
Er war davon überzeugt, dass alles menschliche Werken und Wirken umsonst ist. Dass also "unsere ganze großartige Geschichte sternschnuppenhaft verglühen wird, kurz, dass all dies, Wissenschaft und Weltreiche und Weltreligionen und die immer katastrophalere Welt und Mensch verwirtschaftende Weltwirtschaft letztlich für die Miezekatz ist", wie sich der Haßfurter Karlheinz Deschner einst im Interview mit der Redaktion ausdrückte. An diesem Donnerstag wäre Deutschlands bekanntester Kirchenkritiker der Nachkriegszeit 100 Jahre alt geworden.
So sehr Deschner auch am Sinn des Lebens und dem Gedanken an die Ewigkeit zweifelte, es hielt ihn nicht davon ab, von "heute auf morgen seine Pflicht zu tun", wie er sagte. Und diese Pflicht bestand für ihn darin, unermüdlich gegen die Kirche zu schreiben, die Jesus, auf den sie sich berufe, spätestens seit dem 4. Jahrhundert fortgesetzt verraten habe.
Über 5000 Seiten mit Verfehlungen der Kirche
Sein Kampf gegen die christlichen Kirchen, Konfessionen und Sekten gipfelte in der "Kriminalgeschichte des Christentums", einem zehnbändigen und über 5000 Seiten starken Werk, in dem Deschner datailiert beschreibt, was er als Verfehlungen der Kirche und ihrer Repräsentanten erkannt hatte. Band 1 über die Frühzeit erschien 1986, den letzten Band konnte der Schriftsteller und Historiker 2013, wenige Monate vor seinem Tod – Deschner starb 89-jährig am 8. April 2014 in Haßfurt – fertigstellen. Er reicht bis ins 18. Jahrhundert hinein.
Zur Welt kam Deschner am 23. Mai 1924 in Bamberg. Nach schulischen Stationen in Trossenfurt und Dettelbach legte er hier 1942 auch die Reifeprüfung ab, ehe er als Soldat bis zur Kapitulation Nazi-Deutschlands am Zweiten Weltkrieg teilnahm. Er studierte in Bamberg und Würzburg Neue Deutsche Literaturwissenschaft, Geschichte und Philosophie und promovierte schließlich 1951 mit einer Arbeit über den österreichischen Lyriker Nikolaus Lenau. Er habe auch ein paar Semester Theologie studiert, "einfach aus Interesse", erklärte Deschner der Redaktion vor Jahren. "Ich war gläubiger Christ, solange ich nicht gedacht, sondern – was man ja aus bösem Grund soll – geglaubt habe." Das änderte sich für ihn vor allem durch die Beschäftigung mit den Philosophen Kant, Schopenhauer und Nietzsche.
Als Atheist, als Person also, die die Existenz Gottes oder eines göttlichen Wesens bestreitet, bezeichnete sich Karlheinz Deschner nicht. Vielmehr beschrieb er sich selbst als Agnostiker, als jemand, der die großen Welträtsel und metaphysischen Fragen, vor allem die nach einem Gott oder der Unsterblichkeit der Seele, offen lasse. "Weil der Mensch darüber nichts wissen kann", erklärte Deschner, und wer etwas anderes behaupte, der lüge von vornherein.
Das erste Mal Ärger mit der Kirche – oder sie mit ihm – bekam Deschner, nachdem er 1951 eine geschiedene Frau geheiratet hatte. Der Würzburger Bischof Julius Döpfner verhängte daraufhin öffentlich die Exkommunikation über das Paar. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der nun Exkommunizierte nichts Kirchen- oder Religionskritisches veröffentlicht.

Doch das sollte sich bald ändern: 1957 erschien sein Buch "Was halten Sie vom Christentum?", in dem er 18 berühmte Persönlichkeiten, darunter Heinrich Böll, Max Brod oder Arno Schmidt, auf die im Titel genannte Frage antworten lässt. 1962 veröffentlichte Deschner das Buch "Abermals krähte der Hahn", das bis heute als Standardwerk in kirchenkritischen Kreisen gilt. Im Laufe seiner langen Schaffensperiode folgten viele weitere Werke, 1974 etwa "Das Kreuz mit der Kirche. Eine Sexualgeschichte des Christentums" oder 1988 "Der gefälschte Glaube. Eine kritische Betrachtung kirchlicher Lehren und ihrer historischen Hintergründe".
In seiner Heimatstadt Haßfurt lebte Karlheinz Deschner über Jahrzehnte hinweg eher zurückgezogen. Wer dem Schriftsteller mit dem strengen Blick und dem markanten Schnauzbart über den schmalen Lippen begegnete, traf auf einen freundlichen, höflichen Menschen. Sein Umgang mit Vertreterinnen und Vertretern von Medien war ruhig, gelassen, aber dezidiert.
Die Stadt Haßfurt hatte keine Berührungsängste
Für die Stadt Haßfurt war es 2004 eine Selbstverständlichkeit, anlässlich des 80. Geburtstags ihres berühmtesten Sohnes einen großen Empfang zu bereiten, was nicht überall auf Begeisterung stieß. Rudi Eck, zu diesem Zeitpunkt Bürgermeister der Kreisstadt, zudem bekennender Christ und damals noch CSU-Mitglied, erklärte, er habe überhaupt keine Probleme mit dem Kirchenkritiker. Dass er, also Eck, katholisch geprägt sei, mache ihn nicht blind für die Kritik an der Institution Kirche. Und Deschners Kritik beruhe auf sorgfältig recherchierten Fakten, befand das Stadtoberhaupt vor 20 Jahren. Es waren die Giordano-Bruno-Stiftung und sein Verlag, der Rowohlt-Verlag, die Deschner 2004 zusammen mit der Stadt Haßfurt ehrten.
Im Laufe seines langen Lebens erhielt Karlheinz Deschner zahlreiche Preise und Auszeichnungen, darunter den Alternativen Büchnerpreis. Er sah sich aber auch immer wieder der Kritik insbesondere aus kirchennahen Kreisen ausgesetzt, etwa der Einseitigkeit der Quellenauswahl bei seinen historischen Abhandlungen oder dem Vorwurf eines fatalistischen Weltbildes. Die seit seinem Tod bekannt gewordenen Missbrauchskandale in den großen Kirchen hätten ihn sicher nicht optimistischer gemacht – und wären für ihn Stoff für weitere Bände seiner Kriminalgeschichte gewesen.
Neuerscheinung zum 100. Geburtstag
Aus der Fülle von Deschners literarischem Schaffen ragt ein Werk heraus: die 1989 erstmals erschienene Liebeserklärung an seine Heimat mit dem Titel "Dornröschenträume und Stallgeruch. Über Franken, die Landschaft meines Lebens." Anlässlich seines 100. Geburtstags erscheint nun im Alibri-Verlag folgender Titel neu: "Karlheinz Deschner. Die Landschaft meines Lebens. Über Franken und die Rhön" (136 Seiten, gebunden, mit Fotografien von Anton Kaiser).