Kunst kann sich nicht damit begnügen, ästhetisch zu sein: Sie muss den Betrachter auf verschiedenen Gefühls- und Verstandsebenen berühren, sie muss dazu herausfordern, nachzudenken und Stellung zu beziehen. Einer, der seine Zeitgenossen herausfordert, ist der Haßfurter Künstler Hans Doppel. Derzeit stellt er in Coburg eines seiner Objekte aus, das er selbst wenig respektvoll als „Pinkelmaschine“ bezeichnet.
Auf einem Bollerwagen hat er eine Getränkebatterie installiert, über der eine per Leiter zu erreichende Kloschüssel thront. Der Spekulation darüber, was im Falle des Falles aus den Zapfhähnen fließen mag, kann sich kein Beobachter entziehen. Spätestens wenn man der Apparatur so nahe ist, dass man die Hähne bedienen kann, liest man die darüber angebrachte Werbung: „Es gibt keine Wahl. Aber Sie treffen die beste. Mit Marke Goldstrahl.“
Als ob es nicht genügen würde, dass Kunstfreunde zwangläufig ihre Fantasie spielen lassen, wenn sie die „Pinkelmaschine“ erblicken, hat Doppel dieser Tage Besucher der Coburger Ausstellung „Wa(h)re Kunst“ des Berufsverbandes Bildender Künstlerinnen und Künstler Oberfranken zu einer Performance geladen. Da kletterte die auch von der Haßfurter Theaterwerkstatt bekannte Bamberger Schauspielerin und Künstlerin Olga Seehafer auf die Kloschüssel und zog vor dem Publikum ihren Slip über die Knie. Die gut dreiminütige Szene hat Kameramann Hannes Keh eingefangen, von ihm stammen die oben gezeigten Bilder. Die Performance endet damit, dass Olga den Zapfhahn bedient und einem der Zuschauer ein Glas mit goldgelber Flüssigkeit anbietet.
Soweit so eklig. Doch was will Hans Doppel der Welt damit sagen? Es ist nicht das erste Mal, dass der Endfünfziger eher flaue Gefühle in der Magengegend seiner Mitmenschen erzeugt. Vor ein paar Jahren stellte er in Schweinfurt ein Kaninchen aus, das in einem Glaskasten in Spiritus eingelegt war. Das brachte ihm den Vorwurf der Tierquälerei ein. Doch der gelernte Bildhauer und Ornamentiker hatte das Tier tot am Straßenrand gefunden und wollte mit seiner Installation gerade auf den grenzenlos brutalen Umgang der Menschheit mit der Tierwelt aufmerksam machen. Beabsichtigt – wie in Schlachthäusern – oder unbeabsichtigt, wie im Straßenverkehr – stürben durch Menschenhand Millionen Kreaturen. Und kaum jemand nehme das wahr, argumentierte Hans Doppel damals.
Seine Pinkelmaschine indes bringt zum Ausdruck, dass dem Homo sapiens sapiens auch in anderer Hinsicht das Bewusstsein fehle: Unsere natürlichen Ressourcen werden zunehmend knapp, was insbesondere für das lebensnotwendige Trinkwasser gelte. „Machtgierige werden versuchen, auch anderes Trinkbares neben dem immer knapper und teurer werdenden Trinkwasser zu vermarkten“, sieht der Künstler voraus. Ihm ist aufgefallen, wie viele „verfremdete Getränke“ heute in Getränkemärkten Käufer anlocken, mit synthetischen Farben, künstlichen Aromen, allen möglichen Inhaltsstoffen. Hans Doppel interpretiert das als „Vorbereitungsphase“. Der Mensch werde darauf getrimmt, alles Erdenkliche an Nahrungsmitteln in sich aufzunehmen. Der Werbung müsse es nur gelingen, die Produkte entsprechend zu verpacken, ihnen Attribute wie „sauber“, „cool“, „spritzig“, „gesund“ oder „genussvoll“ anzuheften. Und – wie sehr der Konsument auch „verscheißert“ werde und letzten Endes „angepisst“ sei: Mit der nötigen Prise Erotik lasse sich der Verbraucher alles andrehen.
In diesem Sinne hat Hans Doppel mit Olga Seehafer eine junge Frau in voller Absicht als sexuellen Lockvogel auf die Schüssel gesetzt: Sie suggeriere einen positiven Überfluss und verlocke zum Kauf, ohne dass sich der Käufer noch ernsthaft die Frage stelle, um welches Wasser es sich da eigentlich handele. Im Extremfall werde der Mensch dazu verführt, seinen eigenen und den Urin seiner Artgenossen zu trinken. Für Hans Doppel wäre dies nur der Beginn der Auflösung natürlicher Kreisläufe. „Der Mensch besteht in Zukunft vielleicht nur noch zum Teil aus wirklichem Fleisch und Blut, denn eventuell setzt er sich durch ausgewechselte Organe zusammen, die so beschaffen sein werden wie Vielstoff-Motoren und mit den unterschiedlichsten Versorgungsmitteln betrieben werden können. Der Mensch wird immer mehr zum seelenlosen Roboter.“
Das ist Zukunftsmusik – doch Hans Doppel stellte im Gespräch mit der Heimatzeitung auch die Verbindung zur Gegenwart her: „Es gibt keine Wahl. Aber Sie treffen die beste.“ Dieser von ihm ersonnene Werbespruch gelte doch auch für die Kommunalwahl, behauptete er. Glauben die Menschen wirklich, dass sie die Wahl haben, bloß weil sie ein paar Kreuzchen machen dürfen“, fragt sich der Erfinder der Pinkelmaschine.