
So manches Buch ist jahrelang in Arbeit, bevor es auf den Markt kommt. Bedeutend schneller ging es bei Sophie von Bechtolsheims "Stauffenberg - Mein Großvater war kein Attentäter". "Vor einem Jahr war von diesem Buch noch nicht die Rede", sagte die Autorin am Donnerstagabend bei ihrer Lesung in Haßfurt. Und dabei hatte ihr Werk in der kurzen Zeit, die es nun auf dem Markt ist, bereits hohe Wellen geschlagen: Sophie von Bechtolsheim hat es in die Top 10 der Spiegel-Bestsellerliste geschafft und vor allem ihr anvisiertes Ziel erreicht, einen Gegenpol zu Thomas Karlaufs "Stauffenberg: Porträt eines Attentäters" zu setzen.
Denn die Autorin und ihre Familie waren erschrocken über das "neue Stauffenbergbild", das Karlaufs Biografie zeichnete, und das "quer durch die Feuilletons" zu positiv und zu unkritisch aufgenommen worden sei. Dabei stehe diese recht negative Darstellung des Mannes, der versuchte, Hitler zu töten, "auf wackligen wissenschaftlichen Beinen". Als Enkelin des berühmten Widerstandskämpfers und studierte Historikerin war Sophie von Bechtolsheim prädestiniert dafür, einen anderen und recht persönlichen Blick auf ihren Großvater zu werfen und diesen auch ihren Lesern zu vermitteln.
Die erste Lesung aus ihrem ersten Buch
Für die im Landkreis Garmisch-Patenkirchen lebende Autorin gab es am Donnerstag eine doppelte Premiere: In Haßfurt hielt sie die erste Lesung aus dem ersten Buch, das sie in ihrem Leben geschrieben hatte. Dass diese erste Lesung gerade hier stattfand, liegt wohl auch daran, dass sie einen Teil ihrer Jugend im Landkreis Haßberge verbrachte, wo ihre Eltern heute noch leben. "Und meine Mutter sitzt in der ersten Reihe, damit stehe ich doppelt unter Druck", sagte sie vor den rund 130 Zuhörern, die in die Mainmühle gekommen waren, um ihr zuzuhören.
Dann nahm sie ihr Publikum mit auf ihren Weg zur Annäherung an ihren Großvater, der in der Nacht zum 21. Juli 1944 hingerichtet wurde - 24 Jahre vor Sophie von Bechtolsheims Geburt. Zuvor hatte Stauffenberg zusammen mit seinen Mitverschwörern einen gescheiterten Umsturzversuch gegen das nationalsozialistische Regime unternommen. Er selbst war derjenige, der die Bombe zündete, die Adolf Hitler töten sollte. Doch die Sprengkraft reichte nicht aus und der Diktator überlebte mit lediglich leichten Verletzungen.
Widersprüchliche Bilder
Umstritten ist Stauffenbergs Motivation und so gibt es vor allem zwei sehr widersprüchliche Bilder von ihm: Manche sehen ihn als Helden, der Krieg und Menschenrechtsverletzungen beenden und den Rechtsstaat wiederherstelle wollte. Für andere ist er ein begeisterter Nazi, der sich erst spät von Hitler abwendete; und das nicht aus Menschlichkeit, sondern weil er erkannte, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen sei.

Sophie von Bechtolsheim hatte vor allem mit Menschen gesprochen, die ihren Großvater kannten, um sich ein Bild von ihm zu machen - und beschreibt in ihrem Buch gerade ihre Großmutter, die Witwe des Widerstandskämpfers, als vertrauenswürdige Quelle. Tatsächlich bestätigt sie, dass er am Anfang der Nazizeit noch nicht zu den Gegnern Hitlers gehört habe. Unter anderem habe er mit dessen Ablehnung des Versailler Vertrags übereingestimmt. Dass er zu dieser Zeit noch kein Gegner der Nazis war, mache ihn aber noch lange nicht selbst zum begeisterten Nationalsozialisten, als der er manchmal dargestellt werde.
Stauffenberg habe Fehler gemacht, Gefahren zu spät erkannt und Hitler auch noch die Treue gehalten, zu einem Zeitpunkt, zu dem andere längst erkannt hatten, in welche Katastrophe er das Land führen würde. Dennoch hebt die Autorin Stauffenbergs menschliche Seite hervor. Die unmenschliche Behandlung der Bevölkerung in den besetzten Gebieten habe ihn abgestoßen, er habe versucht, Kriegsverbrechen zu verhindern, dabei aber mit der Zeit erfahren müssen, dass diese wohl doch keine Systemfehler sondern Teil der Ziele der Nazis waren.
Umdeutung "aus der Vogelperspektive"
Weiter enthält Sophie von Bechtolsheims Buch Episoden aus dem Familienleben ihrer Großeltern, die den Widerstandskämpfer als einfühlsamen Familienvater sowie als Mensch mit Stärken und Schwächen, und auch mit kleinen Marotten zeigen. Andere Stellen ihres Buches erzählen auch von ihren eigenen Erlebnissen: von ihrer Auseinandersetzung mit der Frage, was eigentlich ein Attentäter ist und was ihren Großvater beispielsweise von den RAF-Terroristen unterschied, von den seltsamen Gefühlen, die ein Mensch haben kann, der vor allem als Nachfahre einer berühmten Persönlichkeit wahrgenommen wird, und von der Beobachtung, wie ihr Großvater "aus der Vogelperspektive umgedeutet" werde.
In der anschließenden Diskussion war sie unter anderem mit der Frage konfrontiert, welche Staatsform die Verschwörer in Deutschland hätten errichten wollen, wenn ihr Umsturzversuch erfolgreich gewesen wäre. "Als Historiker kann man nicht sagen: Was wäre gewesen, wenn?", betonte die Autorin. Dennoch ging sie darauf ein, was möglicherweise geplant war. Um das Land halten zu können, wäre wohl erst einmal eine Militärdiktatur nötig gewesen. Als späteren Reichskanzler, wenn Ordnung und Demokratie wieder hergestellt gewesen wären, hätte Stauffenberg nach Angaben seiner Enkelin den Sozialdemokraten Julius Leber bevorzugt - ein Zeichen dafür, dass es sich eben nicht um eine reine "konservative Revolution" gehandelt habe. "Die Verschwörer haben gemerkt, dass sie kompromissbereit sein müssen."
Eine Anregung zum Nachdenken
In der Diskussion ging es außerdem um die Lehren aus der Nazizeit und die Frage, wie es sein kann, dass heute wieder eine Partei wie die AfD Erfolge feiert. Sophie von Bechtolsheim bezeichnete es als wichtige Erkenntnis der deutschen Geschichte, dass sich die radikalen Kräfte eben nicht "zähmen" lassen, wenn sie einmal im Amt sind.
Auf die Frage nach dem Titel ihres Buches sprach sie unter anderem darüber, dass der Begriff "Attentäter" zu sehr mit Terrorismus assoziiert werde. In erster Linie sei der Titel aber eine Provokation gegen den Titel von Thomas Karlaufs Stauffenberg-Biografie gewesen. Aus Sicht der Autorin war das auch die absolut richtige Entscheidung: "Der Titel hat sich echt gelohnt, weil er dazu anregt, nachzudenken."