Hochschulstadt Haßfurt? Das kann sich kaum jemand vorstellen. Und doch wird der kühne Gedanke bald Realität werden. Schon im Herbst 2022, also in rund einem Jahr, soll ein leibhaftiger Hochschul-Professor in Haßfurt forschen und vielleicht sogar lehren. Wie das gehen soll? Baut die Kreisstadt jetzt etwa einen Hörsaal und ein Studentenwohnheim? Natürlich nicht. Aber in Haßfurt wird ein Technologietransferzentrum (TTZ) errichtet.
Mit Industrieunternehmen wie Fränkische Rohrwerke (Königsberg), Maincor (Knetzgau), PMA Kabelschutzsysteme (Haßfurt), Delfingen (Haßfurt), Unicor (Haßfurt) und der zu Valeo gehörenden FTE automotive (Ebern) besitzt die Region eine hohe Dichte an Herstellern von Kunststoff-Wellrohrsystemen, weshalb sich das TTZ der Forschung und Entwicklung von Kunststoffen für diesen Rohrtyp widmen soll. Der offizielle Titel lautet deshalb auch "Smart Polymer Pipe Solutions".
Dieses TTZ-SPPS wird bei der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt (FHWS) angesiedelt, die die wissenschaftliche Begleitung verantwortet. Der gesuchte Professor soll das Zentrum aufbauen und leiten. Inzwischen hat das Projekt auch das Planungsstadium verlassen, denn die Hochschule hat die Professorenstelle offiziell deutschlandweit zur Besetzung ausgeschrieben.
Die ersten fünf Jahre sind gesichert
Vorausgegangen war die Sicherstellung der Mittel durch regionale Unternehmen sowie den Landkreis Haßberge und die Stadt Haßfurt. Die Finanzierung der Professorenstelle ist für fünf Jahre durch die heimischen Unternehmen gesichert. Nach diesen fünf Jahren wird geprüft, ob die Ziele des Technologietransferzentrums erreicht wurden. Falls ja – und davon gehen die beteiligten Akteure fest aus – übernimmt der Freistaat über die FHWS dann auch die Kosten für die Professur.
Neben der Vorbereitung der Ausschreibung der Professorenstelle wurde die Finanzierung der Technik und Ausstattung des TTZ durch die Aufnahme im Doppelhaushalt des Freistaats Bayern sichergestellt. Dieser wurde im Landtag beschlossen und somit steht der Umsetzung nichts mehr im Wege.
Jährlich rund 1,2 Millionen Euro zur Verfügung
Parallel wurden die Planungen an der Haßfurter Berufsschule, wo das TTZ entstehen soll, weiter vorangetrieben. Im Haushalt des Wissenschaftsministeriums stehen ab kommendem Jahr für die nächsten fünf Jahre jährlich rund 1,2 Millionen Euro zur Verfügung, womit die FHWS im Haßfurter Zentrum die Investitionen in Maschinen, Einrichtung und Mitarbeiter finanzieren kann. Landkreis und Kreisstadt stellen die Räumlichkeiten zur Verfügung.
"Wichtig an dieser Professur ist, dass die Lehre überwiegend, aber nicht ausschließlich in Würzburg und die angewandte Forschung und der Transfer in Haßfurt stattfindet", erklärt Hochschulsprecherin Katja Bolza-Schünemann. "In diesem Sinne gewinnt die Region Haßfurt im doppelten Sinne. Die dort ansässigen Labore ermöglichen die Projektarbeit vor Ort in der Nähe der Unternehmen, und die Studierenden werden schon in ihren Bachelor- und Masterprogrammen in Haßfurt in diesen Laboren Aufgaben bearbeiten."
Was erhofft sich aber die heimische Kunststoffindustrie von dieser Professur, vom TTZ Haßfurt, wenn sie schon dafür tief in die Tasche greifen muss? Otto Kirchner, langjähriger Geschäftsführender Gesellschafter von Fränkische Rohrwerke, verspricht sich "in erster Linie für den Bereich Forschung und Entwicklung erweiterte Kompetenzen und personelle Kapazitäten auf dem Gebiet der Kunststoffextrusion. Außerdem begrüßen wir die zusätzlich entstehende Möglichkeit, Bachelor- und Masterarbeiten ausschreiben zu können und auch dadurch qualifizierte Fachkräfte zu gewinnen". Hinzu komme die räumliche Nähe und der neue Schwerpunkt Kunststoffextrusion, "der in der Kunststoff-Fakultät der FHWS bisher noch keine besondere Rolle gespielt hat", so Kirchner.
