
Zeiler Eulengrund, 5. Oktober 2024: Ein letztes Mal in diesem Jahr rückt der Winzer Roger Nüßlein mit seinem Helfertrupp zur Weinlese aus. Er ist Inhaber eines Weingutes in Zeil und zudem Vorsitzender des Weinbauvereins Haßberge.
Der Helfertrupp besteht aus seiner Familie. Eltern, Tante und Sohn wissen, was zu tun ist. Lange brauchen sie nicht, nach zwei Stunden legen sie die Scheren wieder beiseite. Es sei wie an den vorherigen Lesetagen. Die Qualität: vielversprechend. Die Menge: katastrophal.
Befürchtungen aus dem Frühjahr sind eingetreten
"Was wir im Frühjahr befürchtet haben, ist eingetreten", fasst Nüßlein zusammen. Denn bereits im April hatte er im Gespräch mit der Redaktion gesagt: "So schlimm war's noch nie." Frostnächte hatten das Weintal hart getroffen und er zeigte sich erschrocken über das Schadbild.
Nun sind einige Monate vergangen, die Ernte ist eingefahren. Seine Bilanz: Zwei Drittel weniger Ertrag als in den Vorjahren, manche Weinberge seien so rar mit Trauben bestückt, dass sich die Ernte nicht lohnt. "Große Schädigungen bei Müller-Thurgau und Domina", lautet sein Fazit.
Er blickt auf das Geschehen 2024 zurück: Begonnen habe das Malheur bereits im zeitigen Frühjahr, berichte er: Frühlingshafte Temperaturen und Sonnenstunden im März hatten zur Folge, dass die Rebstöcke schon Anfang April austrieben, statt wie üblich im Mai.

Das Holz sei winterhart bis minus 20 Grad, doch: "Bei Austrieb tickt die Uhr." So trat ein, wovor sich die Winzer Jahr für Jahr fürchten: Der Frost kam Ende April zurück. Nicht unüblich für die Jahreszeit, doch zu spät für die bereits ausgetriebenen Rebstöcke. Und das in einer Art und Weise, wie es selbst sein Vater, der seit 75 Jahren im Weinbau aktiv ist, bisher noch nie erlebt hatte: Windfrost traf das Abt-Degen-Weintal mit voller Wucht.
Wenn der Frost auch Lagen erwischt, die sonst geschützt sind
Nüßlein erklärt die Besonderheit dieses Wettergeschehens: "Bisher hatten wir nur den sogenannten Inversionsfrost gekannt. Die Wolkendecke verzieht sich, die von der Frühlingssonne erwärmte Luft steigt gen Himmel, in wolkenfreien Nächten bis ins All. Die Kälte läuft nach unten und ergreift klassische Frostlagen."
In diesem Jahr habe der Wind den Frost mitgebracht und in bisher geschützte Steilhanglagen hineingetrieben. Verschiedene Faktoren seien zusammengekommen: Der verfrühte Austrieb, Schneefall, durch den die Triebe nass waren, und dann der Frost.
Mit bei der Ernte dabei ist Anton Nüßlein, Vater des aktuellen Betriebsinhabers. Für ihn ist Ernteausfall nicht wirklich neu: "Als ich angefangen habe, gab es drei absolute Missernten hintereinander, 1955, 1956 und 1957. Die Ernte 1958 war dann sehr gut." Mit einem bis drei Ausfällen in zehn Jahren hätten sie zur damaligen Zeit stets rechnen müssen. Geerntet hätten sie stets einige Wochen später, "den Riesling erst nach Allerheiligen."

Dann habe sich in den letzten Jahrzehnten klimabedingt die Anzahl der Missernten verringert. Doch nun kämen die Probleme zurück, ebenfalls aufgrund des Klimawandels, durch die verlängerte Vegetationsperiode sowie durch die Wahrscheinlichkeit und Art der Frostgeschehen.
Falscher Eindruck für Spaziergänger: Die Pflanzen sehen gesünder aus als sie sind
Stockausfälle gab 2024 es nur wenige: "Der Rebstock war geschockt, trieb jedoch wieder nach, allerdings nur Wasserschösslinge", sagt Roger Nüßlein. Dann die Problematik mit dem feuchten Sommer, Pilze, Mehltau, Hagel, und noch die Kirschessigfliege: "Was der Frost nicht geholt hat, da haben andere zugelangt."
Für einen Spaziergänger, der sich mit dem Weinbau nicht auskennt, mag das alles verwunderlich klingen. "Die Winzer jammern ja bloß", bekomme Nüßlein zuweilen zu hören. Das wundert ihn nicht, denn die Rebstöcke zeigten sich in einer üppigen Pracht mit wunderschöner Herbstverfärbung. Doch es gibt nur sehr wenige Trauben: "Ernteausfall, wohin das Auge reicht. Für den Landkreis ein schwieriger Jahrgang."
Kundinnen und Kunden brauchen deshalb aber nicht viel tiefer in die Tasche zu greifen als bisher: "Die Preisstruktur wird sich nicht wesentlich verändern", sagt Roger Nüßlein. Er sieht bei seinem Betrieb auch keine Absatzprobleme, der Direktvertrieb sei auf einem guten Niveau.