Warum nur legt jemand mumifizierte Ratten auf feinen weißen Stoff, um sie der Öffentlichkeit zu "servieren"? Der Schrei eines Künstler nach Aufmerksamkeit? Wer dem Haßfurter Haßfurter Bildhauer und Objektkünstler Hans Doppel begegnet, mag bei ihm an Effekthascherei nicht glauben. Doppel ist kein Mann großer Worte und Gesten, er wirkt zurückhaltend, regelrecht scheu. Was also soll das mit den toten Nagern, die er wie auf Tauf- oder Totenkissen drapiert hat und die sicher nicht mehr nach Aufmerksamkeit, aber auf jeden Fall nach Erklärung schreien?
"Es gibt die ästhetische, die schöne Kunst, es gibt die politische Kunst, die sozialkritische. Es gibt Kunst in Zusammenhang mit Sex. Und Kunst mit der Natur", erklärte Doppel der Redaktion dieser Tage an jenem Ort, wo die sterblichen Überreste seiner Ratten derzeit teilweise Erschrecken und Entsetzen, in jedem Falle aber Verwunderung auslösen: Sie ruhen sanft in den großen Schaufenstern der Geschäftsstelle des Berufsverbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler in Oberfranken (BBK) in der Schützenstraße 4 in Bamberg.
Es gibt also Kunst in allen Formen, und alle haben ihre Berechtigung, findet Doppel, der 1956 in der Nähe von Kronach zur Welt gekommen ist und seine künstlerische Laufbahn als Holzbildhauer und Ornamentiker begann. Auch für seine Kunst muss es einen Platz geben, trotz oder gerade wegen der Tatsache, dass sie oft wütende Reaktionen hervorruft, "weil die Menschen mich nicht richtig verstehen".
Tief bewegt von der Frage nach dem Sinn allen irdischen Seins
Und wie kann man ihn verstehen? Bevor ein Betrachter ein Urteil über Doppels Arbeit fällt, muss er begreifen, dass der Künstler ein über den Sinn allen irdischen Seins stetig nachdenkender, ja nachgrübelnder Mensch ist. Ein religiöser Mensch, wie er über sich selbst sagt, aber nicht in dem Sinne, dass er treuer Anhänger der Kirche oder sonst einer Religion wäre. Sondern einer, den die Frage treibt, woher der Mensch kommt und wohin er eines Tages geht und ob es da nicht ein großes Prinzip hinter allem zu entdecken gibt.
Doppels Interesse gilt nicht nur Geburt und Tod, sondern dem Leben selbst, er hinterfragt gesellschaftliche Entwicklungen, kritisiert, dass die Menschen oftmals keine Alternativen haben oder einfach auch nicht sehen wollen. Sondern für selbstverständlich nehmen, was ihnen vorgelebt wird. Und dass sich das Leben in Schwarz-Weiß-Kategorien abspielt.
Bewusster Kontrast zwischen Gut und Böse
Womit man schließlich und endlich bei den Ratten angekommen ist. "Und sie lechzen nach Liebe..." hat Doppel seine Wandinstallation mit Baustahl und Satin-Federkissen getauft. "Wir leben in einer polaren Welt", kritisiert er eine allzu einfache Einteilung in Hell und Dunkel, Gut und Böse und die damit verbundenen Scheuklappen und Vorurteile. Tot oder lebendig, die Nager machen es ihm leicht: "Sie symbolisieren das Böse, das Hinterlistige, das Schlechte, das Dunkle." Wer auf der anderen Seite stehe oder sich auch nur dort wähne, gehe einfach davon aus, dass die "Ekeltiere" keine Zuneigung bräuchten, keine Empathie besäßen, keinen Respekt verdienten. Und schon gar nicht auf den feinen Kissen gebettet sein dürfen, die Zeichen der Liebe, der Verehrung und Ehrerbietung seien, stellt der Künstler den von ihm beabsichtigten Kontrast heraus. Dass die Ratten mitten im Verwesungsprozess befindlich sind, dass also der Tod auf den weißen Kissen Platz genommen hat, mag versinnbildlichen, wie schnell es zu spät ist, bis der Mensch seine starren Denkmuster durchbricht.
In jedem Fall aber lässt sich das mit den Ratten und dem Schubladendenken auf die Menschen übertragen. "Vielleicht braucht das unartige, das böse Kind viel mehr Liebe als das brave", stellt Doppel in den Raum. Das müsse eben im Einzelfall ebenso kritisch und vorurteilsfrei hinterfragt werden wie umgekehrt die Ehrerbietungen für einen verblichenen Mafiaboss, von denen viele ja mit allem Prunk aufgebahrt würden.
