
Es ist Montag, der 1. Juli 2019. Feuerwehrmann Julian Wirth befindet sich gerade auf der Arbeit, als gegen 14.10 Uhr über Funk der Brandmeldealarm eingeht. Während er das Gelände der Maincor in Knetzgau in Richtung seines Autos verlässt, sieht er auf der anderen Seite des Industriegebiets über der Entsorgungs-Firma Koppitz Rauchschwaden in den Himmel aufsteigen. "Da war mir klar, dass das kein normaler Brand ist", erinnert sich der heute 27-Jährige.
Auf dem Weg zum Feuerwehrhaus und zum Einsatzort gehen der Fachkraft für Lagerlogistik alle möglichen Gedanken durch den Kopf. Wie schlimm ist der Brand? Haben wir genug Leute? Wie lange wird das Wasser reichen? Welche Herangehensweise ist die beste? Doch für lange Überlegungen bleibt keine Zeit. Bei der Firma Koppitz angekommen, weiß Wirth bereits, dass sich zwei Mitarbeiter des Unternehmens in der brennenden Halle befinden, die versuchen, das Feuer zu löschen.
18 Liter Sauerstoff
Als Atemschutzspezialist dringt Wirth mit 18 Litern Sauerstoff auf dem Rücken so schnell wie möglich in das Innere vor. "In diesem Moment habe ich ausgeblendet, dass die Halle jederzeit einstürzen könnte", so Wirth. "Das Feuer breitete sich von hinten rechts aus, so dass ich den Weg von vorne links nahm. Da ich die Halle kenne, vertraute ich auf meine Erfahrung." Der erste Mitarbeiter befindet sich auf einer Erhöhung und will sich zunächst nicht helfen lassen. Erst nach intensivem Einwirken Wirths lenkt er ein. Wirth bringt ihn nach draußen.

Die zweite Arbeiter hält sich 40 Meter weiter hinten auf. "Er war sehr schwach und konnte nicht mehr laufen. Ich habe ihn vor meine Brust genommen und auf dem Boden rückwärts aus der Halle gezogen." Der Einsatz verlangt Wirth einiges ab: "Teilweise konnte ich nicht mal meine Hände vor den Augen sehen."
Mehr als 350 Helfer im Einsatz
Danach hilft Wirth seinen Kollegen beim Löschen. Dass die 5000 Liter Wasser nach zehn Minuten aufgebraucht sind und etwa drei Minuten lang kein Wasser mehr vorhanden ist, erfährt Wirth erst später. Um 17 Uhr legt die sogenannte schlauchfördernde Einheit aus Pfarrweisach eine über zwei Kilometer lange Leitung vom Main bis zum Einsatzort. Doch all das Wasser kann die Halle nicht retten: "Um 18.30 Uhr war uns klar, dass von der Halle nichts mehr übrig bleiben wird", sagt Wirth. In den ersten neun Stunden verbrauchen die Einsatzkräfte 18 000 Kubikmeter Wasser.
Neben allen Ortsfeuerwehren der Gemeinde Knetzgau sind auch Frauen und Männer aus Sand, Haßfurt und Eltmann im Einsatz. Insgesamt helfen rund 350 Einsatzkräfte des Technischen Hilfsdienstes (THW), des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) und der Feuerwehr. Die Sanitäter versorgen vier Firmenarbeiter, zwei Feuerwehrmitarbeiter kämpfen mit Kreislaufproblemen – bei Temperaturen von über 30 Grad. Julian Wirth, der seit seinem 14. Lebensjahr bei der Feuerwehr Knetzgau aktiv ist, befindet sich von Montag um 14.10 Uhr bis Dienstag, 9 Uhr, dauerhaft im Einsatz. Am Mittwoch um 7 Uhr verlässt das letzte Fahrzeug der Feuerwehr Knetzgau nach über 37 Stunden die Einsatzstelle.
"Ich fand es auch toll, zu sehen, dass die umliegenden Firmen wie Coca-Cola, die Maincor und die Bäckerei Schlereth durch Getränke oder Lebensmittel halfen. Das zeigt, dass Knetzgau zusammenhält, wenn es darauf ankommt." Im Rückblick verspürt der Feuerwehrmann gemischte Gefühle: "Mittlerweile kann ich darüber lachen. Doch wenn ich an der Firma vorbeifahre, denke ich oft daran, wie gefährlich der Einsatz eigentlich war."
Für Koppitz bricht eine Welt zusammen
Jürgen Koppitz, Geschäftsführer der Firma Koppitz, erhält die Nachricht aus Knetzgau in einem denkbar ungünstigen Moment: "Wir waren gerade mit dem Wohnmobil auf dem Weg Richtung Süden in den Urlaub." Als er angerufen wird, kann es der heute 54-Jährige kaum glauben: "Der Firmenteil, für den ich in den vergangenen 13 Jahren gearbeitet habe, geht in Flammen auf. Da bricht erstmal die Welt zusammen."
Nach und nach treffen immer mehr Anrufe ein. Der Brand erhält die zweithöchste Brandschutzstufe. "Das war ein schrecklich unangenehmes Gefühl, weil ich wusste, dass ich nichts ändern kann. Gleichzeitig war ich froh, dass sich niemand ernsthaft verletzte." Der Knetzgauer kehrt mit seiner Familie um und kommt um 19 Uhr an seinem Firmengelände an. Dort trifft er weinende Mitarbeiter und beileidsbekundende Einsatzkräfte an. "Ich kann dieses Gefühl nicht beschreiben. Ich war mit den Nerven am Ende", blickt Koppitz zurück.

