Sandmann, lieber Sandmann, hast du eigentlich Augenbrauen? Kabarettist Oti Schmelzer, bekannt für seine aufwändigen Kostüme, tritt heuer bei "Fastnacht in Franken" als Sandmännchen auf. Und weil der Mann aus Oberschwappach Perfektionist ist, hat er sich intensiv mit seiner Figur beschäftigt. Wohlgemerkt mit dem "Ur-Sandmännchen", dem aus dem DDR-Fernsehen, das auch in Westdeutschland viel bekannter geworden ist als sein dortiges Gute-Nacht-Geschichten-Brüderchen. "Meine Kinder sind mit dem Ostsandmännchen aufgewachsen", sagt der 62-Jährige.
Weil das MDR-Sandmännchen zwar große dunkle Kulleraugen, aber keine wirklichen Haarstreifen darüber hat, war der detailversessene Schmelzer sogar bereit, sich die Augenbrauen wegzurasieren. Doch am Mittwoch, zwei Tage vor der Live-Ausstrahlung der Kultusendung des Bayerischen Rundfunks, fällt in der Maske in den Veitshöchheimer Mainfrankensälen in dieser Frage die Entscheidung: "Hinten stutzen, vorne weiß".
Schmelzer hat an diesem Tag, dem Tag vor der Generalprobe am Donnerstag, seine persönliche Bühnenprobe. Eine kalte Probe, ohne Publikum. Jetzt muss sich zeigen, ob Kostüm und Maske, Technik, Text und der Ablauf passen. Die Redaktion darf bei seiner Verwandlung zum Sandmännchen dabei sein.
Und sieht eine Metamorphose, die sich rasch und an zwei wesentlichen Orten vollzieht: der Umkleide und der Maske. Der Hauptteil spielt sich in der Maske ab. Hier kümmert sich Maskenbildnerin Charlotta Jessenberger um Schmelzer und das schon seit Jahren, obwohl sie erst 31 ist. In der Maske ist an diesem Vormittag nicht viel los, die Künstlerinnen und Künstler haben ihren Probedurchlauf zu unterschiedlichen Zeiten, Schmelzer ist zwischen Michl Müller und "Putzfraa" Ines Procter dran.
"Das Sandmännchen ist eine friedvolle Figur, ein Wesen, das Harmonie bringt", begründet Oti Schmelzer seine Sympathie für den Kinderliebling, während Charlotta Jessenberger mit einem Pinsel Primer auf sein Gesicht aufträgt, damit die Haut im Scheinwerferlicht nicht glänzt. Eine bewusste Rollenauswahl also in Zeiten, in denen sich viele Menschen unversöhnlich gegenüberstehen? Schon, stimmt Oti zu. Doch er kündigt an, dass sein Sandmännchen ungeachtet der friedvollen Ausstrahlung und anders als das wortkarge Original Klartext sprechen wird.
Pinsel und Puder im Gesicht, ist ihm das Schminken unangenehm? "Nein, ich lasse mich da fallen, das ist für mich wie Meditation", antwortet der Kabarettist. Richtig viel zu tun hat Maskenbildnerin Jessenberg ohnehin nicht mit dem Sandmännchen. Mit speziellem Haarspray färbt sie die Haare von Oti weiß, die unter der feuerroten Sandmännchenmütze hervorlugen könnten. Rasch ist mit Pinsel und Schwämmchen Foundation, eine Art "Grundierung", und schließlich mit dem Puder Sandmännchens gewünschte Gesichtsfarbe aufgetragen.
Mehr Zeit nimmt der Bart aus weißer Filzwolle in Anspruch. Jessenberger klebt ihn mit Toupetkleber an Schmelzers Kinn, wo in den letzten Tagen ein echtes Bärtchen gewachsen ist. Weil der Kunstbart dann besser halten soll. "Die Leute haben mich schon gefragt, ob das mit meiner Figur zu tun hat", amüsiert sich der Kabarettist über sein verändertes Outfit, zu dem das für die Mütze kurz geschnittene Haar beiträgt.
"Normalerweise würde ich jetzt noch die Konturen herausarbeiten, aber das Sandmännchen hat ja ein Pfannkuchengesicht", erklärt die Maskenbildnerin, warum sie Nase oder Wangen nicht betont. So kann Oti Schmelzer nach nicht einmal 20 Minuten zur Umkleide laufen, wo unzählige Kostüme hängen, aber jeder Star seine eigene Kabine hat. Hier, in seiner Kabine, hat Schmelzer alles versammelt, was er für seine Rolle braucht. Übergroße Schuhe, Hose, Mantel, Mütze und sogar ein goldenes Säckchen, alles Eigenanfertigungen.
Nur die Rakete, die ihn später auf die Bühne befördern soll (das Sandmännchen kommt ja immer mit den abenteuerlichsten Gefährten), ist zu groß für die Umkleide. Sie befindet sich in der Requisite, die sie auch besorgt hat. Ein paar Augenblicke nur, dann ist Schmelzer als Sandmännchen verkleidet. Nur der Hut sitzt noch nicht auf dem Kopf.
Zum Glück entdeckt die Fotografin eine im Gewand vergessene Stecknadel. "Das hätte unschön enden können", meint Schmelzer. Die Mütze mit den wuscheligen Sandmännchenhaaren allerdings lässt er sich, nachdem ihn die Technik mit einem Kopfmikrofon ausgestattet hat, wiederum in der Maske aufsetzen. Hier nimmt Charlotta Jessenberger mit Kamm und Pinsel letzte Korrekturen vor und fragt: "Zufrieden?"
"Ja, sehr", antwortet Oti Schmelzer. Was nicht überrascht, weil der Kabarettist seine Figur selbst minutiös genau geplant hat – wie in jedem Jahr, so haben auch dieses Mal Freunde sein Kostüm angefertigt. Und Charlotta Jessenberger ist Profi und hat schon viele Promis, darunter Bundespräsident Steinmeier, fertig fürs Scheinwerferlicht gemacht. Alles passt also.
Schon saust das Sandmännchen erstmals in seiner Rakete auf die Bühne der Mainfrankensäle. Und probt, wie es ist, das goldene Säckchen zu öffnen. Nicht um Schlafsand in die Augen zu streuen. Sondern im Gegenteil, um der Zuhörerschaft die Augen zu öffnen. Aber das ist eine andere Geschichte.