Hans Doppel hält die Erläuterungen zu seinen Kunstobjekten knapp, relativiert seine eigenen Aussagen, mag sich nicht gerne auf den Wortlaut genau festlegen lassen. Und schon gar nicht vor großem Publikum dozieren. Eigentlich sollte seine Kunst für ihn sprechen, aber da beißt sich die Katze in den Schwanz: Denn seine Objekte, die oft das Unbequeme, das Unangenehme, Tod und Verderben thematisieren, verlangen nach Interpretationshilfen, zumindest bei allen, die nicht versiert in Kunst und Kunstgeschichte sind.
Kaninchen in Spiritus und Pinkelmaschine
Schon 2007 etwa sorgte sein totes Kaninchen, das - eingelegt in Spiritus - in einem Glaskasten in den Schweinfurter Wallanlagen ausgestellt war, für mächtig Aufregung. Sogar Tierschützer traten damals auf den Plan, obwohl der Künstler das Kaninchen schon viele Jahre zuvor tot am Straßenrand gefunden hatte und mit seiner Installation ja gerade auf den grausamen Umgang des Menschen mit den ihm angeblich untertanen Kreaturen aufmerksam machen wollte. Ziemlich eklig fanden viele Zeitgenossen seine Pinkelmaschine, eine Konstruktion aus einem Bollerwagen, auf dem eine Getränkebatterie montiert ist, über der eine per Leiter zu erreichende Kloschüssel thront. Nicht erst durch ein entsprechendes Video mit einer Schauspielerin gruselt es jedem Beobachter zwangsläufig beim Gedanken daran, was da wohl aus den Zapfhähnen unter dem Klo fließen mag. Genau hier will Doppel die Kunstfreunde abholen und ihnen vor Augen führen, wie schonungslos der Mensch mit seinen Ressourcen, insbesondere mit dem unersetzlichen Wasser, umgeht.
In der Kunstszene hat sich der Mittsechziger längst einen Namen gemacht, hat an vielen prominenten Orten ausgestellt, im Würzburger Dom zum Beispiel, in München, Limburg oder Heilbronn. 2018 gewann er den Publikumspreis im Rahmen des "Kunststücks", des Kunstpreises des Landkreises Haßberge. Und zwar mit der Installation "Bewegung", die jetzt auch in Bamberg zu sehen ist: Zwölf korrodierte Eisenbleche, die einesteils die Vergänglichkeit allen Irdischen versinnbildlichen, andererseits aber dadurch, dass die letzten Platten "aufstreben", die Hoffnung zu Ausdruck bringt, "dass jedem Ende ein Neuanfang innewohnt, die Hoffnung, wenn Sie so wollen, auf ein Leben nach dem Tod", wie es der Laudator, der Bamberger Kunsthistoriker Dr. Matthias Liebel, damals deutete.
Aktuelles Kunstwerk mit Bezug zur Corona-Krise
Und im Rahmen seiner aktuellen Ausstellung "zeitreif" in Bamberg nimmt Doppel auch Bezug zur Corona-Krise. "Was steckt dahinter" ist eine achtteilige Wandkonstruktion aus Eisenblech, Buchenholz und Tuch. Der Kunstfreund sieht so etwas wie Bilderrahmen, deren Bildflächen weitestgehend mit gelbem Stoff verhüllt sind. Es lässt sich vieles hinein interpretieren in dieses neue Kunstwerk, etwa die Einsamkeit und Verlassenheit, der sich viele Menschen in der Pandemie ausgesetzt sehen, ob sie arm oder reich, alt oder jung sind. Vorausgesetzt, der Betrachter lässt sich auf das Werk ein.
Der schon zuvor zitierte Kunsthistoriker Liebel drückt das im Begleitheft zu "zeitreif" so aus: "Was Installationskunst fordert, ist ein aufmerksamer, wahrnehmungssensibler Betrachter, der nicht fragt, ob das Kunst sei oder nicht, sondern der sich, ohne sich in solche Grundsatzdiskussionen zu verstricken, unvoreingenommen auf die Objekte einlässt und bereit ist, die dahinter stehenden Inhalte zu entschlüsseln."
Vom Haßfurter Künstler Hans Doppel ist ganz in diesem Sinne noch mit vielen Botschaften zu rechnen, die auf Decodierung warten, gleich ob sie nun in ästhetischer oder schauriger Verpackung kommen.
Zu sehen sind die Werke "Bewegung", "Und sie lechzen nach Liebe" und "Was steckt dahinter" unter dem Motto "Hans Doppel - zeitreif" bis Mitte August in der Schaufenstergalerie des BBK Oberfranken in der Schützenstraße 4, 96047 Bamberg, Telefon (0951) 2082488.