Wer durch die Haßfurter Hauptstraße spaziert, soll bald ins Stolpern geraten: Ins Stolpern über die eigene Geschichte. Ein Stolpern, dem kein Sturz, sondern ein Innehalten folgen soll. Es mögen Augen und Gemüt stolpern, nicht die Füße; denn die kleinen, in den Gehsteigen eingelassenen Gedenktafeln stellen keine wirklichen physischen Hindernisse dar.
Es ist am Pfingstmontag Premiere für den Landkreis Haßberge, dass engagierte Bürgerinnen und Bürger, unterstützt von der Kommunalpolitik, Stolpersteine verlegen für Männer, Frauen und Kinder, die von den Nationalsozialisten verfolgt, vertrieben, ermordet wurden. Menschen wie du und ich, mit Namen und Gesicht, die also nicht irgendwo anonym in der Fremde lebten, sondern als Nachbarn, Bekannte, Freunde mitten unter uns. Im Falle der ersten Haßfurter Stolpersteine war das die Familie Rosenthal, die ihr Haus in der Hauptstraße 23 hatte.
Die Rosenthals: Vermutlich eine ganz normale Familie, mit den üblichen Glücksmomenten und den üblichen Alltagssorgen. Bis die Katastrophe über sie hereinbrach. Als Juden passten sie nicht ins Weltbild der Nationalsozialisten. Und ihre Nachbarn, Bekannte oder Freunde? Sie wurden vielleicht selbst verfolgt. Und wenn nicht: Dann konnten oder wollten sie nichts dagegen tun, dass die Eltern Rosenthal und drei ihrer Kinder wie Millionen andere schließlich im KZ ums Leben kamen, nur zwei Geschwister entkamen dem Holocaust. Oder, noch schlimmer: Freunde, Bekannte, Nachbarn von einst wirkten aktiv am tragischen Schicksal der Rosenthals mit.
Stolpersteine haben etwas Trauriges an sich. Sie erinnern daran, wie völlig unschuldige Menschen direkt aus unserer Mitte gerissen wurden. Wie hilflos und einsam mögen sich die Betroffenen gefühlt haben, egal ob sie Juden, Roma oder Sinti, Homosexuelle oder politisch Andersdenkende waren.
Deshalb ist es höchste Zeit, dass auch im Landkreis Haßberge Stolpersteine den Opfern des Naziterrors Namen und vielleicht Gesicht (zurück-)geben, zumal hier wie in ganz Unterfranken der Anteil der jüdischen Bevölkerung höher war als im Rest des Reiches.
Stolpersteine müssen aber auch Mahnung für die Zukunft sein: Jedem und jeder könnte es irgendwann wie den Rosenthals gehen. Ein Platz irgendwo in der Mitte der Gesellschaft ist keine Garantie auf Ewigkeit. Ein Blick auf die aktuellen Geschehnisse in der Welt zeigt, dass es schnell gehen kann, aufgrund seiner Weltanschauung, seiner politischen Überzeugung oder welcher Orientierung auch immer nicht nur Haus und Hof, sondern auch das Leben zu verlieren. Jeder Stolperstein mag ein Fingerzeig sein, dass dies wenigstens hierzulande nie mehr geschieht.
In seinem Weltkriegsgedicht "Verdun, viele Jahre später" schreibt Erich Kästner über die dortigen Schlachtfelder und ihre Toten: "Zwischen Ähren und Gelben Blumen, zwischen Unterholz und Farnen greifen Hände aus dem Boden, um die Lebenden zu warnen." Das lässt sich sinngemäß auf die Stolpersteine übertragen.