Mal zur Schneeschippe greifen und ein wenig Schnee wegschaufeln? Oder Salz auf den vereisten Asphalt streuen? Das an sich wäre für Helmut Geß nie ein großes Problem gewesen. Aber der Haßfurter wollte Gerechtigkeit und Rechtssicherheit. Dafür hat er seit 20 Jahren gekämpft. Nun scheint endgültig festzustehen: Auf dem selbstständigen Gehweg, der an sein Grundstück im Tulpenweg grenzt, muss er keinen Winterdienst leisten. Und alle anderen Anlieger auch nicht.
Anders ausgedrückt: Die Stadt Haßfurt darf die Räum- und Streupflicht nicht mehr auf Geß und seine Nachbarn abwälzen, so wie sie es in Vergangenheit getan hat. Und sie darf dies nirgendwo mehr tun, wo Geh- und Radwege als "selbstständig" klassifiziert sind. Womit die Anlieger auch nicht mehr in Haftung genommen werden, wenn Fußgänger oder Radfahrer bei Schnee und Eis stürzen und sich verletzen. Gleiches gilt für viele andere Kommunen in Bayern, die nach einer weichenstellenden Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom Februar 2020 ihre Winterdienstordnung anpassen müssen.
Worum geht es genau?
Es geht um die Auslegung von Artikel 51 des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes (BayStrWG). Hier ist in Absatz 4 und 5 festgehalten, dass die Gemeinden Grundstückseigentümer zum Winterdienst verpflichten können. Räumen oder streuen müssen die Betroffenen demzufolge erstens auf den Gehwegen und gemeinsamen Geh- und Radwegen von öffentlichen Straßen, die an ihr Grundstück grenzen oder es erschließen; und zweitens auf den öffentlichen Straßen selbst, wenn die oben beschriebenen Wege fehlen.
Ist damit nicht alles geregelt?
Keinesfalls, meint seit jeher der pensionierte Beamte Helmut Geß. Denn es gibt keine öffentliche Straße an "seinem" im übrigen namenlosen Gehweg zwischen Tulpenweg und Distelfeld. Es handelt sich vielmehr um einen selbstständigen Gehweg. Der Weg ist also "alleine", er begleitet keine dem Kraftverkehr dienende Fahrbahn. Den Weg selbst zur öffentlichen Straße zu erklären im Sinne des Straßen- und Wegegesetzes, hält Geß für absurd. "Der Gesetzgeber kann in einem Gesetz nicht ein und denselben Begriff mit zwei unterschiedlichen Bedeutungen belegen", sagt der ehemalige Eberner Polizeichef. Das heißt: Was in einem Absatz von Artikel 51 als "Gehweg" bezeichnet ist, damit kann im nächsten Absatz nicht die "öffentliche Straße" gemeint sein.
Das Würzburger Verwaltungsgericht sah es bisher anders
Nicht nur die Stadt Haßfurt hat das in all den Jahren anders gesehen als Helmut Geß. Weshalb sie den Mann aus dem Tulpenweg ein ums andere Mal abblitzen ließ. Sondern auch das Verwaltungsgericht Würzburg. Als Geß schließlich erkannte, bei der Lokalpolitik und Verwaltung gegen Mauern zu laufen, klagte er gegen die Winterdienstordnung der Stadt - ohne Erfolg. Später wählte er einen anderen Ansatz: Er zog direkt gegen das Straßen- und Wegegesetz zu Felde, hatte aber wiederum das Nachsehehen. Damals hätten die Würzburger Richter seinem Anwalt einen ordentlichen Rüffel erteilt, weil dieser eine "so unsinnige Klage" unterstützt habe, erinnert sich Geß, der im kommenden Jahr 80 wird.
Was hat den Umschwung gebracht?
Es ist ein Fall aus München, der nun auch für Haßfurt die Kehrtwende bedeutet. Die Landeshauptstadt wollte 2017 eine Grundstückseigentümerin verpflichten, einen auch als Schulweg genutzten selbstständigen Gehweg gemäß ihrer Reinigungs- und Sicherungsverordnung in einem sicheren Zustand zu halten. Also gegebenenfalls auch von Schnee und Eis zu befreien. Dagegen klagte die Frau und bekam vom Verwaltungsgericht München recht.
