
Das Foyer der Schule trägt an diesem Tag Blau, die Farbe des europäischen Friedens. Blaue Fähnchen, blaue Luftballons, blaue Wimpelkette. Schülerinnen und Schüler haben sich blaue T-Shirts übergestreift, Lehrerinnen und Lehrer, Politikerinnen und Politiker blaue Blazer und Sakkos übergeworfen. Es ist Europatag am Regiomontanus-Gymnasium (RMG). Die Stimmung ist ausgelassen, es gibt Grund zum Feiern. Die Schule wurde gerade ausgezeichnet mit der Europa-Urkunde der Bayerischen Staatsregierung, verliehen hat sie Europaministerin Melanie Huml.
Hier, in Haßfurt, ist der europäische Gedanke lebendig, nicht nur heute trägt die Bildungseinrichtung blau. Zehn Partnerschulen in acht verschiedenen Ländern zählt das RMG. Seit Jahrzehnten tragen Programme und Projekte zum interkulturellen Austausch bei. Und damit zu gegenseitigem Verständnis, zu Freundschaft und Frieden in Europa. Auch deshalb hat die Schule mit ihren knapp 1000 Schülerinnen und Schülern nun den Preis erhalten. Doch seit Wladimir Putins Einmarsch in die Ukraine steht der Frieden in ganz Europa auf dem Spiel. Der Festakt im Foyer kommt deshalb auch an diesem Thema nicht vorbei.
Unsicherheit unter den Schülerinnen und Schülern
Die europäische Integration, die nach dem Zweiten Weltkrieg begann, hat über Jahrzehnte hinweg Sicherheit und Wohlstand garantiert. Heute aber ist plötzlich vieles wieder ungewiss, das merkt auch Luisa Leidner. "Man weiß nicht, was nun passieren wird", sagt die Schülerin. "Ob Deutschland, ob Europa eingreifen wird in den Krieg. Und was passiert, wenn wir eingreifen." Leidner besucht die elfte Jahrgangstufe am RMG. Die 16-Jährige ist in Zeiten des Friedens groß geworden. Frieden, den verbindet sie mit dem europäischen Gedanken.

Auch deshalb trägt Luisa Leidner an diesem Tag ein blaues T-Shirt, auf dem Rücken steht in gelben Druckbuchstaben "(E)United" - "Europa vereint" ist gemeint. Es ist der Name des sogenannten Projekt-Seminars, das die Schülerin in diesem Jahr belegt, gemeinsam mit Amna Richter und Antonia Urban, beide 17. Auch sie haben sich das blaue T-Shirt übergeworfen. Zusammen mit zehn anderen Mitschülerinnen und Mitschülern sowie Lehrerin Alexandra Weber haben sie den Europatag und den Festakt am Regiomontanus-Gymnasium gestaltet, erzählen die drei. Aber nicht nur darum geht es in ihrem Seminar. Es geht auch um den Austausch mit Schülerinnen und Schülern aus Portugal, Rumänien und Estland. Darum, über den eigenen Tellerrand zu blicken.
Pandemie schränkt den intereuropäischen Austausch ein
Wie etwa vergangene Woche, als sich Schülerinnen und Schüler aus Estland und Haßfurt zu einer Konferenz trafen, erzählt Antonia Urban. "Es ging um die Geschichte Estlands. Außerdem haben wir viel über die Lebensweise dort erfahren." Ein interkultureller Austausch, der digital stattfinden musste, coronabedingt. Zuletzt hatte vor zwei Jahren, im Februar 2020, ein analoger Austausch stattfinden können. Doch das soll sich nun wieder ändern. In zwei Wochen, sagt Alexandra Weber, Lehrerin und Erasmus-Koordinatorin am RMG, gehe es für die Schülerinnen und Schüler das erste Mal wieder in die Ferne. Nach Portugal. Die Vorfreude ist groß.
Die Pandemie führt nicht nur den Schülerinnen und Schülern das erste Mal so richtig vor Augen: Das freizügige Leben, wie es Generationen von Menschen infolge der fortschreitenden europäischen Integration genießen konnten, stößt doch an Grenzen. Schlagbäume kehrten teils zurück, Reisebeschränkungen wurden erlassen. Jedes Land bekämpft das Coronavirus auf seine Weise. Dabei hatte schon die Flüchtlingskrise von 2015 die Europäische Union in Teilen gespalten. Das Schengen-Abkommen, das die Freizügigkeit innerhalb des Staatenbundes gewährte und Grenzkontrollen weitgehend abgeschafft hatte, war teils ausgesetzt. Die Fassade der EU bekam Risse.
Jede Krise birgt auch eine Chance
Ausgerechnet Putins Einmarsch in die Ukraine hat den europäischen Staatenbund nun wieder geeint, zumindest vorerst. Er hat den Menschen ins Gedächtnis gerufen, wie wertvoll die europäische Idee ist, die über Jahrzehnte für Frieden gesorgt hatte. Das betonen an diesem Tag im Foyer des Haßfurter Gymnasiums auch die Gäste aus der Politik. Europa, sagt etwa Kultusstaatssekretärin Anna Stolz (Freie Wähler), sei das Ergebnis einer beispiellosen Völkerversöhnung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Europaministerin Melanie Huml (CSU) bezeichnet den 24. Februar 2021, den Tag des russischen Einmarschs in die Ukraine, als "Zäsur". Der Austausch, wie er auch am Regiomontanus-Gymnasium in Haßfurt gelebt werde, fördere den europäischen Gedanken und die europäischen Werte.

Huml überreicht an diesem Tag nicht nur die Europa-Urkunde. Sie steht den Schülerinnen und Schülern Rede und Antwort, nimmt auch deren Kritik entgegen: am fehlendem Windkraftausbau in Bayern etwa. Es geht aber auch um Menschenrechtsverstöße an der polnischen EU-Grenze zu Belarus, und um die Frage einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. "Es ist wichtig, dass wir jetzt in Deutschland wieder verteidigungsfähig werden", sagt Huml. Doch dabei dürfe man nicht ausschließlich als Nationalstaat denken. Die Systeme sollten in ganz Europa die gleichen seien. "Wir müssen Freiheit und Demokratie verteidigen."
Das RMG verteidigt die europäischen Werte anders. Die Schule möchte Hilfsgüter sammeln für ihre rumänische Partnerschule, die im Grenzgebiet zur Ukraine liegt. Die Europa-Urkunde sei eine Auszeichnung für das gesamte Gymnasium, sagt Schulleiterin Maria Eirich, und für Jahrzehnte der interkulturellen Arbeit - nicht nur von jenen, die heute noch im Amt sind. "Die Beziehung zu den Partnerländern- und schulen ist über die Jahre gewachsen." Und der Austausch soll weitergehen. Die Schule hat gerade das Erasmus-Programm um sieben Jahre verlängert.
Gewachsen ist auch das Interesse der Schülerinnen und Schüler der elften Jahrgangsstufe an anderen Kulturen und fernen Länder. 2023, erzählt die 17-jährige Amna Richter, stehe der Abschluss vor der Tür, das Abitur. Dann überlegt sie, im Ausland zu studieren, in Spanien etwa. "Vielleicht geht es aber auch nach Skandinavien, dort interessieren mich nicht nur die Länder, sondern auch die Sprachen."