"Welches Ausmaß der Einsatz annimmt, war mir erst nicht klar. Das war eine perfekte Leistung aller Einsatzkräfte. Dafür bin ich sehr dankbar und habe großen Respekt." Die Ursache des Brands ist auf einen Fremdkörper in der Sortieranlage zurückzuführen. "Besonders Ionen-Akkus stellen ein großes Problem für die gesamte Branche dar. Wenn sie beschädigt werden, brennen sie wie Bengalos", sagt Koppitz. Vom Sortierband ausgehend, breitete sich das Feuer rasend schnell bis in die nächstgelegene Halle aus. Dort konnte allerdings die automatische Löschanlage den Brand löschen.
Schlaflose Nächte
Die Sortierhalle wird komplett abgerissen und neu aufgebaut. Insgesamt belaufen sich die Kosten auf etwa 15 Millionen Euro. Den finanziellen Ruin bedeutet der Brand für Koppitz allerdings nicht. Seine Versicherung deckt den Betriebsabbruch und Wiederaufbau zu 100 Prozent ab. "Bis die Übernahme der Kosten durch die Versicherung bestätigt wurde, prüften mehrere Sachverständige das Ausmaß des Schadens - ob es von meiner Seite Versäumnisse hinsichtlich der Versicherungsauflagen oder der Wartung der Brandmelde- und Löschanlage gab. Das kostete mich ein paar schlaflose Nächte."
Von den rund 80 Mitarbeitern wird niemand entlassen. Das Personal erhält auch ohne Arbeit seine Bezahlung - schließlich war Koppitz darauf angewiesen, dass er nach dem Aufbau mit erfahrenen und qualifizierten Kräften wieder an die Arbeit gehen kann. Das große Glück für Koppitz bestand darin, dass ihm keine Kunden abgesprungen sind. "Die Firma Palm aus Eltmann, unser Hauptkunde, sicherte mir sofort nach dem Vorfall zu, dass sie mit uns weiterarbeiten wollen."

Innerhalb von sieben Monaten wird die abgebrannte Halle wiederaufgebaut. Seit April herrscht erneut Volllastbetrieb. Bis auf ein paar Außenarbeiten ist alles erledigt. Langfristige Nachteile sieht Koppitz keinesfalls. "Am Tag des Brands habe ich mir zum Ziel gesetzt, dass ich alles wiederaufbaue, aber in einem besseren Zustand als zuvor." So nahm Koppitz zusätzlich Geld in die Hand und investierte in bessere Anlagen. "Nun befinden sich die Maschinen auf dem neusten Stand der Technik. Darüber hinaus ließ ich die Löschtechnik ausbauen und mehr Wärmebildkameras installieren."
Sein Resümee fällt trotz der gigantischen Dimension des Brands positiv aus: "Das war natürlich ein großer Rückschlag in meinem Leben. Doch wenn ich die Rückendeckung und die Unterstützung von vielen Leuten berücksichtige, überwiegen die positiven Gefühle."