In einer E-Mail der Königsberger Bürgerwehr an die Redaktion dieser Zeitung schwingt eine gewisse Verzweiflung mit: "Bei uns gehen die Teilnehmerzahlen auch immer mehr zurück. Deshalb möchten wir uns wieder ins Gedächtnis zurück rufen." Mit diesen Worten appelliert die Bürgerwehr an die Medien, eine Pressemitteilung zu veröffentlichen, die auf eine Infoveranstaltung für neue Mitglieder hinweist.
Auch die Internetseite der Bürgerwehr liest sich, als würden dringend Teilnehmer gesucht. Denn dort wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nicht nur alteingesessene Königsberger, sondern auch Zugezogene teilnehmen dürfen, und weiter heißt es: "Egal was man am Stammtisch hört: Auch wer in Ortsteilen wohnt, darf mitmarschieren." Doch eine sehr große Personengruppe bleibt von der Teilnahme ausgenommen: Frauen.
Ist es noch zeitgemäß, Frauen weiterhin auszuschließen?
"Alle männlichen Königsberger der Stadt und ihrer Ortsteile ab 14 Jahren sind willkommen", heißt es in der Pressemitteilung der Bürgerwehr. Aber ist eine solche Regelung noch zeitgemäß? Es handelt sich bei der Bürgerwehr um eine Tradition, die aus einer Zeit stammt, in der die Gleichberechtigung von Männern und Frauen noch nicht ansatzweise so weit vorangeschritten war wie es heute ist. Klar, dass im Gründungsjahr 1848 an eine marschierende Frau in Uniform nicht zu denken gewesen wäre. Aber ist das ein Grund, weibliche Teilnehmerinnen auch heute noch auszuschließen?
"Die Frage wurde in der Vergangenheit schon diskutiert und beschäftigt uns weiterhin sehr", antwortet Manfred Barfuß, der derzeitige Hauptmann der Bürgerwehr, auf die schriftliche Anfrage dieser Redaktion. "Aktuell agieren wir nach den Traditionen und Vorgaben aus den Gründungsjahren."
Wie es damals zur Gründung der Bürgerwehr kam, ist auf deren Internetseite nachzulesen. Demnach schrieben die Königsberger nach dem Ausbruch der Deutschen Revolution im März 1848 einen Brief an den Herzog von Sachsen-Coburg, in dem sie Verbesserungen für ihre Stadt und ihre persönlichen Lebensumstände fordern. Die Revolution und Unruhen in der Nachbarschaft führten dann im April dazu, dass sich eine "gegen 100 Mann starke Sicherheitswache" bildete.
Wenn Frauen aufgenommen werden, muss das aus Überzeugung geschehen
"Voller Eifer wird exerziert, die Königsberger Frauen und Jungfrauen sammeln in der Stadt und stiften die schwarz-rot-goldene Fahne, die der Coburger Knopfmacher Dünisch anfertigt", beschreibt die Webseite weiter die Ereignisse des Jahres 1848 in Königsberg. Und eben diese bis heute erhaltene Fahne spielt nun auch eine Rolle bei der Frage nach Frauen in der Bürgerwehr. Denn bei den Pfingstauszügen der Bürgerwehr, die bis heute stattfinden, handelt es sich explizit um eine Veranstaltung zu Ehren der Frauen, die die Fahne gestiftet haben, wie Kommandant Barfuß berichtet.
Der Kommandant will auch die Rolle der weiblichen Bevölkerung von Königsberg nicht kleinreden: "Frauen sind bereits heute ein wichtiger Teil unserer Bürgerwehr. Sie unterstützen bei vielen Anlässen", schreibt er. Und: Barfuß will nicht ausschließen, dass irgendwann die Entscheidung fällt, auch Frauen bei der Bürgerwehr teilnehmen zu lassen.
"Bei den letzten Auszügen war die Mannschaftsstärke bei circa 80 Personen, in den Jahren davor waren es auch mal 100", schreibt Barfuß. "Grundsätzlich gibt es keine Untergrenze, aber unterhalb von 72 Mannschaften wird es schon kritisch." Mittlerweile hat sich allerdings gezeigt, dass die Bürgerwehr durchaus optimistisch auf den diesjährigen Pfingstauszug blicken kann. Denn am Freitagabend fand die Infoveranstaltung für neue Teilnehmer statt und die stieß auf große Resonanz.
