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Westheim
Besser vorbereitet für die Fluten: Warum hat sich in Westheim bislang so wenig beim Hochwasserschutz getan?
Bei der Bürgerversammlung im Ort ging es um die Schäden, die Starkregen 2021 angerichtet hatten, und wie sich die Gemeinde künftig schützen will.
Überflutete Straßen, vollgelaufene Keller: In Westheim richtete die Flut 2021 großen Schaden an.
Foto: Hugo Barthel | Überflutete Straßen, vollgelaufene Keller: In Westheim richtete die Flut 2021 großen Schaden an.
Peter Schmieder
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:20 Uhr

Bis zum Anschlag gefüllt war am Dienstagabend der große Veranstaltungssaal im "Schwarzen Adler" in Westheim. Deutlich mehr als 100 Besucherinnen und Besucher waren zur Bürgerversammlung in dem Knetzgauer Ortsteil gekommen, sodass kurz vor Veranstaltungsbeginn noch zusätzliche Stühle hineingetragen wurden, für manche blieben dennoch nur Stehplätze. Grund für das große Interesse war vor allem, dass die Kanäle in der gesamten Gemeinde Knetzgau im Sommer 2021 weit mehr als nur bis zum Anschlag gefüllt waren.

"Seit ich Bürgermeister bin, kann ich mich nicht erinnern, dass Hochwasser mal Thema war", sagte Stefan Paulus (CWG), der immerhin bereits seit 15 Jahren im Amt ist. Ein Bürger wies darauf hin, dass das nicht ganz richtig sei: Schon 2008, im Jahr von Paulus' Amtsantritt, sei der Hochwasserschutz zumindest schon einmal in einer Bürgerversammlung angesprochen worden. Dennoch zeigten die Ausführungen des Bürgermeisters, dass erst die Flut 2021 das Thema wirklich auf die Tagesordnung gebracht hat. Bei den Überflutungen war Knetzgau eine der am schwersten betroffenen Gemeinden im Landkreis Haßberge. In allen Ortsteilen standen Keller und Straßen unter Wasser.

Bürger dürfen bei Hochwasser den Selbstschutz nicht vernachlässigen

Doch wem muss man nun den Vorwurf machen, die Gefahr ignoriert zu haben? Das ist die entscheidende Frage, die in Westheim und anderen Knetzgauer Ortsteilen für Spannungen sorgt. Denn viele Bürgerinnen und Bürger fordern, dass die Gemeinde zu ihrem Schutz handeln solle, während Bürgermeister Paulus deutlich herausstellte, dass es auch Aufgabe der Bevölkerung sei, sich selbst zu schützen. "Das klingt für mich, als wollten Sie uns Bürgern den Schwarzen Peter zuschieben", kritisierte ein Besucher der Veranstaltung das Gemeindeoberhaupt.

Auch die Interessengemeinschaft Hochwasserschutz Knetzgau, die sich aufgrund der Ereignisse vom Sommer 2021 gegründet hat, hatte für die Teilnahme an der Bürgerversammlung geworben und bereits im Vorfeld in einem Offenen Brief zahlreiche kritische Fragen an Paulus gestellt. Dennoch lief die Versammlung weitgehend ruhig und gesittet ab. So kam es zwischen Paulus und der Interessengemeinschaft eher zu einem konstruktiven Austausch als zu gegenseitigen Vorhaltungen oder verbalen Ausfällen.

Wenn der Abwasserkanal zur Tropfsteinhöhle wird

Eine wichtige Rolle spielte dabei Bauingenieur Hugo Barthel, als Sachverständiger in der Wasserwirtschaft ein ausgewiesener Experte auf dem Gebiet. In einer Präsentation mit vielen Bildern, Karten und Grafiken berichtete er von den Ergebnissen einer Kanalbefahrung und deren Auswertung. Tatsächlich konnte Barthel dabei einige Problemstellen ausmachen. Unter anderem zeigte er Bilder von Ablagerungen in den Kanalröhren, welche darauf hindeuten, dass an diesen Stellen Wasser von außen hineinläuft. "Das habe ich so auch noch nicht gesehen", kommentierte Barthel die Fotos und den Anblick, der an eine Tropfsteinhöhle erinnert.

Wenn der Kanal aussieht wie eine Tropfsteinhöhle: Ablagerungen deuten darauf hin, dass an diesen Stellen Fremdwasser hineinläuft.
Foto: Hugo Barthel | Wenn der Kanal aussieht wie eine Tropfsteinhöhle: Ablagerungen deuten darauf hin, dass an diesen Stellen Fremdwasser hineinläuft.

