
Aus Schulfreunden werden manchmal Freunde fürs Leben. Und Freunde wollen auch mal gemeinsam verreisen. Die erste "Chaotentour" führte von Anfang September bis Mitte November 2022 über 72 Tage und rund 3200 Kilometer bis nach Marokko. Mit dem Fahrrad. Die zweite Tour sollte das noch toppen. Am 2. April 2024 ging es wieder mit den Gravelbikes los. Ziel: Istanbul in der Türkei. 3792 Kilometer und 38.000 Höhenmeter steckten in den Beinen, als sie am Tag 57 am Zielort eintrafen. Ziel zwei des Unternehmens wurde auch erreicht und übertroffen: einen Euro pro gefahrenen Kilometer für einen guten Zweck zu sammeln.
Wer sind die drei Verrückten?
Im Jahr 2020 haben sie gemeinsam am Friedrich-Rückert-Gymnasium unter erschwerten Corona-Bedingungen ihr Abitur gemacht. Elias Lutter aus Recheldorf, Leo Ruppert und Bastian Ziegler aus Ebern. Elias (22) ist Zimmermannsgeselle, Bastian Ziegler (21) schreibt gerade seine Bachelorarbeit in Angewandter Informatik, Leo (23) hat seine Ausbildung zum Schreinergesellen abgeschlossen und bewirbt sich mit guten Aussichten um einen Studienplatz für "Internationales Wald- und Ökosystemmanagement" an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung im brandenburgischen Eberswalde.
Warum sie sich selbst als Chaoten bezeichnen, liegt an der wenig professionellen Durchführung der ersten Fahrten. Eine solche Tour nach Istanbul zu organisieren und durchzuführen zeugt eher von glasklarer Planung und großem Durchhaltewillen, von Profitum. Vielleicht trägt die nächste Reise ja einen etwas seriöseren Namen?
Wohin fließt das gesammelte Geld?
Im Jahr 2000 kam Frederic Wielgloss aus Nüdlingen bei Bad Kissingen auf einer Abenteuerreise in Peru auf tragische Weise ums Leben. Beim Baden im Urumba-Fluss wurde er von der Strömung mitgerissen und ertrank. Zu seinem Gedenken gründeten seine Eltern vor über 20 Jahren die gemeinnützige Stiftung "Frederic – Hilfe für Peru", die sich bis heute auf vielfältige Weise im Urumba-Tal engagiert, indem sie Kakaobauern unterstützt, sich für ökologischen Landbau einsetzt und der lokalen Bevölkerung bei der Schulbildung und Gesundheitsfürsorge hilft.

Durch seinen Vater Peter Ruppert, 1. Vorsitzender des Trägervereins des Eberner Weltladens, erfuhr Leo von den Kakaobauern in Ivochote, zwei Bustagesreisen von Cuzco im peruanischen Andenhochland entfernt. Leo verbrachte dort zwei Monate und half unter anderem beim Aufbau einer neuen Baumschule. Dort lernte er auch die Stiftung der Familie Wielgloss kennen und konnte sich keinen besseren Empfänger für das gesammelte Geld vorstellen.

Am Ende kamen über die Internetseite gofund.me 2954 Euro zusammen, weitere 1300 Euro wurden direkt auf das Vereinskonto überwiesen. Die größte Einzelspende kam von einem Unternehmensberater aus Düsseldorf, der das Trio in der Türkei, selbst auf dem Fahrrad unterwegs, kennengelernt hatte. Er war von dem Projekt so begeistert, dass er 1000 Euro überwies.
Wie war die Reise?
"Bei der Planung waren wir von durchschnittlich 60 bis 80 Kilometern pro Tag ausgegangen", erzählt Bastian. Wegweisung gab die App Komoot, die sich im Großen und Ganzen als zuverlässig erwies und die Reisenden wie gewünscht überwiegend über Nebenstraßen, Wald- und Wiesenwege leitete, "normale" Straßen waren eher die Ausnahme. Gravelbikes sind "stabilere Rennräder" (Bastian), mit denen man auch ruppige Wege unter die Reifen nehmen kann, die aber dennoch gelegentlich an ihre Grenzen stoßen.
Eine verlorene Schraube musste durch Kabelbinder ersetzt werden, um Elias' Gepäckträger zu befestigen, in die fast unkaputtbaren Tubeless-Reifen mussten nach einiger Zeit doch wieder Schläuche eingezogen werden, um sie dicht zu bekommen. Technisch herausfordernd war auch noch, die Räder so weit zu zerlegen, dass sie in Transportkartons für den Rückflug passten.

Gegenwind und Regen, Nachttemperaturen bis zu 4 Grad stellten hohe Anforderungen an Mensch und Material. Am 18. Tag wollte man unbedingt Split in Kroatien erreichen und brachte 140,11 Kilometer auf den Tacho. Kalorienverbrauch an diesem Tag: mindestens 4500.
Wie war es mit Nahrung und Unterkunft?
Um die verbrauchten Kalorienvorräte wieder aufzufüllen, gab es eine klare Strategie. An den Tagen unterwegs wurde ein Supermarkt angefahren und eine Tagesration Nudeln, Reis oder ähnliche Grundnahrungsmittel eingekauft. Abends gab es dann Selbstgekochtes vom Gaskocher, zum Frühstück Müsli und unterwegs mussten bei Energietiefs Nussriegel aushelfen. Manchmal war Improvisieren angesagt, zum Beispiel wenn die Gaskartusche mal wieder leer war. Kulinarische Höhepunkte gab es beim Bäcker am Wegesrand. Eine leckere Spezialität aus Bosnien: Borek, Bratkartoffeln in Blätterteig.

Richtig satt essen war dann bei den wenigen Aufenthalten in Hostels und anderen festen Unterkünften angesagt. Die erste Hotelübernachtung gab es am 52. Tag auf der griechischen Insel Thassos. Fünf der sieben Nächte einer Woche schliefen sie in zwei Leichtbauzelten, meist in freiem Gelände, in Wald und Feld, die nicht immer vor den Unbilden der Natur schützten. Neben einer wunderschönen Wanderung über den Valbona-Pass in Albanien gehören einige der Übernachtungsplätze zu den schönsten Erinnerungen an die lange Reise.
Wie geht es weiter?
Nach der Tour ist für die drei definitiv vor der Tour. Bis sie sich wieder in den Sattel schwingen und mit leichtem Gepäck auf eigene Faust ein weiteres Stück der Erde erobern, wird wohl noch einige Zeit vergehen. Angedacht ist eine Tour quer durch die USA, von der Ost- zur Westküste, oder von Nord nach Süd durch die japanische Inselwelt. Man darf gespannt sein.