Zusammenarbeit mit anderen Fachbereichen
Wie stellt sich andererseits die Hochschule die Zusammenarbeit zwischen dem TTZ-SPPS und der heimischen Industrie vor? "Projektideen der Firmen vor Ort können aktiv in das TTZ eingebracht werden", so die FH-Sprecherin, um dort von Professoren entweder als Drittmittelprojekte mit wissenschaftlichen Mitarbeitern oder als studentische Projekte von Studierenden bearbeitet zu werden. Hierfür böten sich unterschiedliche Formen an: Bachelor-, Master-, Projektarbeiten in Teams, auch kooperative Doktorarbeiten im Verbund mit anderen Hochschulen seien ein mögliches Format. Hierbei sei auch die Zusammenarbeit mit anderen Fachbereichen der FHWS wie Maschinenbau, Elektrotechnik, Mechatronik, Informatik oder Wirtschaftswissenschaften möglich.
Die Firmen profitierten hierbei von der gesamten fachlichen Breite und den wissenschaftlichen Ressourcen der Hochschule sowie von den zusätzlich eingeworbenen staatlichen Mitteln. Die Hochschule selbst erhielte Zugang zu praxisrelevanten Themen, die Einzug in die Lehre halten können, sowie die Möglichkeit, die finanziellen Mittel zu erhöhen. "Nicht zuletzt profitieren die Studierenden aus den konkreten, praktischen Aufgabenstellungen und den frühzeitigen Kontakten zur heimischen Industrie. Letzteres ist auch für die Firmen ein wichtiger Aspekt für die Nachwuchsgewinnung", stellt die Hochschulsprecherin fest.
Auf den neuen Professor wartet ein vielfältiger Aufgabenbereich. Zumal auch das Pendeln zwischen Würzburg und Haßfurt in dieser Position unerlässlich sein wird, erklärt die Hochschulsprecherin. Das funktioniere aber auch im Technologietransferzentrum in Bad Neustadt sehr gut. "Die Professur ist dem Studiengang Kunststoff- und Elastomertechnik zugeordnet, welcher sich am Röntgenring in Würzburg befindet. Dort finden die Vorlesungen in Präsenz statt, und die Studierenden haben hier auch ihre Praktika in den dort eingerichteten Laboren", erläutert Katja Bolza-Schünemann. Und mit Blick auf die Corona-Pandemie: "Mittlerweile kennen wir aber auch die Kultur der Online-Veranstaltungen, denen zu eigen ist, dass Lehrende und Lernende sich an frei wählbaren Orten aufhalten. Denkbar ist zum Beispiel eine Variante, bei der Vorlesungen online auch von Haßfurt aus abgehalten werden."
Viel hängt von den beteiligten Firmen ab
Und wie könnte die Zukunft eines solchen TTZ aussehen, wenn sie sich nach den ersten fünf Jahren als Erfolgsmodell bewährt haben sollte? Die Verantwortlichen werden eine Bilanz ziehen und dann über die weitere Zukunft und gerade auch über eine mögliche Erweiterung des Standorts entscheiden. "Ich bin aber zuversichtlich", zeigt sich Otto Kirchner optimistisch, "dass es gelingt - ähnlich wie mit der Elektromobilität in Bad Neustadt - eine Erfolgsgeschichte daraus zu machen. Insbesondere, wenn die angebotenen Möglichkeiten dem Bedarf entsprechen und die beteiligten Firmen die neuen Möglichkeiten in Anspruch nehmen."
Fachkräfte anlocken und halten
Überzeugt vom Erfolg des TTZ sind auch der Haßfurter Bürgermeister Günther Werner ("Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, zusammen mit der FHWS, der heimischen Industrie und dem Landkreis diese Stiftungsprofessur auf die Beine zu stellen") und Landrat Wilhelm Schneider. Letzterer betont, mit dem TTZ wolle der Landkreis den Unternehmen aus der Wellrohrfertigung "den Zugang zu Forschung und Entwicklung erleichtern, auch Fachkräfte heranziehen, die unsere Stakeholder (Interessengruppen, die Red.) brauchen". Wenn es dann sogar gelinge, "zusätzliche Fachkräfte aus anderen Regionen zu uns zu locken", hofft der Landrat, "und gleichzeitig den einen oder anderen Absolventen im Landkreis halten zu können, dann haben wir viel erreicht".