
Ein blaues Haus, ein verwunschener Garten, eine umherschleichende Katze. Dazu ein kleines Schild an der Eingangspforte: "Handweberei Hans Merkel". Wir sind neugierig geworden, haben geklingelt. Und sind in eine Welt eingetaucht, die ihresgleichen sucht.
Hans Merkel, 67 Jahre alt, aufgeschlossener Blick, drahtig durchtrainierter Körper, öffnet die Pforte. Lädt ein, bei einer Tasse Tee seine Werkstatt zu besichtigen, und auch seine Stoffe, die er zum Verkauf anbietet: Meterware, Seidenschals, Wolldecken, Handtücher, Mützen. Der Handwebermeister ist gerne bereit, über Produkte, Herstellungsverfahren und seine Lebensphilosophie zu plaudern.
1996 die Meisterprüfung erfolgreich abgelegt
Merkel hat sein Handwerk von der Pike auf gelernt. Zunächst ein Kurs in der Eifel, dann als Autodiktat und zehn Jahre später Lohnarbeit in einer Handweberei am Tegernsee. Er erlernte seinen Beruf weitgehend eigenständig, erwarb 1993 den Gesellenbrief und bestand 1996 die Meisterprüfung, beides ohne jegliche Berufsschulausbildung.

Er lernte in Oberbayern, Stoffe für den täglichen Gebrauch zu weben: "Wer nähen wollte, hat sich hier eingedeckt", blickt Merkel zurück auf diese Zeit. Auch Trachtenstoffe sind so entstanden, für das einzelne Dirndl ebenso wie für Vereine, welche ihre Mitglieder mit Einheitskleidung ausstatteten.
Geboren in Hof, wuchs er in Würzburg auf und ging zum Studieren nach Aachen. Vorbilder für den Abiturienten waren Isaac Newton, Nils Bohr und Albert Einstein, er wollte "die Welt verstehen anhand physikalischer Zusammenhänge", denn "der gesunde Menschenverstand irrt allzu oft". Ein Physikbüro wollte er einrichten. Dieses könne helfen, so seine Vision, die Welt besser zu machen.
Wenn auch die Physik die Welt nicht besser macht
Während des Studiums wuchsen Zweifel: Einstein hatte vor der Atombombe gewarnt, von Goethe wird berichtet, er habe den sachlich fundierten Farbenkreis von Newton ins Lächerliche gezogen. Was kann geschehen, wenn die Erkenntnisse der Physikforschung in falsche Hände gerät? Der ersten Bericht des Club of Rom war bekannt, "man konnte also wissen, wohin die Reise geht". Und so kam der Tag, an dem er das Studium erfolgreich abgeschlossen hatte und nichts mit ihm anzufangen wusste.
Merkel ging auf Reisen. Im zeitigen Frühjahr per Fahrrad durch England und Schottland. Ein Neugieriger, der Stürmen und Kälte trotzte, dessen Kleidung jeden Tag wieder durchnässt wurde. Der sich bei Nachmittagstee aufwärmte, um danach wieder in nasser Kleidung auf das Rad zu steigen und weiter zu strampeln. Schneefelder rechts und links, weiter, immer weiter auf der Suche: "Was will ich?"

Vorbei an Schafherden, vorbei an Handwerksbetrieben, die in Jahrhunderte alter Tradition Wolle verarbeiteten: Färben, spinnen, weben. Merkel sprach mit den Menschen, lernte spinnen und die Eigenschaften von Wolle kennen und schätzen: Kleidung, die Jahrzehnte überdauert, Stoffe, die vor Kälte und Nässe bestens schützen, und Muster, die von hohem künstlerisch ästhetischem Anspruch und handwerklichem Können zeugen. Seine Liebe zum Tweed war geweckt: "Zunächst werden in dieser Technik die Fasern gefärbt, in verschiedenen Farben miteinander versponnen, dann dicht gewebt und danach durch Walken beweglich gemacht."
Welch ein Kontrast zur modernen Konsumwelt, in der ein Großteil der Kleidung industriell hergestellte Massenware ist, der Mode unterworfen und oft nur mit sehr begrenzter Haltbarkeit. Mit all der Problematik, die sich aus der Wegwerfmentalität ergeben kann, voran die Schäden für Natur und Umwelt.
Hans Merkel will Stoffe weben, die Jahrzehnte überdauern
Merkels Vision eines erfüllten Arbeitslebens hingegen wurde immer deutlicher: Er wollte Stoffe weben, die Jahrzehnte überdauern. Mit Materialien, welche im Einklang mit der Natur stehen. Und mit einer Technik, die auf Erfahrung aus Jahrhunderten beruht. Auf Webstühlen, die wenig Material benötigen und von Generation zu Generation weitergegeben werden können.

Er hatte das Glück, über eine handwerkliche und gewisse künstlerische Begabung zu verfügen. Zusätzlich eine Freundin zur Seite zu haben, die ihm stets, moralisch und finanziell, zur Seite stand; und schließlich in Tegernsee eine Meisterin, die ihn bestens in der Webkunst unterrichtete und ihn später als Nachfolger auserkor.
Warum der Weber so gut wie keinen Urlaub braucht
Merkel ist Franke und bleibt es. 2004 ergab sich die Gelegenheit, nach Zeil am Main zu ziehen, und seither geht er hier seiner Arbeit nach. "Reich wird man davon nicht", doch dies war auch nie sein Begehr. Er webt, er arbeitet als Künstler, spielt mit Formen und Farben. Er gestaltet seinen Garten, seine Stoffe, sein Leben. Jede Mahlzeit, die er bereitet, für sich, seine Frau und Freunde, zeugt von seiner Hingabe, von seiner Liebe zur Kunst. Er braucht keinen Urlaub, "wie die vielen Menschen, die ansonsten ihre Arbeit auf Dauer nicht aushalten".

Wer bei Merkel einkauft, erwirbt vieles: einen Stoff, der im Einklang mit der Natur steht; der eine Lebensdauer von mehreren Jahrzehnten verspricht; dessen Optik zeitlos ist, keiner Mode unterworfen. Und der seit Jahrhunderten Menschen zu schützen vermag, die widrigsten Wetterverhältnissen ausgesetzt sind, sei es Kälte, Wind oder Regengüsse.
Der Weber verweist auf einen Bericht des Nachrichtenmagazins Spiegel aus dem Jahre 2006: Bergsteiger Graham Hoyland hatte den höchsten Gipfel der Welt bestiegen, den Mount Everest. Seine Kleidung: eine festgewebte, sogenannte Garbadinjacke, zusammengesetzt mit mehreren Schichten aus Schafwolle, Baumwolle und Seidenstoffen. Des Bergsteigers Erkenntnis: "Ungewöhnlich bequem" seien die Kleider gewesen, viel leichter und bequemer als moderne Bergsteigerkleidung aus synthetischen Stoffen".

Wer bei Merkel einkauft, kauft nicht irgendeinen Stoff; er kauft Qualität, Kunsthandwerk, und eine Lebensphilosophie, die ihren Teil dazu beiträgt, mit der Umwelt, den Menschen und der Natur in Einklang zu kommen.