An diesem Freitag berät der Bundestag in erster Lesung über das sogenannte Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Mit diesem Gesetz sollen Unternehmen wie Facebook, Twitter und Co. unter Androhung millionenschwerer Bußgelder verpflichtet werden, rechtswidrige Inhalte in ihren Netzwerken konsequent zu löschen. Die Bundesregierung und die Fraktionen von SPD und CDU/CSU stehen mehrheitlich hinter dem Entwurf, der noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden soll. Kritiker fürchten einen Angriff auf die Meinungsfreiheit. Zu ihnen gehört auch die CSU-Politikerin Dorothee Bär. Die Unterfränkin ist Staatssekretärin im Ministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur.
Frage: Frau Bär, Sie lehnen den Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Heiko Maas, mit dem Hass und Hetze in den Sozialen Netzwerken bekämpft werden sollen, im Gegensatz zur Mehrheit in den Regierungsfraktionen ab. Warum?
Dorothee Bär: Weil es sich um einen Schnellschuss handelt. Bei diesem Entwurf handelt es sich nicht um ein Durchsetzungsgesetz, wie uns der Titel vorgaukelt, sondern um ein Verantwortungsverlagerungsgesetz. Unternehmen sollen beim Beurteilen von Rechtswidrigkeit Aufgaben übernehmen, für die eigentlich Behörden und Justiz zuständig sein sollten.
Was spricht dagegen, Facebook und Co. auf Recht und Gesetz zu verpflichten? Was im analogen Leben strafbar ist, muss auch im Netz strafbar sein.
Bär: Ja, klar. Ich will auch, dass rechtswidrige Inhalte in Sozialen Netzwerken bekämpft und konsequent verfolgt werden. Wir brauchen da Verbesserungen. Und ich möchte die Unternehmen auch nicht von ihrer Verantwortung freistellen. Aber mich ärgert, dass manche glauben, wir machen jetzt schnell dieses Gesetz und dann gibt es keine Probleme mehr. Die bleiben trotzdem bestehen.
Was stört Sie konkret?
Bär: Der Gesetzentwurf verlagert komplexe rechtliche Prüfungen von der Justiz auf die Schultern privater Betreiber. So leicht darf es sich die Politik nicht machen. Der Entwurf ist unausgegoren, viele Experten sehen erhebliche praktische, politische und verfassungsrechtliche Bedenken. Es geht insbesondere um den Schutz der Meinungsfreiheit.
Aber Facebook greift doch ständig in die Meinungsfreiheit ein. Wenn Kinderpornografie gelöscht wird, sind sich alle einig, dass das richtig ist. Warum sollen sie nicht auf der Grundlage geltenden Rechts auch von sich aus Verleumdungen oder Volksverhetzung blockieren oder löschen?
Bär: In der Vergangenheit haben die Unternehmen tatsächlich zu wenig getan. Man muss aber auch sehen, die Herausforderungen, die sich durch die Digitalisierung ergeben, sind relativ neu. Auch die Straßenverkehrsregeln sind nicht über Nacht entstanden, die wurden sukzessive entwickelt. Es gibt keinen Grund, so ein Gesetz übers Knie zu brechen.
Es gab doch bislang eher den Vorwurf, Maas habe viel zu lange Geduld mit den Konzernen gehabt.
Bär: Weil das Justizministerium die ganze Legislaturperiode nichts tut, rechtfertigt das doch nicht, nun ein Gesetz durchzupeitschen, von dem schon klar ist, dass es reihenweise Klagen provoziert. Dann lieber ruhig und besonnen nach der Bundestagswahl im Herbst.
Nehmen wir den Würzburger Fall, das Beispiel des syrischen Flüchtlings Anas Modamani, der auf Facebook nachweislich zu Unrecht als Terrorist und Verbrecher verleumdet wurde. Dem hat weder Facebook geholfen noch die Justiz. Wie könnte denn eine Regelung aussehen, die Sie mittrügen?
