Die Voraussetzungen, um beim Turnverein Hofheim Sport zu treiben, sind bestens: Die August-Först-Turnhalle wurde erst in den letzten Jahren saniert. Eine Photovoltaikanlage auf dem neuen Dach liefert Strom. An den Außenwänden der Halle wurde eine Wärmedämmung installiert. Die Decken und Wände sind frisch gestrichen, ein erst kürzlich aufgestelltes Straßenschild verweist auf den Standort der Turnhalle. Etwa 600 Mitglieder führt der Verein. Es gibt zahlreiche Übungsleiter. Das Feld ist also bestens bestellt.
Und trotzdem droht der Hofheimer Institution nun die Vereinsauflösung. Der Grund: Es fehlt der Wille zur Führung, nämlich ein Erster Vorsitzender und ein Kassier.
Brandbrief als Einladung zur Mitgliederversammlung
Der bisherige Vorsitzende Ralph Köberlein hatte nach neun Jahren sein Amt niedergelegt. Das war im Herbst vergangenen Jahres. Seitdem verwalten die beiden Zweiten Vorsitzenden, Angela Kriegsmann und Sylvia Hoh, den Verein. Mit einem Brandbrief lud Kriegsmann die Mitglieder jüngst zu einer Versammlung ein. "Jetzt ist es fünf vor zwölf", warnte sie in dem Brief, den sie zusammen mit Sylvia Hoh an die Mitglieder verschickt hatte.
"161 Jahre lang haben sich durch die Zeit viele Menschen im TV Hofheim engagiert, haben viel gearbeitet, haben gelacht, haben sich zusammengerauft und viel bewegt", schrieb Kriegsmann an die Mitglieder. Sie erinnert an die legendären Faschingsfeste, Jugendfreizeiten, Vereinsabende, Tanzevents, Kinderturnstunden oder die Schwimmkurse. Mit seinem Inklusions-Sportfest wurde der Verein weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Doch nun steht er kurz vor der Auflösung. Im Herbst soll die 160-Jahr-Feier nachgeholt werden, "zum Schlüssel rum drehen", fügte Kriegsmann hinzu - falls sich bis dahin niemand für die Spitze findet. "1000 Leute" habe sie angesprochen, einen Vorstandsposten, wie Kassier oder Vorsitzender, zu übernehmen. "Ich bin mit meinem Latein am Ende", gab sie sich resigniert.
Viele Kinder, wenige Erwachsene unter den Mitgliedern
Aber was ist der Grund für diese Entwicklung in einem so mitgliederstarken Traditionsverein? Ralph Köberlein, der einstige Vorsitzende des TV Hofheim, weiß: Zwar gebe es zahlreiche Kinder und Jugendliche im Verein, viele der Eltern seien jedoch keine Mitglieder. Darin sehe er ein "Riesenproblem". Die Idee von Interims-Kassierer Reinhard Ott: Ein bezahltes Management könne mehrere Vereine führen, darunter den TV Hofheim. Das Ende des Ehrenamts?
Wie zeitintensiv ein Ehrenamt sein kann, weiß Gustav Bühler, der 35 Jahre lang die Finanzen des Vereins verwaltete. Er taxiert die Arbeitsleistung eines Kassierers auf zehn bis 15 Stunde pro Woche. Bühler ist seit drei Jahren weiterhin aktiv im Verein, allerdings ohne offiziellen Posten. Immerhin: Andere Posten konnten bei der jüngsten Versammlung erfolgreich vergeben werden. So übernimmt etwa Michaela Just künftig die Mitgliederverwaltung des Vereins, und Andrea Gerner ist Ansprechpartnerin in der Geschäftsstelle in der August-Först-Halle.
Andere Vereine kämpfen mit fehlendem Engagement
Der Blick in das Maintal zeigt: Auch andernorts kämpfen Vereine mit fehlendem Engagement. So beklagt etwa Stefan Schmidt, der Erste Vorsitzende des TSV Knetzgau, eine grundsätzlich schwindende Bereitschaft, ein Ehrenamt zu übernehmen. Zwar seien alle drei Vorstandsposten im Verein jüngst neu besetzt worden. Dennoch werde es zunehmend schwieriger, Mitglieder zur aktiven Unterstützung zu bewegen.
Der TSV Knetzgau zählt zirka 370 Mitglieder. Davon, so Schmidt weiter, würden rund 20 Aktive den Verein am Leben halten. Anreize, wie Freikarten oder Gutscheine, bietet der Verein nicht an. Wegen derartiger Dinge würde niemand ein Amt freiwillig übernehmen, ist sich Schmidt sicher. Grundsätzlich hätten viele Mitglieder einfach keine Lust mehr, sich aktiv in das Vereinsleben einzubringen, da hier sehr viel Freizeit geopfert werden müsse.
Freizeit sei den meisten Menschen inzwischen wichtiger als ein Ehrenamt, so Schmidt. Der TSV Knetzgau versucht deshalb, mit Vereinsausflügen und Helferfesten die aktiven Mitglieder bei Laune zu halten. Wobei es schon bei jedem Heimspiel schwierig werde, alle Kräfte zu mobilisieren, um ein Fußballspiel mit Getränken, Bratwurst, Kaffee und Kuchen sowie Sportheimdienst auf die Beine zu stellen.
"Es ist leider eine sehr traurige Entwicklung im Amateursport und bei den Sportvereinen. Und Corona hat natürlich auch dazu beigetragen, dass es nicht besser wird", schließt Schmidt. Er ist damit einer der wenigen, die sich zu diesem brisanten Thema äußern wollten. Denn weitere Vorsitzende aus anderen Vereinen, die diese Redaktion um eine Stellungnahme gebeten hat, haben keinen Kommentar abgegeben. Wie es indes mit dem Traditionsverein in Hofheim weitergeht, bleibt offen.
Tv ist Turnverein,…
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