"Es war sehr gut, zwölf Leute sind gekommen", freut sich Barfuß bei einem Telefonat am Samstag. Das seien mehr Neulinge, als die Bürgerwehr in den letzten Jahren gewinnen konnte. "Sowohl junge als auch ältere." Damit dürfte es in diesem Jahr möglich sein, an Pfingsten mit über 90 Mannschaften auszuziehen. Rechnet man auch das Kommando, also den Hauptmann und seine Offiziere, mit, kommen sie wohl auf eine Teilnehmerzahl von etwas über 100.
Eines ist ihm aber wichtig: Wer mitmarschieren darf, sollte nie davon abhängen, wie schwierig es ist, Teilnehmer zu finden. "Wenn wir Frauen zu den Auszügen zulassen, dann aus Überzeugung, das Richtige für die Tradition und Zukunft der Bürgerwehr zu tun, nicht um die Reihen aufzufüllen."
Und wie würde die Bürgerwehr reagieren, wenn eine Frau offen Interesse an der Teilnahme bekunden würde? "Wir würden uns über das Interesse freuen, dies im Kommando diskutieren und zu einer Entscheidung führen. Diese Frage wird immer wieder gestellt werden", schreibt Barfuß. Der Bürgerwehr-Kommandant berichtet auch, er habe durchaus im Blick, wie andere Traditionsvereine mit der Frage umgehen.
Fall aus Memmingen: Gericht verbietet den Ausschluss von Frauen
Für mediales Aufsehen gesorgt hatte im vergangenen Jahr auch ein Gerichtsverfahren, in dem es um die Frage ging, ob es überhaupt zulässig sei, Frauen von Traditionsveranstaltungen auszuschließen. Hintergrund der Verhandlung vor dem Amtsgericht im schwäbischen Memmingen war der dortige Fischertag. Bei dieser Traditionsveranstaltung steigen jedes Jahr Menschen in den Memminger Stadtbach, um dort mit bloßen Händen Fische zu fangen. Bisher war die Teilnahme daran nur Männern erlaubt. Die Tierärztin Christiane Renz wollte ebenfalls teilnehmen und klagte deshalb wegen Diskriminierung. Bei der Verhandlung im Sommer 2021 bekam sie Recht und darf daher künftig aktiv dabei sein.
Das Urteil zeigt: Vor Gericht haben Frauen durchaus Chancen, wenn sie ihre Teilnahme an Traditionsveranstaltungen einklagen wollen. Dass es in Königsberg so weit kommen würde, scheint bei den besonnenen und differenzierten Antworten des Bürgerwehr-Hauptmanns Manfred Barfuß aber eher unwahrscheinlich.
Mit Rechtsradikalen will die Bürgerwehr nichts zu tun haben
Er ist insgesamt der zehnte Kommandant in der seit 1848 ungebrochenen Geschichte der Königsberger Bürgerwehr, den Posten hat er seit dem Jahr 2007. Ins Amt gewählt wurde er, wie auch seine Vorgänger, bei einer Bürgerversammlung im Rathaus. So verlangt es die Tradition der Bürgerwehr: Diese sieht sich den demokratischen Grundwerten verpflichtet, für die seinerzeit auch die Revolutionäre kämpften, eben deshalb kommt auch nur ein demokratisch gewählter Kommandant infrage.
Diese Werte betont die Vereinigung auch auf ihrer Internetseite, wo sie sich deutlich für Demokratie und Menschenrechte positioniert und in durchaus drastischer Wortwahl von "rechter Kackscheiße" abgrenzt. Denn auch den Königsbergern ist klar, dass der Begriff "Bürgerwehr" mittlerweile auch Assoziationen zu rechtsradikalen Selbstjustiz-Banden hervorrufen kann, mit denen sie nichts zu tun haben wollen.
Organisiert ist die Bürgerwehr nicht als Verein, weshalb die Teilnahme auch nicht mit einer Mitgliedschaft verbunden ist. Es handelt sich vielmehr um eine Vereinigung der Stadt. Oberster Dienstherr ist daher immer der Königsberger Bürgermeister, derzeit also Claus Bittenbrünn.