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Haßfurt
Bundesfreiwilligendienst im Vorruhestand: Warum Bernhard Kempf mit 55 Jahren am Haßfurter Gymnasium als Bufdi arbeitet
An Bayerns Schulen gibt es nur eine Handvoll BFD-Freiwillige im Alter des Mannes aus dem Haßbergkreis. Am Ende profitieren beide Seiten von diesem Programm.
Bernhard Kempf ist seit September Bufdi am Haßfurter Regiomontanus-Gymnasium.
Foto: Lukas Reinhardt | Bernhard Kempf ist seit September Bufdi am Haßfurter Regiomontanus-Gymnasium.
Lukas Reinhardt
 |  aktualisiert: 15.03.2024 02:52 Uhr

Programme wie der Bundesfreiwilligendienst (BFD) dienen vielen jungen Menschen zur Orientierung. Besonders, wenn der Schritt aus dem Klassenzimmer hinein in die Berufswelt bevorsteht. Bei Bernhard Kempf ist das anders. Der 55-Jährige, ein drahtiger, hochgewachsener Mann mit Brille und einem freundlichen Lächeln im Gesicht, hat das Arbeitsleben schon hinter sich. Und doch steht er an diesem Tag im Frühjahr als BFD-Freiwilliger, auch "Bufdi" genannt, in der Aula des Regiomontanus-Gymnasiums in Haßfurt.

Orientierung für das Berufsleben braucht Kempf keine mehr. "Heute kann ich meine eigene Erfahrung weitergeben", sagt er. Im Direktorat ist man begeistert von dem Freiwilligen, der sich ein Jahr lang an der Schule engagiert. Tatsächlich aber profitieren beide Seiten von dieser Zusammenarbeit. Denn für Kempf, der in Herlheim im Landkreis Schweinfurt aufgewachsen ist und heute im Knetzgauer Ortsteil Westheim lebt, ist es die Möglichkeit, zeitig in den Vorruhestand zu gehen. 

Rund 87 Prozent der BFD-Freiwilligen jünger als 27 Jahre

Was alle Freiwilligen trotz eines Altersunterschieds vereint, ist das Engagement für das Allgemeinwohl. Etwa "im sozialen, ökologischen und kulturellen Bereich oder im Bereich des Sports, der Integration sowie im Zivil- und Katastrophenschutz", wie das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) auf seiner Homepage schreibt.

Unter Bayerns Bufdis aber gehört der 55-jährige Kempf mit seiner Lebenserfahrung zu einer Minderheit. Das zeigen die Zahlen des BAFzA. Demnach waren Stand Februar 87 Prozent der insgesamt 3581 BFD-Freiwilligen jünger als 27 Jahre.

Auch im bayerischen Bildungssystem sind Bufdis in Kempfs Alter eine absolute Ausnahme: Lediglich eine niedrige einstellige Zahl an BFD-Freiwilligen über 50 Jahren gebe es derzeit an Schulen im Freistaat, so die Schätzung des Bundesamtes. Eine genaue Bezifferung sei aufgrund der teils fehlenden Trennschärfe bei der Zuordnung nicht möglich, heißt es auf Nachfrage.

Nach dem Studium Beamter bei der Deutschen Bundespost

Bernhard Kempfs berufliche Laufbahn beginnt deutlich früher als es heute häufig der Fall ist: Nach der Realschule entscheidet er sich für eine Ausbildung zum Fernmeldehandwerker bei der Deutschen Bundespost. Doch dabei bleibt es nicht: 1988 holt Kempf das Abitur nach, er studiert Elektrotechnik an der Technischen Hochschule in Schweinfurt, wird Beamter bei der Telekom.

Dort arbeitet Kempf ab 1993 im Bereich der Informationstechnik (IT). Drei Jahrzehnte bleibt er im Unternehmen, zuletzt unter anderem als Projektleiter. Dann entscheidet er sich für den sogenannten "Engagierten Ruhestand". 

Bundesfreiwilligendienst im Vorruhestand: Warum Bernhard Kempf mit 55 Jahren am Haßfurter Gymnasium als Bufdi arbeitet
Foto: Lukas Reinhardt

"Ich habe immer mal wieder mitbekommen, dass es sowas gibt", sagt Kempf heute. Mit "sowas" meint der Westheimer das spezielle Programm für Beamtinnen und Beamte aus den staatlichen Postnachfolgeunternehmen. Der "Engagierte Ruhestand" ermöglicht ihnen, ab dem vollendeten 55. Lebensjahr ohne Abschläge vom bis dato erzielten Pensionsanspruch in den Vorruhestand zu gehen, wenn in den inzwischen privatisierten Unternehmen für sie "keine Verwendungsmöglichkeit" mehr besteht. Er verpflichtet jedoch gleichzeitig zu einem ehrenamtlichen Engagement oder einem Bundesfreiwilligendienst, der 2011 als Ersatz für den Zivildienst eingeführt wurde.

"Mein Vorschlag war: Ich mache das, was euch hilft und was mir Spaß macht."
Bernhard Kempf, 55, BFD-Freiwilliger

"Das hab ich noch nie gemacht, ich bin sicher, dass ich das kann" – mit diesem Satz von Pippi Langstrumpf, der Hauptfigur aus Astrid Lindgrens weltbekannten Kinderbüchern, habe er sich bei Schulleiterin Maria Eirich beworben, sagt Kempf lachend. Er kennt die Bildungseinrichtung. Seine beiden Söhne besuchen das Gymnasium in Haßfurt mit seinen rund 1000 Schülerinnen und Schülern. "Mein Vorschlag war: Ich mache das, was euch hilft und was mir Spaß macht." Er überzeugt die Schulleitung von sich und seinen Ideen. Im September 2023 tritt Bernhard Kempf schließlich den einjährigen Bundesfreiwilligendienst an.

