zurück
Sand am Main
"Einflussnahme" auf Bürgermeisterwahlkampf? CSU kritisiert Veröffentlichung von Leserbrief in Sander Gemeindeblatt
Die Kommunalaufsicht hatte sich eingeschaltet und Bürgermeister Ruß vor einem Verstoß gegen die Neutralitätspflicht gewarnt. Der weist die Kritik zurück.
Julian Müller (links) applaudiert Bürgermeister Bernhard Ruß zum Abschied.
Foto: Lukas Reinhardt | Julian Müller (links) applaudiert Bürgermeister Bernhard Ruß zum Abschied.
Lukas Reinhardt
 |  aktualisiert: 08.02.2024 13:17 Uhr

Es ist das Ende einer Ära. Nach drei Jahrzehnten verlässt Bernhard Ruß das Sander Rathaus. Das Schwergewicht der regionalen Sozialdemokratie wird Ende des Monats in den Ruhestand verabschiedet.

Doch Ruß' politisches Vermächtnis droht, Kratzer zu bekommen. Denn in der letzten Gemeinderatssitzung, die er als Bürgermeister leitete, kamen unangenehme Themen auf den Tisch. Vorwürfe aus den Reihen der CSU etwa, die Ruß eine "bewusste Einflussnahme" auf den Bürgermeisterwahlkampf im Frühjahr 2023 unterstellen. So formuliert es der gescheiterte Kandidat der Christsozialen, Julian Müller. Ruß, das vorweg, widersprach dem vehement. Auch die CSU wehrte sich gegen Vorwürfe. Nun sollte die Aufarbeitung stattfinden.

Leserbrief soll falsche Fakten verbreitet haben

Im Kern ging es um einen möglichen Verstoß gegen das Neutralitätsgebot, dem Gemeindeverwaltungen grundsätzlich unterliegen. Streitpunkt waren unter anderem zwei Leserbriefe, erschienen in der Märzausgabe der Sander Gemeindenachrichten, dem Mitteilungsblatt des Ortes. In der heißen Phase des Wahlkampfes richteten sich deren Autoren mit deutlichen Worten gegen den damaligen Bürgermeisterkandidaten Julian Müller. Der junge und ebenso ehrgeizige Hoffnungsträger seiner Partei, für den es in den vergangenen Jahren stetig bergauf gegangen war, verlor das Rennen um das Sander Rathaus bereits im ersten Wahlgang. Das war im Mai.

Die Verfasser der Leserbriefe kritisierten in ihren Meinungsbeiträgen im März dessen vermeintliche "Selbstdarstellung" und "Wahlwerbung" auf Sander Seniorennachmittagen, die eigentlich überparteilich sein sollten. Müllers Vorwurf: Zumindest einer der Leserbriefe soll falsche Fakten über ihn verbreitet und damit unumstößlich Gerüchte in die Welt gesetzt haben. Die Verwaltung hätte diesen nicht abdrucken dürfen. Dieser Meinungsbeitrag hatte es zudem in die Märzausgabe geschafft, obwohl der Redaktionsschluss um einen Tag überschritten war, als er im Rathaus eintrudelte. Offenbar aus technischen Gründen, wie Ruß betonte.

"Es ist nicht unüblich, dass Beiträge angekündigt werden und erst nach dem offiziellen Redaktionsschluss elektronisch vorliegen."
Bernhard Ruß, Bürgermeister Sand, SPD

Hat das sozialdemokratisch geführte Rathaus, das den redaktionellen Teil des Mitteilungsblattes verantwortete, hier also bewusst ein Auge zugedrückt, wie zumindest die CSU es nun unterstellt? Bernhard Ruß sprach in seiner Stellungnahme vor dem Gemeinderat von einem gewöhnlichem Vorgang. Es sei "nicht unüblich", dass Beiträge – wie in diesem Fall – rechtzeitig telefonisch angekündigt würden und erst nach dem offiziellen Redaktionsschluss elektronisch vorliegen. Das hätten in der Vergangenheit "alle im Gemeinderat vertretenen Parteien und Gruppierungen praktiziert". Auch die CSU? Müller möchte dies auf Nachfrage weder ausschließen noch bestätigen. Er entgegnet aber: "Es ist ein Unterschied, ob ich einen sachlichen Beitrag oder einen Leserbrief mit Unwahrheiten während des Wahlkampfes nach Redaktionsschluss einreiche."

