
Ein sengend heißer Tag im August. Helene Rümer, die fast drei Jahrzehnte Stadträtin von Haßfurt war, hat miterleben müssen, dass ihre langjährige Freundin zu Grabe getragen wurde; wenige Wochen später begibt sie sich in den Friedhof bei der Ritterkapelle in Haßfurt, um ihrer zu gedenken. Was sie antrifft, erscheint der Prappacherin wie aus einem bösen Film: "Als ich so zwischen den Gräbern durchschritt, mit Sandalen, stachen mich zahllose Disteln in die Füße… Es drängen sich Assoziationen mit einer Wüste auf."
Sie will sich setzen, etwas ausruhen, zu sich kommen, aber: "Bis auf ein paar kugelig getrimmter kurzgehaltener Bäume gibt es kein schattenspendendes Grün." Sie wendet sich an die Stadtverwaltung, beschreibt den Missstand und regt an: "Bitte, liebe Verwaltung, liebe Stadträte, lasst pflanzen, pflanzen, pflanzen."
Zeigt sich hieran, dass eine 2000 Jahre alte Friedhofskultur in der Krise steckt? Die Gesellschaft hinterfragt jedenfalls historisch Gewachsenes, das lange Zeit als alternativlos galt. Der Ursprung liegt im frühen Christentum: In der Spätantike lagen Begräbnis und Grabvorsorge Angehöriger in der Verantwortung ihrer Familien. Verstorbene, denen diese Fürsorge versagt blieb, drohte, gemeinsam mit Tierkadavern und Unrat über öffentliche Abfallgruben entsorgt zu werden.
Karl der Große ordnet Erdbestattungen an
Das schien für Christen unwürdig, mit dem Glauben nicht vereinbar. Sie schlugen daher einen neuen Weg ein: Die christliche Gemeinde übernahm Verantwortung für die würdevolle Beisetzung aller ihrer verstorbenen Glaubensbrüder und Schwestern. So entstanden gemeindeeigene Friedhöfe, wie wir sie im Kern noch heute kennen. Verankerung erhielten sie um das Jahr 800 von Kaiser Karl dem Großen, der die Anordnung "Erdbestattung auf einem gemeindlichen Friedhof" ausgab.
Ein Problem bleib ungelöst: Ungläubigen, in Sünde lebenden Christen und auch ungetauften Kindern war die Beisetzung auf christlichen Friedhöfen verweigert. Aus diesem Grund begann sich Anfang des 19. Jahrhunderts der kommunale Friedhof als Ort für Beisetzungen durchzusetzen. "Ein Friedhof für alle", war die neue Ausrichtung. Der Prozess war fließend, noch heute gibt es Friedhöfe in christlicher Hand.
Die kommunalen Friedhöfe wurden so eingerichtet, wie wir es heute noch kennen: Reihengräber mit gewissen Möglichkeiten zur individuellen Grabgestaltung. Vom gusseisernen Kreuz bis hin zu monumentalen Steinbauten und künstlerisch wertvollen Figuren spannte sich der Bogen. Regelmäßig kamen die Hinterbliebenen zum Gedenken an ihre Verstorbenen und zum Pflegen der Gräber. Blumenschmuck mit Symbolcharakter erlebte eine Blütezeit. So zum Beispiel Rosen als Ausdruck für ewige Liebe, Vergänglichkeit und das Paradies.
Schwindende Gläubigkeit und lästige Grabpflege
Die gesellschaftliche Tragfähigkeit dieses Konzeptes geriet jedoch in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend ins Wanken: Urnenbeisetzung wurde immer populärer, Grabpflege als Last angesehen, der christliche Glaube verlor Anhängerschaft. Der Friedhof als alternativlose Beisetzungsstätte wurde zunehmend hinterfragt. Die Sehnsucht nach einer letzten Ruhe außerhalb der Friedhofsmauern und individueller Ortsfindung bekam gesellschaftliche Relevanz.

Der Durchbruch kommt im Jahr 2000: Die Beisetzung im Wald erhielt einen legitimen Rahmen. Seebestattung, die schon länger ein zugelassenes Nischendasein darstellte, wurde zunehmend nachgefragt. Der "eine Friedhof für alle" war Geschichte. Der kommunale Friedhof verlor praktisch sein Alleinstellungsmerkmal, was einem massiven Bedeutungsverlust gleichkam.
Wie Zahnlücken in einem Gebiss
Die Frage nach einem zukunftsfähigen Konzept kommunaler Friedhöfe wurde omnipräsent. Vor einigen Wochen lud der Bezirk Unterfranken zu einem Seminar nach Rügheim ein: "Friedhöfe neu denken, Zugänge und Perspektiven". Den Ist-Zustand beschrieben die Verantwortlichen wie folgt: "Grabreihen mit aufgelassenen oder unbelegten Gräbern, wie Zahnlücken in einem Gebiss, dem nach und nach die Zähne ausfallen." Der Bezirk sieht akuten Handlungsbedarf, bietet auch Vorschläge und Fördergelder an. Doch mangels Interesse wurde die Veranstaltung abgesagt.
Zurück zu Frau Rümer: "Es könnte eine gemütliche Grünanlage sein, zusammen mit den Gräbern dazwischen." Gerne sähe sie, dass umgehend Bäume gepflanzt werden. Die Stadt Haßfurt sieht sich auf eben diesem Weg: Ein in Auftrag gegebener Friedhofsentwicklungsplan soll bis 2025 stehen und einem langfristig tragfähigen Konzept den Weg ebnen. Rümer befriedigt das nicht vollends, die Biologin sieht in Zeiten des Klimawandels die Zeit davonlaufen. Am liebsten würde sie mit dem Pflanzen von Bäumen sofort loslegen.