
Helga Bühl blättert in einem alten Fotoalbum und im Bildband über die Zerstörung Würzburgs. Als am 16. März 1945 der größte Teil der Stadt zerstört wurde, war sie Erstklässlerin und verbrachte die Bombennacht mit ihrer Schwester Gerda und der Oma in einem Bunker. In diesem Jahr ist diese Nacht 80 Jahre her und Helga Bühl ist es ein Anliegen, aus dieser Zeit zu berichten. Denn die derzeitige Weltlage macht der 86-Jährigen große Sorgen – nicht um sich, aber um die Enkel und die Urenkel, deren Portraits die Wand am Esstisch zieren.
Besuch in der Klinik: Der Weg führte über Schutt und Scherben
Zwei Tage vor der Bombennacht wurde Helgas kleine Schwester Renate geboren. Die Mutter und das Baby waren noch in der Klinik. "Ich kann mich nicht erinnern, dass ich von der Schwangerschaft etwas wusste, ich wusste nur, dass meine Mutter in der Klinik ist", berichtet sie. Und zu dieser Klinik machten sich Oma und Enkel am nächsten Morgen auf. "Wir sind über Schutt und Scherben gestiegen, an vielen Stellen hat es gequalmt". An der Klinik wurden sie zunächst abgewiesen, dann doch hinein gelassen. "Der größte Teil der Klinik war in Bunker im angrenzenden Berg ausgelagert", erinnert sich Helga Bühl. Mutter und Schwester waren wohlauf.
Wie sie die Nacht erlebte? "Ich kann mich nicht erinnern, dass ich große Angst gehabt hätte", sagt sie. Der Bunker war eigentlich Alltag für die Kinder. Im Herbst 1944 wurde sie eingeschult und die Kinder verbrachten mehr Zeit im Bunker als in der regulären Schule. Unterricht hatten sie aber trotzdem.

Am 16. März dann gab es Alarm, mit der Oma und Schwester Gerda ging es durch den Innenhof der Wohnanlage in der Nähe des Hofbräuhauses in den Bunker. Auf dem Weg über den Hof, der in Friedenszeiten Spielplatz für die Kinder, Trockenplatz für die Wäsche und sozialer Treffpunkt war, sahen sie den brennenden Himmel. "Den haben die Eltmanner Verwandten von der Wallburg aus gesehen und meinten, das sei in Schweinfurt", weiß Helga Bühl aus späteren Familiengesprächen.
Unterschlupf in Erlangen: Fünf Personen in zwei Zimmern
Mutter und die Kinder haben Würzburg dann verlassen und fanden Unterschlupf bei "Tante Käthe in Erlangen". Der Papa kam später nach. Er war beim Arbeitsdienst in Wien und fuhr nach den Nachrichten aus Würzburg mit dem Fahrrad zunächst in die Domstadt nach Unterfranken, bevor er die Familie in Erlangen fand.
Fünf Jahre lang lebten sie dort, fünf Personen in zwei Zimmern. Diese Zeit war für sie prägend. Der Cousin, der leider viel zu früh bei einem Arbeitsunfall starb, war wie ein großer Bruder für sie. "An Erlangen erinnere ich mich oft und ich wollte auch immer wieder hin. Nach Würzburg hat es mich eigentlich erst so um meinen 80. Geburtstag wieder gezogen. Das Haus, wo wir wohnten, habe ich gleich gefunden, aber ich habe keine Ahnung, welche Klinik das war, in der meine Mutter war", erzählt sie. Auch ihren früheren Schulweg hat sie nicht mehr gefunden.

Ihr Vater schulte in dieser Zeit zum Bäcker um und übernahm die Bäckerei mit Café im Elternhaus der Mutter in Eltmann. Hier schloss sich für die Familie der Kreis. Helga eröffnete später mit ihrem Mann wenige Häuser entfernt das Schuhhaus Bühl. Hier betreute sie die Kunden, zog die Kinder groß, kümmerte sich um die Enkel, engagierte sich in der Stadt, musste auch einige Schicksalsschläge verkraften und weit hinten in der Erinnerung waren doch immer diese Bunker und die rauchenden Trümmer Würzburgs.
Blick in die Ukraine: Helga Bühl kennt das Schicksal von Flüchtlingen
Sie kann sich gut in die Lage der Menschen und vor allem der Schulkinder in der Ukraine hineinversetzen und auch das Flüchtlingsschicksal kennt sie, wenn es bei ihnen auch in der Familie war – eine Belastungsprobe für das Zusammenleben war es allemal.
Sie blättert in den wenigen Bildern aus dieser Zeit, die zeigen kleine Mädchen mit großen Schleifen im Haar und in hellen Kleidern. Scheinbar heile Welt, doch auch wenn das Kind Helga vieles vergessen oder auch verdrängt hat: sie hat die schlimmen zeiten nicht vergessen und umso mehr erschreckt sie das, was sie derzeit in den Nachrichten sieht und in der Zeitung liest. Deshalb wollte sie ihre Erlebnisse weitergeben. Als Appell, Frieden zu bewahren im Großen wie im Kleinen: "Jeder muss doch mit seinem zufrieden sein", appelliert sie.