Es ist ein Teil deutscher Olympia-Geschichte: 1972 durchquert das Olympische Feuer auf dem Weg vom Austragungsort München nach Kiel, wo die Segelwettbewerbe stattfinden, die Bundesrepublik. Zahlreiche Läufer, Radfahrer und auch Reiter bringen die Flamme in einem Fackellauf von Süd nach Nord. Am 26. August 1972 kommt das Olympische Feuer dabei auch durch den frisch gegründeten Landkreis Haßberge. An insgesamt 26 Stationen macht es hier kurz Halt, um an den nächsten Fackelträger übergeben zu werden. Acht Zeitzeugen erinnern sich, stellvertretend für viele Weitere, an ihren besonderen Auftrag von damals und an ihr Sportlerleben:
Gerd Laubmeister (82 Jahre)
Streckenabschnitt: Bahnschranke Eltmann/Ebelsbach bis Dorfbrunnen Steinbach
"Ich war Spielführer bei Rapid Ebelsbach und anfangs einer von drei Leichtathleten im Verein, deswegen wurde ich für den Fackellauf ausgewählt. Begleitet haben mich Dieter Jung und der spätere Ebelsbacher Bürgermeister Walter Ziegler. Vom Verein aus waren am Abend vorher alle auf der Kegelbahn und haben fast durchgemacht. Ich habe mich aber zurückgehalten. (lacht) Der Fackellauf war ein Ereignis – und dass die Strecke ausgerechnet bei uns vorbeiführt. Man hat gewusst, dass das so schnell nicht wiederkommt. Meine Fackel hat heute einen Platz im Vereinsheim, eine Erinnerung für die Ewigkeit. Im Wohnzimmer bei uns hängt ein Bild von mir und meinen Begleitläufern. Die Enkel haben irgendwann einmal gesagt: 'Opa, das bist doch du.' Dann habe ich ihnen erzählt, was wir da damals gemacht haben."
Karl Rüttinger (69 Jahre)
Streckenabschnitt: Dorfbrunnen Steinbach bis Weingut Berninger Ziegelanger
"Das Olympische Feuer ist bei uns in Steinbach früh morgens gegen halb fünf angekommen. Ich habe es von Gerd Laubmeister, dem Ebelsbacher Läufer, am Dorfbrunnen übernommen, dann ging es weiter in Richtung Ziegelanger. Den alten Dorfbrunnen gibt es heute gar nicht mehr. Er war damals festlich geschmückt anlässlich des Fackellaufs. Ich war zu der Zeit als Stürmer bei den Sportfreunden Steinbach aktiv. Wir waren gerade Jugendmeister geworden und hatten damit für den Verein die erste Meisterschaft eingefahren. Der Vereinsvorstand kam wegen des Fackellaufs auf mich zu. Das Ganze war natürlich etwas Außergewöhnliches. Denn die Olympischen Spiele waren eigentlich etwas, das man nur aus dem Fernsehen kannte, auf die Dörfer ist Olympia ja normalerweise nie gekommen."
Robert Virnekäs (69 Jahre)
Begleitläufer von Karl Rüttinger
"Wir haben einen Probelauf gemacht, damit die Zeit gepasst hat. Es hatte ja jeder seine feste Zeitvorgabe, und das Ganze war dann auch ruckzuck wieder rum. So etwas wie den Fackellauf gab es bei uns kein zweites Mal. Schon gar nicht in der Größenordnung. Auf den Dörfern gab es ja damals im Grunde auch nur Fußball. Heute hätte man wahrscheinlich ein großes Fest daraus gemacht. Aber es war ja ganz früh, was allerdings auch sein Flair hatte, weil es noch dunkel war. Wir Begleitläufer haben damals als Anerkennung eine kleine Fackel im Stil der Großen bekommen, die man als Feuerzeug verwenden konnte."
Otto Kremer (73 Jahre)
Streckenabschnitt: Weingut Berninger Ziegelanger bis Kriegerdenkmal Ziegelanger
"Ich lebe inzwischen in Königsberg, bin aber gebürtig aus Ziegelanger, wo ich lange Fußball gespielt habe. Mit 17 Jahren bin ich dort für die erste Mannschaft aufgelaufen. Dass ich als Läufer für den Fackellauf ausgewählt wurde, war auch ein Dankeschön des Vorsitzenden – dafür, dass ich dem Verein treu geblieben bin. Am 30. Juli fand damals ein Probelauf statt, einen Tag nach meinem Geburtstag war das, etwa früh um fünf. (lacht) Offizielle sind im Auto neben uns hergefahren und haben die Zeit gestoppt, so konnten sie berechnen, wie lange das Feuer nach Kiel braucht. Ein gewisses Konditionsquantum musste man schon haben, um die festgelegte Zeit einzuhalten. Begleitet wurde ich von Sportlern des FSV Viktoria Krum – Robert Berthold und Gerhard Herlein. Abgelichtet hat uns Hannelore Böttcher aus Ziegelanger. Der Fackellauf war ein einmaliges Erlebnis in meiner Amateurlaufbahn. Besonders die Ankunft am Kriegerdenkmal ist mir in Erinnerung geblieben. Dort hatten sich etliche Leute versammelt."