Auf die Frage, ob es möglich und sinnvoll wäre, diese Ablagerungen zu beseitigen, entgegnete er jedoch, dass dafür ein Fräsroboter nötig sei, dessen Einsatz teuer wäre. Daher riet er dazu, lieber zu warten und "in ein paar Jahren was Gescheites" zu machen. Und auch sonst appellierten Barthel und Paulus an die Geduld der Bevölkerung: Noch 2021 hatte die Gemeinde ein Sturzflutkonzept in Auftrag gegeben, dessen Erstellung mit 75 Prozent gefördert wird.

"Bitte vertrauen Sie uns, lassen Sie uns dieses Konzept erstellen und auf der Grundlage werden wir dann Maßnahmen ergreifen."
Stefan Paulus, Bürgermeister, zum Sturzflutkonzept

Voraussichtlich bis Mitte 2024 soll dieses Konzept fertiggestellt sein, sagte der Bürgermeister. "Bitte vertrauen Sie uns, lassen Sie uns dieses Konzept erstellen und auf der Grundlage werden wir dann Maßnahmen ergreifen." Große Maßnahmen wie beispielsweise den Ausbau vieler Kanäle vorzunehmen, bevor das beauftragte Konzept steht, bezeichnete Paulus als Aktionismus, für den es auch keine Fördermittel gebe. Die Kosten müssten dann also auf die Anwohnerinnen und Anwohner umgelegt werden. "Das wären fünfstellige Euro-Beträge pro Haushalt."

Ein Problem bei Hochwasser: Kanalnetze sind nicht mit den Orten gewachsen

Hugo Barthel berichtete, viele der aktuellen Probleme kämen auch daher, dass Orte im Lauf der Jahrzehnte neue Baugebiete erhalten haben, die Kanalnetze aber nicht mitgewachsen seien. Für das geplante Baugebiet am südlichen Rand von Westheim sei jedoch ein Rückhaltebecken vorgesehen.

Auch die Beseitigung von Schäden, durch die Regenwasser in Schmutzwasserkanäle gelangt, sei kein Allheilmittel. Denn wenn das Fremdwasser dann nicht durch den Kanal abfließen kann, könne das wiederum den Grundwasserspiegel steigen lassen und damit für feuchte Keller sorgen.

"Man wird nie jeden Regen abwehren können."
Hugo Barthel, Bauingenieur

Stefan Paulus betonte: "Ein größerer Kanal alleine wird nichts nützen." Überhaupt wären alle Maßnahmen der Gemeinde hinfällig, wenn nicht auch die Bevölkerung Maßnahmen ergreife, was auch rechtlich betrachtet zu den Aufgaben der Bürgerinnen und Bürger gehöre. So zeigte auch Hugo Barthel in seinem Vortrag auf, wie Hauseigentümerinnen und -eigentümer beispielsweise durch Rückstauklappen verhindern können, dass bei hohen Wasserständen Wasser aus dem Kanal durch das Abflussrohr zurück ins Haus gedrückt wird.

Bei der sehr gut besuchten Bürgerversammlung in Westheim sprach Bürgermeister Stefan Paulus unter anderem über den Hochwasserschutz.
Foto: Peter Schmieder | Bei der sehr gut besuchten Bürgerversammlung in Westheim sprach Bürgermeister Stefan Paulus unter anderem über den Hochwasserschutz.

Wem das aufgrund eigener Versäumnisse passiere, der könne nicht die Gemeinde für Schäden verantwortlich machen. Auch Bürgermeister Paulus sagte, es gebe "zu Hauf Fälle", in denen ein überfluteter Keller die eigene Schuld der Hausbewohnerinnen und Hausbewohner gewesen sei. Auch gegen das Volllaufen von Lichtschächten für Kellerfenster, was dann dazu führt, dass Wasser durch die Fenster eindringt, gebe es bauliche Maßnahmen, die zu oft einfach nicht ergriffen würden, erklärte Barthel.

Aufforderung an Stefan Paulus, die Bevölkerung auf dem Laufenden zu halten

"Man wird nie jeden Regen abwehren können", betonte der Ingenieur, warum auch das dickste Kanalrohr keine absolute Sicherheit bringt. Dass es Barthel und Paulus an dem Abend gelungen war, einiges an Druck aus der aufgeheizten Stimmung herauszunehmen, zeigt auch ein Facebook-Post der Interessengemeinschaft Hochwasserschutz Knetzgau, die sich nach der Bürgerversammlung für den Vortrag und den Austausch bedankte.

Viel Applaus gab es jedoch am Ende der Diskussion am Dienstagabend für einen Bürger, der Paulus zu mehr Transparenz aufforderte, was die Fortschritte des beauftragten Schutzkonzeptes angeht. "Ein Wunsch an den Bürgermeister wäre, dass Sie die Bürger in allen Gemeindeteilen mehr auf dem Laufenden halten." Paulus verwies daraufhin darauf, dass erst kürzlich etwas dazu in den Gemeindenachrichten gestanden habe. "Ich bitte auch, das zu lesen."

 
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