Eine pädagogische Ausbildung hat er nicht. Doch Kempf ist kreativ: In Vertretungsstunden versucht er Wissen zu vermitteln, das im Schulalltag mitunter zu kurz kommt. Er fördert Teamkompetenzen mit besonderen Spielen, die er aus seiner Zeit bei der Telekom kennt. Er schult Alltagsfähigkeiten, beispielsweise das Flicken von Fahrradreifen. Kempf hilft auch bei der Mittagsbetreuung der Ganztagsklassen und unterstützt mit seiner IT-Erfahrung die Umsetzung des Projekts "Digitale Schule der Zukunft".

"Es ist toll, wie viele Aufgaben ich übernehmen darf und wie schnell man mir volles Vertrauen entgegengebracht hat", erzählt der 55-Jährige und scherzt: "Ich musste bislang nie die Spülmaschine im Lehrerzimmer ausräumen oder den Pausenhof kehren."

Viel Wissen und Erfahrung aus dem langen Berufsleben

Geht es nach Schulleiterin Maria Eirich, so können berufserfahrene Freiwillige wie Bernhard Kempf einen wichtigen Beitrag im bayerischen Bildungswesen leisten. Durch ihre langjährige Tätigkeit in der freien Wirtschaft etwa brächten sie "viel Wissen und Erfahrung aus Bereichen mit, die auch in Schulen immer relevanter werden." Auch von ihrem etwas anderen Blickwinkel, ihren neuen Ideen und Sichtweisen könnten die Bildungseinrichtungen profitieren.

Tatsächlich ist der 55-jährige Bernhard Kempf in der Kreisstadt derzeit nicht der einzige Bufdi mit vergleichsweise viel Lebenserfahrung. Auch an der Albrecht-Dürer-Mittelschule Haßfurt (ADM) erhalten Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Verwaltung Unterstützung durch eine BFD-Freiwillige im Vorruhestand, wie Rektor Matthias Weinberger auf Nachfrage bestätigt. In seinen Augen sei "Offenheit und Flexibilität, sich auf neue Situationen einzustellen, seine eigenen Stärken in die Schulgemeinschaft mit einzubringen" besonders wichtig. Das, sagt er, sei allerdings unabhängig vom jeweiligen Alter. 

Freiwillige kein Ersatz für Lehrkräfte im Klassenzimmer

Wie wertvoll die Unterstützung durch den BFD grundsätzlich sei, betont auch das bayerische Kultusministerium in München. Ein Mittel gegen den teils kursierenden Lehrkräftemangel aber sei das Programm nicht. "Freiwilligendienstleistende müssen arbeitsmarktneutral eingesetzt werden", heißt es auf Nachfrage aus München. Das bedeute, dass sie beispielsweise keine Lehrkräfte ersetzen dürfen. 

Das, sagt Bernhard Kempf, möchte er auch gar nicht. Denn bei all der Freude, die ihm die Arbeit im Klassenzimmer mit den Kindern und Jugendlichen mache, gelange er mitunter auch an seine pädagogischen Grenzen: "Wie geht man beispielsweise damit um, wenn die Schülerinnen und Schüler kein Interesse zeigen und Unruhe stiften? Das war ich von der Arbeit als Projektleiter nicht gewohnt", sagt Kempf lachend. Hier habe er wichtige Ratschläge aus dem Kollegium bekommen, und so auch immer wieder selbst dazugelernt.

Minijob in der Schule vielleicht auch im Ruhestand

Für ihn sei der Bundesfreiwilligendienst der perfekte Übergang in den Ruhestand, so der 55-Jährige.  "Direkt von 100 auf null Prozent, das kann für viele schwer sein." 21 Stunden in der Woche hilft Kempf seit September am Haßfurter Gymnasium. Bis Ende August läuft sein Freiwilligendienst. Wie viele jungen Menschen, die dieses Programm absolvieren, scheint auch Kempf Orientierung gefunden zu haben. Allerdings nicht für das Berufsleben, sondern für den Ruhestand. Denn ausschließen, ob er nicht doch an der Schule bleiben wird, möchte Kempf nicht. "Vielleicht ergibt sich ja ein Minijob", sagt er. Schließlich, so betont Kempf, habe er hier so etwas wie "eine zweite Berufung gefunden".

 
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  • Manfred Englert
    So etwas anzupacken und zu machen finde ich toll. Grundsätzlich.

    Aber hier geht eine super ausgebildete Fachkraft mit 55 Jahren in den vorzeitigen "engagierten Ruhestand", welcher Voraussetzung(?) für die abschlagsfreie Pension ist.
    Also engagiert sich der angehende 55jährige Pensionär quasi mit etwas "Druck" in einer ihm
    genehmen Tätigkeit.
    Zu lesen war, daß diese Möglichkeit nur bestünde, wenn "in der inzwischen privatisierten ehem Behörde keine Verwendungsmöglichkeit" bestünde!

    Unglaublich beim heutigen Fachkräftemangel!

    Die Kenntnisse der Berufaausbildung, des Studiums und der Berufserfahrung können nun während eines Jahres an die Schüler, wenn es diese interessiert, weitegegeben werden.

    Und dann???

    Alle Kenntnisse bleiben ungenutzt beim Pensionär!?

    Ich hoffe doch, daß es Betriebe, Ämter oder Institutionen geben wird, die von diesen Fachkenntnissen weiter profitieren können!

    An diesem Beispiel ist unser gesellschaftliches Dilemma besonders anschuungsvoll dargestellt!
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