Kommunalaufsicht warnte vor Konsequenzen

Die Kommunalaufsicht im CSU-geführten Landratsamt Haßberge jedenfalls bekam Wind von den Vorkommnissen in Sand. Nach einem "Hinweis", wie es in einer schriftlichen Stellungnahme vom 13. April heißt, die dieser Redaktion vorliegt. Die Rüge, die auf diesen Hinweis hin folgte, war eindeutig: Die Kommunalaufsicht warnte Bürgermeister Ruß vor einem drohenden "Verstoß gegen die Neutralitätspflicht der Gemeinde(verwaltung)". Man rate dringend davon ab, "im Vorfeld von Wahlen (...) Leserbriefe" oder "nicht neutrale Berichterstattung über zur Wahl stehende Kandidaten oder Parteien" in Gemeindeblättern abzudrucken. "Diese Aufforderung gilt insbesondere für die anstehende April-Ausgabe des Mitteilungsblattes von Sand am Main", machte die Behörde deutlich.

Die Kommunalaufsicht warnte zudem vor möglichen Konsequenzen. So bestünde "bei der Veröffentlichung weiterer politischer Meinungsäußerungen ein nicht geringes Risiko, dass das Landratsamt Haßberge die Wahl infolge einer Wahlanfechtung für ungültig zu erklären hat". Geschehen ist das nicht. Auch, weil Ruß eigenen Angaben zufolge "unverzüglich" auf das Schreiben der Kommunalaufsicht reagiert habe, obwohl er, wie Ruß weiter betont, "die Argumentation nicht ganz nachvollziehen" habe können. Seit Erscheinen des Mitteilungsblattes vor 46 Jahren würden auch Leserbriefe veröffentlicht. 

Bayerischer Gemeindetag sieht "riskantes Terrain"

"Es ist ein riskantes Terrain", sagt Wilfried Schober vom Bayerischen Gemeindetag. Der Verband tritt vor allem in beratender Funktion für die Kommunen im Freistaat auf. Auch Schober hatte im Frühjahr 2023 die Kontroverse um die Leserbriefe mitbekommen, nachdem das Sander Rathaus um eine Experteneinschätzung zum Thema angefragt hatte. Tendenziell sollte ein Mitteilungsblatt ein Mitteilungsblatt sein, kein Medium für Meinungsäußerungen, so die Bewertung aus München im Gespräch mit dieser Redaktion. 

Dennoch obliege es den Gemeinden, genauer: den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, hier im rechtlich vorgegebenen Rahmen zu agieren. Statt Entscheidungen von Einzelnen befürwortet Schober aber den überparteilichen Konsens. Sein Vorschlag: "Ein Arbeitskreis, der sich aus Mitgliedern des Gemeinderats zusammensetzt, könnte Richtlinien für Veröffentlichungen in Mitteilungsblättern erarbeiten." Diese würden schließlich vom gesamten Gremium verabschiedet. Kontroversen könnten so vermieden werden. Denn Schober beobachtet auch: "Der politische Kampf wird immer härter geführt."

"Ein Arbeitskreis, der sich aus Mitgliedern des Gemeinderats zusammensetzt, könnte Richtlinien für Veröffentlichungen in Mitteilungsblättern erarbeiten."
Wilfried Schober, Bayerischer Gemeindetag

Mitunter war auch Sand in der Vergangenheit dafür bekannt, dass die Bürgermeisterwahlkämpfe reichlich Störgeräusche mit sich bringen. Eine Antwort auf die Frage, inwieweit die Leserbriefe dem Kandidaten der CSU im Kampf ums Rathaus tatsächlich geschadet haben, ist kaum möglich. Innerhalb des Sander Ortsverbandes hatte es nach der Wahl offenbar aber dennoch Stimmen gegeben, die eine Anfechtung in Betracht zogen, "wegen der Aufregung nach dem ersten Ergebnis", vermutet Müller. In einer Vorstandssitzung sei schließlich die Entscheidung gefallen, davon abzusehen. 

"Es hätte zum Schluss auch einfach eine Entschuldigung getan", so Julian Müller. Er nutzte die Sitzung auch, um die falschen Tatsachenbehauptungen richtigzustellen. Für ihn sei das Thema damit abgehakt, auch zum Wohle von Sand. Immerhin in diesem Punkt herrschte unter den Mitgliedern des Sander Gemeinderats Einigkeit. 

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Sand am Main
Lukas Reinhardt
Bernhard Ruß
CSU
Kommunalaufsicht
Rathäuser
Ruß
Stadträte und Gemeinderäte
Wahlanfechtungen
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • B. S.
    Nun gut, aber wieso wird denn nicht der wichtigen Frage nachgegangen, welche angeblich "falschen Fakten" hier verbreitet worden seien? Es ist doch z.B. recht leicht zu überprüfen, wer und wann bei den Sander Seniorenveranstaltungen innerhalb des letzten Jahes "aufgetreten" ist. Also ein bißchen investigativ darf es schon mal sein...
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten