Der Auszug der Königsberger Bürgerwehr beginnt weitaus früher, als in dem Augenblick, wenn die Fahne den Marktplatz erreicht. Seit Tagen hat Moritz den Stechschritt im heimischen Wohnzimmer geübt. Und wie gebannt, blickt er jetzt in Richtung des Bürgerwehrhauptmanns Manfred Barfuß, hört auf die Befehle, die gerade am Bleichdamm fallen.
Moritz wäre bereit zum Marschieren: Hut auf dem Kopf, Spazierstock am Mann und auch das Blumensträußchen ist dabei. Nur schade: Moritz ist noch nicht einmal zwei Jahre alt und dazu auch kein Königsberger. Was ihn nicht abhält, ein Fan des Bürgerwehrauszugs zu sein, wie seine Mutti verrät. In der Haßfurter Wohnung hat er schon die ganzen Tage Stechschritt geübt. Ganz so, wie sein Onkel Thomas gerade in Aktion ist. Denn der ist Königsberger, gehört zur Bürgerwehr und ist schon seit dem frühen Morgen unterwegs, damit die Tradition auch im 169. Jahr aufrecht erhalten wird.
Denn immerhin ist die Königsberger die einzige Bürgerwehr in Deutschland, die seit dem Revolutionsjahr 1848, als sie gegründet wurde, jedes Jahr am Dienstag nach Pfingsten ausmarschiert. Dabei werden die alten Kommandos benutzt und der Aufmarsch vollzieht sich nach dem Reglement von 1848. Das Kommando trägt die gleichen Uniformen wie seinerzeit. Vor 169 Jahren war der Zweck des Ausmarsches die Wehrtüchtigkeit der Bürgerwehrsoldaten zu überprüfen. Heute hat sich der Auszug der Bürgerwehr inzwischen zu einem Traditionsfest gewandelt.
Und diese Tradition ist Generationen-übergreifend, wie die vielen Besucher sehen konnten. Dabei dürfen erst Jungs ab 14 Jahren mitmarschieren. Was nicht heißen soll, dass sie nicht schon die Luft dieser Tradition schnuppern wollen. So etwa ziehen sie begeistert den „Preis-Wagen“, auf dem die Gewinne für die Teilnehmer bereitliegen. Oder sie reihen sich mal schnell in die Musik mit ein. Wie der kleine Leon, der mit seinen sechs Jahren begeistert mittrommelt, ob bei der Bürgerwehr, oder auch bei der Heimatkapelle Michelau. Die Musiker aus dem Steigerwald bekamen so schon mal ein Lob: „Du musst erst einmal eine Kapelle finden, die am Dienstag Zeit hat.
Und das schon seit Jahrzehnten“, sagte Helmut Vierneusel anerkennend, der inzwischen auch schon rund 30 Jahre beim Auszug dabei ist.
Und wie ihm dürfte es vielen Königsbergern schon früh am Morgen des Pfingstdienstages gegangen sein: es erfasst sie eine bestimmte Art von Unruhe, dann nämlich, wenn die Bürgerwehr mit ihren Böllerschüssen vom Schloßberg herab weckt. Denn dann sind es nur noch eineinhalb Stunden bis zum Höhepunkt der Pfingstfeiertage, das an diesem Tag seinen „Nationalfeiertag“ begeht.
So traten auch am gestrigen Dienstagmorgen wieder über hundert Männer, „bewaffnet“ mit einem blumengeschmückten Gewehr oder Spazierstock in Reih' und Glied vor dem Rathaus an, um auf die Bürgerwehrfahne zu warten. Zuvor wurden noch einmal unter dem Befehl von Oberleutnant Michael Burkard Gewehrgriffe, Drehungen und Wendungen geübt, um auf keinen Fall Bürgerwehrhauptmann Manfred Barfuß negativ aufzufallen, wenn dieser das Bataillon übernahm und seine Befehle über den Marktplatz erschallen ließ. Faszinierend war auch die Antwort der gesamten Mannschaft auf das „Guten Morgen, Leute!“ des Hauptmanns, die wie ein Donnerschlag über den Marktplatz hallte. Es geht den Teilnehmern am Bürgerwehrauszug unter die Haut, wenn die Bürgerwehrfahne am Marktplatz eintrifft und sich zum Lied vom Kameraden senkt. Erinnerungen werden wach, Gefühle tauchen auf.
Zeugen des historischen Schauspiels war auch in diesem Jahr viel Prominenz, darunter Landrat Wilhelm Schneider, der Oberbürgermeister der Stadt Coburg, Norbert Tessmer, sowie Bürgermeisterkollegen von Claus Bittenbrünn. Er erinnerte auch in seiner Ansprache über die Bürgerwehr und ihren historischen Hintergrund, das Streben nach den demokratischen Grundsätzen.
Auch in diesem Jahr wurden Teilnehmer für ihr oftmaliges Ausmarschieren mit der Bürgerwehrmedaille ausgezeichnet. Bittenbrünn überreichte sie an Tambour Dominik Blümmert für 25-malige und an Bürger Ewald Fischer für 50-malige Teilnahme.
Über den Salzmarkt, im Stechschritt an Bürgermeister Claus Bittenbrünn vorbei, ging es dann durch die Altstadt hinaus zum Festplatz, wo der Parademarsch von Hauptmann Manfred Barfuß abgenommen wurde. Sein Urteil : „Es war ein guter Auszug und ein guter Parademarsch.“ Anschließend überreichte er an den ältesten und jüngsten Teilnehmer des Auszuges noch eine flüssige Stärkung. Jüngster Teilnehmer war der 14-jährige Jakob König, ältester Teilnehmer Ernst Zieg, der trotz seiner 79 Jahre noch immer ein begeisterter Mitmarschierer ist.