Bär: Beispielsweise ist zu überlegen, wie man die Mitwirkungswirkungspflichten der Unternehmer klarer fasst, damit die Justiz Straftaten konsequenter verfolgen kann. Außerdem müssen die Plattformen schneller und transparenter über den Umgang mit vermeintlichen Verstößen entscheiden, die gemeldet wurden. Die Portale müssen da nutzerfreundlicher werden. Und bei strittigen Entscheidungen muss auch die Justiz schneller werden. Da gibt es auch Versäumnisse. Einige Verbesserungen gegenüber dem ersten Entwurf hat unser Ministerium schon durchgesetzt.
Welche?
Bär: So wurde klargestellt, dass eine falsche Bewertung schwieriger Rechtsfragen oder unklarem Sachverhalt nicht gleich zu einer Sanktion führen darf. Sonst wird zu schnell einfach auf Verdacht gelöscht.
Was spricht eigentlich dagegen, Soziale Netzwerke wie die klassischen Medien unters Presserecht zu stellen. Diese Redaktion ist mitverantwortlich, wenn Dritte Sie oder andere Politiker in Leserbriefen oder Online-Kommentaren beleidigen. Warum gilt das nicht für Facebook und Co.?
Bär: Wie viele Leserbriefe bekommen Sie zugeschickt? Das Internet hat eine ganz andere Dimension. Es ist eben die Frage, ob die Unternehmen so eine Kontrolle leisten können und sollen.
Der bayerische Justizminister, ihr Parteifreund Winfried Bausback, sagt sogar, Beleidigung im Internet müsste deutlich höher bestraft werden als Beleidigung im analogen Leben.
Bär: Warum?
Weil eine Beleidigung bei Facebook eine ganz andere Wucht entfacht als eine Beleidigung auf der Straße oder im Wirtshaus.
Bär: Ich bin eigentlich entspannter, wenn ich digital bedroht oder beleidigt werde als wenn mich jemand per Brief beschimpft. Ersteres kann ich als spontanen Ärger abtun. An einem Brief hat der Absender länger gearbeitet und womöglich sogar eine Nacht drüber geschlafen. Das finde ich dramatischer als ein Druck auf den „Senden“-Knopf in der Hitze des Gefechts.
Haben Sie keine Angst, dass sich das Miteinander in der Gesellschaft verändert, wenn die schnelle Beleidigung oder Verleumdungen Alltag sind?
Bär: Doch, die habe ich. Aber das lösen wir nicht über so ein Gesetz, wie es jetzt diskutiert wird. Das ist ein anderes Thema. Deshalb setze ich mich schon seit Jahren für ein Schulfach Medienkunde ein. Netiquette und Grundregeln digitaler Kommunikation müssen schon im Kindergarten und in der Grundschule gelehrt werden. Wir haben viel zu viele digitale Analphabeten. Die Lage ist dramatisch. Ob ein Kind kompetent mit dem Internet umgehen kann, hängt nicht mal vom Bundesland ab, sondern allein vom Engagement einzelner Lehrer oder Schulen. Ich bin Schirmherrin einer Mädchenrealschule in Oberbayern, da darf keine einzige Schülerin abgehen, die nicht mindestens eine Programmiersprache kann.
In der Nachbarschule, in der gleichen Stadt, kümmert sich niemand drum, also beherrscht es auch niemand. Jedes Kind muss die Grundzüge des Programmierens kennen, so wie Englisch oder Mathematik. Und das Lernen mit Tablets sollte auch selbstverständlich sein. Dann müssten die Kinder auch nicht mehr so schwere Schulrucksäcke tragen und hätten keine Schulbücher mehr mit veralteten Lerninhalten.
Ein Thema für ein mögliches Digitalisierungsministerium?
Bär: Definitiv. Als ich so ein Ministerium vor vier Jahren in den Koalitionsverhandlungen gefordert habe, hat man mich noch belächelt. Jetzt hat sich sogar unser Parteivorsitzender Horst Seehofer den Vorschlag zu eigen gemacht. Das freut mich. Er möchte sogar je ein eigenes Digitalministerium für Bund und Land. Bayern muss digitales Bundesland Nummer eins werden.
Digitalisierungsministerin, wäre das nicht auch ein schöner Posten für Sie nach der Bundestagswahl?
Bär (lacht): Sie wissen doch, ich finde alle Themen spannend in der Politik. Vorher müssen wir aber erst einmal die Bundestagswahl gewinnen.