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HASSFURT
Karlheinz Deschner: Kämpfer gegen die Kirche
Karlheinz Deschner: Der Haßfurter Religionskritiker hat seine „Kriminalgeschichte des Christentums“ vollendet. Es hat über 40 Jahre gedauert. Und aus den geplanten 320 Seiten sind fast 6000 geworden.
Von unserem Redaktionsmitglied Ralph Heringlehner
 |  aktualisiert: 10.03.2013 17:50 Uhr

Die Konzentrationsfähigkeit lässt nach“, klagte Karlheinz Deschner schon vor neun Jahren im Gespräch mit dieser Zeitung. Da war seine „Kriminalgeschichte des Christentums“ bei Band acht angelangt. Zwei Bände wollte er noch schaffen, um – aus seiner Sicht – Verbrechen der christlichen Kirchen zu protokollieren und Kriege, die in ihrem Namen geführt wurden – „von den Ursprüngen des Alten Testaments“ an. Jetzt ist Band zehn erschienen. Der in Haßfurt lebende Theologe und promovierte Germanist ist am Ende der Arbeit angelangt, die zum Lebenswerk wurde – über 40 Jahre, nachdem er die ersten Worte seiner Generalabrechnung in eine mechanische „Olympia“-Schreibmaschine tippte.

Mit 320 Seiten ist der neue Band der schmalste des zehnbändigen Opus. Vielleicht ein weiteres Indiz fortschreitenden Alters: Deschner wird am 23. Mai 89 Jahre alt. Aber die „Kriminalgeschichte“ ist ihm ohnehin extrem aus dem Ruder gelaufen. Der Vertrag, den Deschner 1970 mit dem Rowohlt-Verlag schloss, sah einen einzigen Band vor, mit 320 bis 350 Seiten. Er sollte im Frühjahr 1973 erscheinen. Es wurden alles in allem 5820 Seiten, der erste Band erschien 1986, der letzte kommt jetzt in die Läden. Trotz der Menge: Deschner ist nicht wirklich fertig geworden. Band zehn, der definitiv letzte, reicht gerade mal an die Schwelle des 19. Jahrhunderts. Es fehlen also 200 Jahre in der Kampfschrift gegen die Kirche. Eine erweiterte Ausgabe von Deschners „Die Politik der Päpste“ von 1981 soll ersatzweise die Lücke schließen.

Der streitbare Haßfurter wollte nicht mehr und nicht weniger als „das Werk zu einer der größten Anklagen machen, die je ein Mensch gegen die Geschichte des Menschen erhoben hat“, wie sich sein Lektor Hermann Gieselbusch im Nachwort erinnert. Zudem ist Deschner ein penibler Arbeiter – auch das ließ das Werk ausufern. Auch in Band zehn hat er akribisch und mit viel Recherchefleiß Daten und Fakten zusammengetragen, die untermauern sollen, wie sich Gräueltaten, Völkermorde und Folterungen durch die Geschichte der christlichen Kirchen ziehen.

Echter Lesestoff ist das nicht, dazu ist, wohl bewusst, die Sprache zu trocken. Es ist eher eine Art Enzyklopädie für Kirchenkritiker. Gallig wird Deschner im letzten Kapitel: „Ja, es muß ein eigentümliches Vergnügen sein, von Jahrhundert zu Jahrhundert im Blut der Menschen zu schwimmen und Halleluja zu rufen! Es muß ein eigentümliches Vergnügen sein, fast zwei Jahrtausende hindurch zu lügen, zu fälschen und zu täuschen.“

Als Deschner mit der „Kriminalgeschichte“ begann, hatte er schon einen Ruf als Kirchen- und Religionskritiker. Man schrieb gegen ihn an. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ nannte ihn „Advocatus Diaboli“ – Anwalt des Teufels. Experten warfen ihm unwissenschaftliches Arbeiten vor. Ein dickes Buch mit Aufsätzen gegen Deschner erschien. 1971 stand er wegen „Kirchenbeschimpfung“ in Nürnberg vor Gericht. Der Fall wurde wegen Geringfügigkeit eingestellt.

So groß ist die Aufregung um den gebürtigen Bamberger und sein Werk heute nicht mehr. Vielleicht, weil die „Kriminalgeschichte“ über die Jahrzehnte an Schwung und Brisanz verloren hat. Vielleicht, weil es heute generell mehr Kritik an Kirchen und Religionen gibt und Deschner nur einer Stimme unter vielen ist.

Wer Karlheinz Deschner kennenlernt, trifft nicht auf einen eifernden Wüterich. Er sieht einen körperlich eher zerbrechlich wirkenden Intellektuellen vor sich, der sich – geprägt von Kant und Schopenhauer – sehr viele Gedanken macht über fast jeden Satz, den er schreibt. Der im Gespräch einen Gedankengang auch zweimal aufrollt – auf der Suche nach größtmöglicher sprachlicher Präzision. Seine Gedanken führt er konsequent (manche sagen: stur) zu Ende und zieht seine Schlüsse.

Das klingt nach missionarischem Eifer. Doch der sei ihm fremd, beteuerte Deschner einmal. Warum hat er dann die Sisyphusarbeit der „Kriminalgeschichte“ auf sich genommen, hat über Jahrzehnte hinweg zwölf Stunden täglich recherchiert, getippt, werktags, sonntags, feiertags? „Manche Dinge müssen einfach gesagt werden. Sauereien muss man aufdecken“, kam die lapidare Antwort. Der Kritiker, der über so viele Menschen in der Kirchengeschichte ein hartes Urteil fällt, ist selbstkritisch genug, um mit Goethe zu sagen: „Ich kann mir kein Verbrechen denken, das ich nicht unter den gegebenen Umständen auch hätte tun können.“

Karlheinz Deschner: Kriminalgeschichte des Christentums, Band 10 – 18. Jahrhundert und Ausblick auf die Folgezeit (Rowohlt, 320 Seiten, 22,95 Euro)

Die Politik der Päpste (Alibri, erweiterte Neuauflage, 1100 Seiten, 59 Euro)

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