Das dichte Blätterdach der Eiche ragt über die Seitenstraße am Rande von Kirchlauter. Dort steht Steffen Unger im roten Overall mit orangefarbener Warnweste. "Der Baum stört vermutlich den Empfang", sagt der 68-Jährige. Er blickt auf einen kleinen Bildschirm, der an einer Stange mitsamt Antenne befestigt ist. Unger sucht die Verbindung zu den Navigationssatelliten, die gerade irgendwo über ihm ihre Bahnen ziehen. Er muss seinen Standort bestimmen, zentimetergenau. An dieser Position wird er dann mit Hilfe eines Gravimeters Messdaten sammeln – und so einen Blick in den Untergrund werfen.
Der Geologe ist einer sogenannten Anomalie in der Tiefe auf der Spur. Einem gigantischen Granitblock unter dem Landkreis Haßberge. Bis zu 160 Grad Celsius heiß, so die Hoffnung der Wissenschaftlerinnen sowie Wissenschaftler, und damit nutzbar für die Strom- und Wärmegewinnung. "Eine wichtige Eigenschaft als Geologe ist die Geduld", erklärt Unger ruhig, während er das Gerät in seiner Hand neu ausrichtet. "Manchmal muss man später zu einem Messpunkt zurückkommen, dann ist der Empfang besser."
Wie Unger, der für den Leipziger Dienstleister Geophysik GGD im Landkreis Haßberge unterwegs ist, erging es zuletzt dem Gesamtprojekt der Geothermie-Allianz-Bayern (GAB). Die Suche nach dem Heizkraftwerk in der Tiefe war ins Stocken geraten. Eigentlich galten die gravimetrischen Messungen, die im vergangenen Jahr in der Region an 3456 Punkten stattfanden, als abgeschlossen. Die Auswertung und Interpretation der Ergebnisse sollte im Sommer 2023 präsentiert werden, also jetzt. Doch daraus wird so schnell nichts. Der Zeitplan könnte sich laut den Verantwortlichen nun um ein ganzes Jahr verschieben.
Rand des Gesteinskörpers nicht komplett erfasst
Eigentlich eine schlechte Nachricht, ein Rückschlag. Nicht aber für Dr. Wolfgang Bauer vom GeoZentrum Nordbayern der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg. Er gilt als Entdecker der Wärmeanomalie unter dem Haßbergkreis, ist federführender Initiator des Forschungsprojekts, mit dem das tiefengeothermische Potenzial in der Region untersucht wird.
Während die gravimetrischen Messungen aus dem vergangenen Jahr im Norden und im Westen den Rand des Gesteinskörpers erfassen konnten, sei das im Süden und im Osten noch nicht gelungen. Bauers optimistische Vermutung: "Der Granitblock ist wahrscheinlich deutlich größer als gedacht." Bislang, so die Annahme, erstreckte sich die Lage des Gesteinskörpers in einer groben Hufeisenform von Ebern im Norden über Königsberg und Haßfurt im Westen bis Knetzgau im Süden – gut 38 Kilometer lang, drei bis acht Kilometer breit. Nun geht Bauer davon aus, dass er weiter gen Osten reichen könnte, weiter in Richtung Bamberg. Das macht neue Messungen nötig, die bereits seit Ende Juni laufen.
Für den Wissenschaftler ist diese Entwicklung auch mit einem gewissen Maß an Hoffnung verbunden. Aus dem Landkreis Haßberge selbst hatte die Wärme- und Stromgewinnung aus der Tiefe zuletzt wenig Unterstützung erhalten. Hier setze man vor allem auf Energie aus Wind und Sonne, hatte die GUT, die "Gesellschaft zur Umsetzung erneuerbarer Technologieprojekte", Ende 2022 auf Nachfrage mitgeteilt.
Und das Stadtwerk Haßfurt, immerhin Vorreiter in vielerlei Hinsicht? Das hatte zwar grundsätzliches Interesse bekundet, gleichzeitig aber betont, wie groß der Aufwand einer Erschließung sei. Tatsächlich rechnet sich die Tiefengeothermie erst in großem Stil, vor allem in Städten. Wohl aber kaum in einer zersiedelten Region, wie es der Flächenlandkreis Haßberge mit seinen 26 Kommunen ist.
