
Nach zähen Monaten voller Entbehrungen, Disziplin und zunehmendem Frust werden die strengen Infektionsschutzmaßnahmen nach und nach gelockert. Doch Corona ist längst nicht besiegt. Das sagt Ärztin Eva Bauer vom Gesundheitsamt Haßberge in einer Pressemitteilung aus dem Landratsamt Haßberge. "Die abflauende Impfbereitschaft trifft auf eine neue Virusvariante – eine brandgefährliche Kombination", zitiert das Papier die Ärztin.
Anders als es momentan den Anschein habe, sei SARS-CoV-2 nicht verschwunden. Man könne eher sagen, es mache eine Art Sommerpause. Hohe Temperaturen machten dem Virus zu schaffen. Zudem hätten die fortschreitenden Impfungen ihm einen Dämpfer verpasst. Seine primäre Zielgruppe, ältere und vorerkrankte Menschen, sei ihm dadurch abhandengekommen.
Wenn Viren unter Druck geraten
Was sich in den letzten Wochen beobachten lasse, sei der klassische Gang der Evolution im Schnelldurchlauf: Eine Population, in diesem Fall das Corona-Virus, werd durch äußere Einwirkung bedrängt und gerate unter Selektionsdruck. Es müsse sich den neuen Gegebenheiten anpassen, indem es sich wandelt, um seine Überlebenschancen zu verbessern. Das Ergebnis seien Virusvarianten, also Mutationen, mit etwas veränderten Eigenschaften, erklärt Eva Bauer.

Das Corona-Virus sei in seiner Metamorphose inzwischen bei der Delta-Variante angelangt, wobei es schon zahlreiche Gesichter angenommen habe. Bei der alphabetischen Auflistung zählen allerdings nur sogenannte variants of concern (VOC), besorgniserregende Varianten, die als besonders gefährlich gelten.
Delta-Variante: ansteckender und gefährlicher
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählt die Delta-Variante seit Ende März zu den VOC. Nach den bisherigen Beobachtungen aus England, wo es bereits seit längerer Zeit auf dem Vormarsch ist, sei es ansteckender und damit leichter von Mensch zu Mensch übertragbar. Das liegt daran, dass Infizierte eine hohe Viruslast insbesondere im Rachenraum tragen, dies aber zu Beginn der Infektion oft nicht merken, da sie noch keine Symptome haben, so Eva Bauer in der Pressemitteilung. So können sie unbemerkt zahlreiche Mitmenschen anstecken. Auch dies lasse sich im Vereinigten Königreich beobachten: Ein Infizierter stecke tendenziell mehr Menschen an.
"Neben der höheren Ansteckungsgefahr scheint auch das Risiko für schwere Verläufe größer zu sein", zitiert die Pressemitteilung die Medizinerin. Dies lasse sich an der steigenden Hospitalisierungsrate ablesen. In den Krankenhäusern würden nun aber weniger alte Menschen behandelt, da sie durch die Impfung weitestgehend geschützt seien. Vielmehr verlagere sich das Infektionsgeschehen auf die Jüngeren. Ein Großteil der behandelten Patienten im Krankenhaus sei aktuell unter 60 Jahre alt.
Herdenimmunität erst ab 80-prozentiger Impfquote
Der momentane Zwischenstatus ist infektiologisch höchst bedenklich, warnt Eva Bauer. Mittlerweile sei rund ein Drittel der Deutschen vollständig geimpft. Das reiche bei weitem noch nicht aus, um das Virus in Schach zu halten. Das Robert-Koch-Institut halte mittlerweile eine Impfquote von über 80 Prozent für nötig, um eine sogenannte Herdenimmunität aufzubauen und die Infektion langfristig zu überwinden.
Wirkt die Impfung gegen "Delta"?
Erste Beobachtungen zeigen eine hohe Wirksamkeit auch gegen die neue Variante, vor allem vor schweren Verläufen schützen alle bisher zugelassenen Impfstoffe sehr gut, sagt Eva Bauer. Allerdings dauere es länger, bis sich die Immunantwort aufbaut. Die Wirkung nach der ersten Impfung sei deutlich geringer als bei den vorherigen Mutationen. Erst mit der zweiten Dosis werde eine hohe Schutzwirkung erreicht. Daher sei es so wichtig, auch die Auffrischimpfung unbedingt wahrzunehmen. Der Effekt könne ansonsten nahezu vollständig verpuffen.
Wettlauf mit dem Virus
Bis genug Menschen durchgeimpft sind, habe das Virus ausreichend Spielraum. Es könne die Zeit nutzen, um sich anzupassen und so die neu auferlegten Hürden zu überwinden. So sei die Delta-Variante inzwischen auch in Deutschland angekommen und bereits in jedem Bundesland nachgewiesen worden. Im Landkreis Haßberge gebe es zwar bisher noch keine nachgewiesenen Fälle der Delta-Variante. "Experten sind sich allerdings einig, dass sie spätestens im Herbst den Großteil der Corona-Neuinfektionen ausmachen wird", heißt es in der Mitteilung.
Es wäre fatal, sich auf dem Erreichten auszuruhen und bei den Immunisierungen nachzulassen. Dieses Verhalten bringe das Virus mittelfristig wieder in die Offensive und "sorgt dafür, dass wir uns mit jeweils veränderten Virus-Varianten von einer Welle zur nächsten hangeln", sagt Ärztin Eva Bauer.
Schutz der Schutzlosen
Solange keine Herdenimmunität herrsche, sei das Virus vor allem für diejenigen gefährlich, die nicht davor geschützt sind: Kinder, für die die Impfung noch nicht zugelassen ist, und Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden können. "Herdenimmunität bedeutet bildlich gesprochen, die Schutzlosen in die Mitte zu nehmen und so vor äußeren Gefahren zu bewahren. Jeder kann daran mitwirken", erklärt die Ärztin Eva Bauer.