern, die Fußballspiele in Bochum nur als Deckmäntelchen benutzt hatten, um sich mit rivalisierenden Fangruppen oder der Polizei zu prügeln – und die neue Treffen gezielt vorbereiten wollten.
Elf von 49 Verdächtigen aus Bayern – zwei aus Unterfranken
Elf der ins Visier genommenen Verdächtigen kommen aus Bayern. Das bestätigt auf unsere Anfrage der Bochumer Polizeisprecher Jens Artschwager. Zwei Durchsuchungen waren in Volkach (Lkr. Kitzingen) sowie Theres (Lkr. Hassberge), eine in Augsburg, weitere in München und Umgebung.
Beschlagnahmt wurden nach Polizeiangaben Smartphones, Tablets und tatrelevante Dokumente, aber auch Gegenstände, die nicht gerade szenetypisch für echte Fußballfans sind: Messer, Baseballschläger sowie etliche "Passivbewaffnung". Damit sind zum Beispiel Beißschienen gemeint, wie sie Boxer beim Wettkampf tragen, um ihr Gebiss zu schützen, Protektoren zum Schutz der Genitalien und andere Gegenstände. Auch Pyrotechnik und Betäubungsmittel wurden beschlagnahmt.
Haben sich gewaltbereite Fans per Handy verabredet?
Polizei und Staatsanwaltschaft wollten damit – dreieinhalb Wochen vor dem Bundesliga-Rückspiel des VfL Bochum gegen Borussia Dortmund – ein Zeichen setzen, um Szenen wie nach dem Hinspiel am 11. Dezember 2021 zu verhindern. Damals hatten sich nach dem 1:1 des VfL gegen den BVB rund 300 Personen gegen 21 Uhr an einem Stausee getroffen. Per Handy sollen sich zuvor verabredet haben, möglicherweise schon vor dem Spiel.
Dort gingen sie gewaltsam aufeinander los. Bereits bei der Aufstiegsfeier des VfL Bochum im Frühjahr 2021 hatte es vor dem Stadion brutale Angriffe (auch von auswärtigen Fans) mit Pyrotechnik, Flaschenwürfen und Faustschlägen gegen Polizisten gegeben. Dies hatte auch Teilnehmer aus Bayern vor das Amtsgericht Bochum gebracht.
Durchsuchungen in sechs Bundesländern
Von einem "Schulterschluss gegen Gewaltkriminalität" spricht jetzt die Staatsanwaltschaft. Am frühen Mittwochmorgen um 6 Uhr setzten Polizeikräfte einen Durchsuchungsbeschluss des Bochumer Amtsgerichts durch und durchsuchten 49 Wohnungen in Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg, Bayern, Schleswig-Holstein und Hamburg.
Der Bochumer Oberstaatsanwalt Andreas Bachmann erklärte: Einige Beschuldigte seien bereits wegen früherer Gewaltdelikte verurteilt worden. Nach der Durchsuchung wurden 39 Beschuldigte polizeilich vernommen und erkennungsdienstlich behandelt: Dazu zählen neben persönlichen Daten auch biometrischen Aufnahmen und Fingerabdrücke.
Unter den Schlägern hatten Ermittler auch zwei Verdächtige aus Unterfranken ausgemacht, die weder Fans des VfL Bochum noch von Borussia Dortmund sein sollen. Bekannt ist zwar, dass es eine Fanfreundschaft zwischen Anhängern des VfL Bochum und Bayern München gibt. Aber "nicht alle jetzt Verdächtigen sind genau einem Verein zuzuordnen", sagt Polizeisprecher Artschwager.
Die Kripo wertet jetzt alle Handys, Computer und sichergestellten Sachmittel aus. "Wir versprechen uns davon auch Erkenntnisse für anstehende Begegnungen", sagt der Staatsanwalt. "Gibt es vielleicht weitere Absprachen?"
Würzburger Fanforscher Lange: Hooligan-Szene entwickelt sich ins politische Spektrum
Die Aussagen decken sich mit Erkenntnissen des Würzburger Fanforschers Harald Lange. Der Mythos aus den 90-er Jahren, als man sich auf die "dritte Halbzeit" zum Schlägern nach dem Spiel freute, sei Vergangenheit, sagt der Sportwissenschaftler von der Universität Würzburg. Professor Lange beobachtet einen erkennbaren Wandel der Hooligan-Szene – weg vom Fußball, hinein in den politischen Bereich und bis in die Querdenker-Bewegung.
In den Stadien sei die Akzeptanz der Hooligans bei den Fußball-Fans seit Beginn der 2000-er Jahre stark gesunken. Da hätten "die Fanprojekte des DFB sehr gute Arbeit" geleistet und Stadionverbote Wirkung gezeigt. Schon bei Gewaltausbrüchen während der Europameisterschaft 2016 hatte Lange beobachtet: "Diese ganze Bewegung hat sich neu formiert".
Es gebe kaum Daten über ihre genaue soziale Herkunft, hatte er damals in einem Interview gesagt. "Aber es darf davon ausgegangen werden, dass das junge Menschen sind, die ganz gut dastehen im Alltag und nur des Prügelns wegen verreisen und solche Großereignisse nutzen, um auf Gleichgesinnte zu treffen."