Den Antrag der Stadt München auf Berufung lehnte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Februar 2020 ab (Beschluss vom 17.02.2020, 8ZB-19.2020). Aus den Leitsätzen zu dem Beschluss geht unmissverständlich hervor: Das Bayerische Straßen- und Wegegesetz ermächtigt die Gemeinden zur Abwälzung ihrer Räum- und Streupflicht auf die Anlieger "nur für unselbständige, nicht aber selbstständige Gehwege."
Und das bedeutet nun was?
Helmut Geß stieß vor einigen Wochen mehr oder weniger zufällig im Internet auf die Vorgänge in der Landeshauptstadt und informierte unverzüglich die Stadt Haßfurt. Für ihn ist klar, dass das rechtskräftige Urteil aus München auf Haßfurt übertragbar ist. Das bestätigte gegenüber der Redaktion auch ein Sprecher des Verwaltungsgerichtshofs, der zwar von einer Einzelfall-Entscheidung sprach. Aber im gleichen Atemzug betonte, dass die Leitsätze nun auf alle bayerischen Kommunen anwendbar seien.
Wie reagiert die Stadt Haßfurt?
Dessen ist sich auch Haßfurts Bürgermeister Günther Werner (Wählergemeinschaft Haßfurt) bewusst. Im Gespräch mit der Redaktion kündigte Werner an, dass die Verwaltung die Winterdienstordnung überarbeiten werde. "Aber übers Knie brechen können wir hier nichts", sagte das Stadtoberhaupt, das auch auf eine Mustersatzung des Gemeindetags hofft, die Orientierung und Rechtssicherheit gibt. In dieser Wintersaison wird es also nichts mehr mit dem geänderten Regelwerk, im nächsten Herbst soll es dann zur Verfügung stehen.
Eine Schätzung: In der Kreisstadt gibt es 30 bis 40 selbstständige Gehwege
30 bis 40 selbstständige Geh- oder Geh- und Fahrradwege, die von der neuen Gesetzeslage betroffen wären, dürfte es in der Kreisstadt geben, hatte Helmut Geß schon vor Jahren geschätzt. In der Kernstadt zum Beispiel zwischen Rotkreuzstraße und Industriestraße oder in Sylbach zwischen Herrngasse und Pointstraße. Der Pensionär hätte sich gewünscht, dass die Stadt die Anlieger wenigstens kurz über die Veränderung informiert, wofür das Rathaus keinen Anlass sieht.
Dieses langsame Mahlen der Verwaltungsmühlen ärgert Geß, auch weil es manchen Bürger Geld kostet: "Viele wissen noch überhaupt nicht Bescheid und beauftragen Winterdienste fürs ganze Jahr", obwohl das ja nun eindeutig nicht mehr ihre Aufgabe sei. Andererseits ist der ehemalige Polizist zufrieden: Für ihn enden zwei Jahrzehnte des Ringens um die richtige Auslegung des Straßen- und Wegerechts mit einem für ihn positiven Ausgang. Nach so langer Zeit bekommt er nun endlich Recht und damit Sicherheit.
Anmerkung der Redaktion: Die Stadt Haßfurt ist inzwischen an die Redaktion herangetreten und hat erklärt, aufgrund einer geänderten Gesetzeslage könne sie sehr wohl die Räum- und Streupflicht wieder auf die Anwohner der selbstständigen Wege abwälzen. Hier geht es zu dem Bericht, der die Sichtweise der Stadt darlegt.
das ist aber ein Spezialfall, den Sie da schildern. Aus der Redaktion heraus trauen wir uns da keine Einschätzung vor, das ist wohl Sache für Experten in Sachen Verwaltung und Jura. Wir könnten aber trotzdem nachhaken, wenn Sie uns die Details schildern...
Liebe Grüße aus der Redaktion, Martin Sage