Untersuchungen gehen von hohen Kosten aus
Anders könnte die Lage im oberfränkischen Bamberg aussehen. Die Stadt verfügt mit ihren knapp 80.000 Einwohnerinnen und Einwohnern schon heute in Teilen über ein eigenes Fernwärmenetz. Rund 50 Millionen Euro wollen die Stadtwerke Bamberg eigenen Angaben zufolge in den kommenden fünf Jahren in den weiteren Ausbau des Netzes und die Erschließung regenerativer Wärmequellen investieren. Entsprechend habe man "mit sehr großem Interesse" die Untersuchungen zum Geothermie-Hotspot im Kreis Haßberge verfolgt, heißt es auf Nachfrage.
Doch das Interesse hat nachgelassen. Grund sind die ernüchternden Ergebnisse einer Untersuchung zur technisch-ökonomischen Machbarkeit. Durchgeführt hatte die ein eigens gegründetes Konsortium, dem auch andere Stadtwerke aus der Region angehörten. Den Berechnungen zufolge lägen die Kosten für die Kundinnen und Kunden deutlich über dem aktuellen Fernwärmepreis, "vor allem wegen der vergleichsweise weiten Entfernungen, über die eine Transportleitung bis nach Bamberg gebaut werden müsste", so die Stadtwerke weiter.
Neue Erkenntnisse für weitere Planung nötig
Gut also, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das heiße Granitgestein nun näher an der Domstadt vermuten. Denn bislang berücksichtigten die Berechnungen zur Machbarkeit die neuen Erkenntnisse noch nicht. Aber ob die kürzere Distanz ausreicht und wie viel geringer sie am Ende wirklich ist, um ein entsprechendes Vorhaben wahrscheinlicher zu machen, bleibt offen. Man werde sich in jedem Fall mit Dr. Wolfgang Bauer über die neuen Entwicklungen austauschen, heißt es vonseiten der Stadtwerke Bamberg weiter.
Aufgrund der Unwägbarkeiten wolle das kommunale Unternehmen zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Planung zur Erschließung der tiefengeothermalen Wärmequelle nicht eigenständig in einem Projekt verfolgen. Stattdessen möchte man gemeinsam mit der FAU das mitteltiefe Geothermiepotenzial in und um Bamberg herum analysieren.
Will am Ende also niemand die schier unerschöpfliche Energie aus der Tiefe? Für das Forschungsprojekt der Geothermie-Allianz-Bayern jedenfalls klingt all das wie ein herber Rückschlag. Umso wichtiger dürften nun die aktuellen Messungen sein und die Erkenntnisse, die aus ihnen gewonnen werden. Denn mit dem Abschlussbericht sollen im Idealfall Standorte für mögliche Probebohrungen vorliegen, die in eine Tiefe von bis zu 5000 Metern reichen könnten. Doch dafür braucht es neben finanziellen Mitteln in Millionenhöhe auch rasch Ergebnisse.
Steffen Ungers Geduld hat sich inzwischen bezahlt gemacht, wie auch seine Erfahrung. Der Empfänger in seiner Hand hat eine Verbindung zu den verschiedenen Satelliten aufgebaut, trotz Baumkrone. "Hier", sagt der 68-Jährige nach einer weiteren Kontrollmessung. Mit roter Neonfarbe aus einer Sprühdose markiert Unger einen Punkt auf dem Boden.
Er greift nach dem Gravimeter, einem Messinstrument, das geringste Schwerkraft-Änderungen registriert, die von Dichteunterschieden im Untergrund hervorgerufen werden, und positioniert es auf einer Halterung über dem roten Punkt. Knapp 2000 neue Messpunkte steuert der 68-Jährige gemeinsam mit anderen Geologinnen und Geologen bis Ende September an,"25 am Tag sind das Pensum", sagt er. Dann hoffen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, den gigantischen Granitkörper endlich vollständig erfasst zu haben.
Soll ich jetzt dem Rest an Information im Artikel glauben?
Beste Grüße
Lukas Reinhardt