Franz Trapp (72 Jahre)
Streckenabschnitt: Autohaus Stadteingang Haßfurt bis Marktplatz Haßfurt
"Ich habe das Olympische Feuer zusammen mit meinen Begleitläufern, Josef Jäger und Josef 'Sepper' Hornung, über die Zeiler Straße stadteinwärts getragen, durch das Obere Tor bis zum Marktplatz. Dort hatte man einen großen Empfang vorbereitet. Die ganze Stadt war auf den Beinen, die Blaskapelle hat gespielt und der Bürgermeister hat eine Rede gehalten. Ich war stolz, dass ich das Feuer tragen durfte. Beinahe hätte ich es auch zu den Olympischen Spielen geschafft. Bis 1972 war ich im sogenannten A-Kader. Die Olympia-Norm für die 1500 Meter lag bei 3:42 Minuten. Drei Sekunden haben mir am Ende gefehlt. Ein Muskelbündelriss im Vorjahr hatte mich zurückgeworfen. Zuvor war ich über die 1500 Meter unter anderem Deutscher A-Jugendmeister, Siebter in der Europäischen Juniorenrangliste und Erster beim Juniorenländerkampf zwischen Deutschland und Großbritannien 1969. Da waren viele dabei, die später bei Olympia waren. Es war nicht leicht damals, ich war auf mich allein gestellt, hatte keinen Trainer und bin zu Wettkämpfen und Trainingslagern oft lange Strecken mit dem Zug gefahren, und das alles parallel zur Schule. 1972 habe ich aufgehört und dann nur noch Fußball gespielt. Bis heute versuche ich als Förder- und Sportlehrer junge Leute für den Sport zu begeistern."
Theo Pottler (69 Jahre)
Streckenabschnitt: Tankstelle Stadtende Haßfurt bis Ortseingang Wülflingen
"Das Olympische Feuer zu tragen, war eine Ehre. Ich und meine Begleitläufer, Harald Göb und Gerhard Schulze, sind die Strecke vorher einmal zusammen abgelaufen. Die beiden waren damals in der Jugend des FC Haßfurt aktiv, ich spielte das zweite Jahr für die erste Mannschaft und hatte gerade mein Abitur gemacht. Am Tag des Fackellaufs waren wir circa eine halbe Stunde vorher schon am Startpunkt und haben uns aufgewärmt. Dann ging es auch schon los, es sollte ja alles zügig vonstattengehen. Wir sind nicht gespurtet, aber das Tempo war schon anspruchsvoll. Ich bin froh, dass alles reibungslos über die Bühne gegangen ist. Die Straßen waren von vielen Schaulustigen gesäumt, die geklatscht und gewunken haben. Es war ein Mordsspektakel. Hinterher sind wir dann noch stilgerecht beim Jünglingsbäck eingekehrt zum Frühschoppen. (lacht)"
Günther Hußlein (90 Jahre)
Streckenabschnitt: Kurz hinter Wülflingen bis Nähe Bahnhof Obertheres
"Als das Olympische Feuer 1972 durch den Landkreis getragen wurde, war ich 41 Jahre alt und bin nur noch bei kleineren Wettkämpfen gelaufen. Fit war ich aber immer noch. Die Herren im Begleitfahrzeug haben zu mir gesagt: 'Schau, dass du wieder ein wenig Zeit reinholst.' Der Fackellauf war nämlich zeitlich schon im Rückstand. Laufen, laufen, laufen. Ich bin immer gelaufen und war ein erfolgreicher Marathonläufer. 1954 habe ich in Rosenheim die Bayerische Meisterschaft gewonnen. Das waren noch ganz andere Zeiten damals. Zur Deutschen Meisterschaft nach Düsseldorf zum Beispiel bin ich 1957 mit zehn Mark in der Tasche und mit dem Fahrrad gefahren. Als das Fahrrad kaputtging, war die Hälfte des Geldes schon weg, für die Reparatur. (lacht) Besonders war für mich, dass ich bei einem Wettkampf in der DDR einmal gegen Emil Zátopek, den bekannten tschechoslowakischen Langstreckenläufer, angetreten bin. Ich habe mir nur gedacht: 'Ich muss solange an seinen Fersen bleiben, wie es geht.' Am Ende war ich 15. von 500 Läufern, auch nicht schlecht."
Martin Hußlein (77 Jahre)
Streckenabschnitt: Nähe Bahnhof Obertheres bis kurz vor Untertheres
"Mein Bruder Günther hat das Olympische Feuer an mich übergeben. Die großen Erfolge meines Bruders als Marathonläufer waren es auch, die bei mir die Begeisterung für den Sport weckten. Als ich neun Jahre alt war, hat er mich zum ersten Mal zu einem seiner Läufe mitgenommen. In Nürnberg war das. Ich hatte mir dafür extra meinen Kommunionanzug und meine Lackschuhe angezogen. (lacht) Später war ich dann selbst als Mittelstrecken-Läufer aktiv. Es war eine Ehre, 1972 zu den ausgewählten Fackelträgern zu gehören. Sicherlich war es auch etwas Besonderes, dass zwei Brüder als Fackelträger sich das Olympische Feuer übergeben und ein Stück weit tragen durften. In Obertheres fand die Übergabe in der Nähe des Bahnhofs unter dem Beifall vieler Zuschauer statt. Auch die Blaskapelle spielte. Allgemein herrschte überall eine große Begeisterung in Sachen Olympia. Der damalige Vorsteher des Bahnhofs Haßfurt zum Beispiel hat für interessierte Schulklassen einen Sonderzug nach München organisiert. Ich war damals selbst Lehrer und bin mit meinen Schülern mitgefahren. Spätere Olympia-Hostessen führten uns durch das neu gebaute Olympiagelände mit seinen auch heute noch so beeindruckenden Zeltdachkonstruktionen."