
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie sind auf dem Ausbildungsmarkt noch deutlich zu spüren. Das zeigt die Bilanz der Agentur für Arbeit, die am Donnerstag in Haßfurt die Zahlen für den Landkreis Haßberge vorgestellt hat. Geschäftsstellenleiterin Franziska Schnitzer, Bereichsleiterin Melanie Geheb-Müller und Berufsberaterin Vanessa Bachmann zeigten in einem Pressegespräch auf, dass viele Ausbildungsstellen unbesetzt bleiben. So kommen rein statistisch auf einen Jugendlichen gut 1,4 Ausbildungsstellen.
Im Jahr 2017 hat sich die Schere zwischen Jobs und Interessenten umgekehrt
Im Laufe des Ausbildungsjahres 2021/2022, das am 30. September für die Agentur für Arbeit endete, gab es 386 Bewerberinnen und Bewerber auf 543 Ausbildungsstellen. Damit setzt sich der Trend eines Bewerbermarktes fort, der sich im Jahr 2017 zu einem solchen entwickelt hatte, sagte Geheb-Müller. Waren in den Jahren davor noch mehr Bewerbernde als Stellen zu verzeichnen, drehte sich zu diesem Zeitpunkt die Schere um. Nach der Spitze im Jahr 2019 mit 517 Nachfragen für 621 Ausbildungsstellen flachten die Zahlen in den Corona-Jahren 2020/2021 ab, so dass es insgesamt weniger Angebot und Nachfrage gibt.
Bei den Betrieben ist noch eine kleine Unsicherheit zu spüren, wie sich die Wirtschaft weiterentwickeln werde. Genauso unsicher ist das potenzielle Personal, in der Regel Schulabsolventinnen und -absolventen, die die Qual der Wahl zwischen den verschiedensten Ausbildungsangeboten haben. Auch wegen der Pandemie gestrichene Praktika seien ein Problem, erklärte Geheb-Müller. Die Jugendlichen konnten nicht ausprobieren, ob ein angedachter Beruf zu ihnen passe.
Gleichzeitig sei noch nicht jeder bereit für eine Ausbildung und wolle lieber in der schulischen Umgebung bleiben, zum Beispiel mit Wiederholung der Klasse oder dem Wechsel auf eine weiterführende Schule. Dazu komme noch, dass die sogenannten "Altbewerberinnen und -bewerber", also diejenigen, die schon vor dem aktuellen Ausbildungsjahr die Schule verlassen habe, auch immer weniger werden. Waren dies 2021 noch 81 Personen, so sank die Zahl aktuell auf 59.
Kein Betrieb und kein Ausbildungssuchender soll "die Flinte ins Korn werfen"
Dennoch sollte niemand "die Flinte ins Korn werfen", weder Ausbildungssuchende noch Arbeitgeber, so Geheb-Müller. Der erste Schritt sei auf jeden Fall, sich bei der Agentur für Arbeit zu melden. Auch wenn die September dieses Jahres begonnene Ausbildung sich vielleicht nicht als Glücksgriff erwiesen habe und ein Wechsel der Ausbildungsstelle in Frage käme, bestünden jetzt im November noch gute Chancen.

"Wer flexibel und motiviert ist, findet auf jeden Fall etwas", ergänzte Geschäftsstellenleiterin Franziska Schnitzer. Grundsätzlich könne auch jetzt noch mit der Ausbildung neu begonnen werden, solange eben, wie die Handwerkskammer beziehungsweise die Industrie- und Handelskammer zustimmten. Und das wird wohl noch bis Dezember so ein, schätzt Schnitzer. Und sollten alle Stricke reißen, bestehen weiterhin sehr gute Chancen für den Ausbildungsbegimm im September 2023. Die Agentur für Arbeit kann die Zeit bis dahin mit entsprechenden Maßnahmen oder dem Angebot einer befristeten Beschäftigung für die Ausbildungssuchenden unterstützen.
Agentur für Arbeit im Bezirk Haßfurt mit hervorragender Bilanz
Die Bilanz der Agentur für Arbeit für den Bezirk Haßfurt ist hervorragend, wie die Zahlen belegen. Wurden bayernweit 57 Prozent und deutschlandweit sogar nur 47 Prozent der registrierten Bewerberinnen und Bewerber in die Berufsausbildung vermittelt, liegt der Landkreis Haßberge weit an der Spitze. Hier haben 72 Prozent der Suchenden tatsächlich eine Berufsausbildung begonnen.
18 Prozent der Jugendlichen, die eine Ausbildungsaufnahme angestrebt hatten, haben sich dann letztlich doch für den Verbleib im schulischen System entschieden. Diese Jugendlichen werden eventuell später wieder als Bewerber auftreten. Zwei Prozent haben sich entschieden, zunächst die Ausbildungssuche durch Aufnahme einer Arbeitsstelle zu beenden. Häufig suchen diese Jugendlichen für den nächsten Ausbildungsbeginn weiter nach einem passenden Ausbildungsplatz.
Für gemeinnützige Dienste entscheidet sich praktisch niemand
Für gemeinnützige Dienste wie das Freiwillige soziales Jahr hat sich nur 1 Prozent der Schüler entschieden. Die Zahl derjenigen, die zum 30. September des Berichtsjahres tatsächlich keine Alternative zur Berufsausbildung gefunden haben, ist seit Jahren sehr gering. Im Bezirk Haßfurt sind es in diesem Jahr gar keine, so die Geschäftsstellenleiterin. Gleichzeitig sinkt auch der Bedarf an Maßnahmen der Agentur für Arbeit, insbesondere der berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen und außerbetriebliche Berufsausbildungen seit Jahren. Das sei ein Indiz dafür, dass der Markt mittlerweile auch schwächeren Bewerbern eine Chance gibt.
Girls Day und Boys Day sind praktisch ohne Wirkung geblieben
Was sind denn die Wunschberufe der jungen Erwachsenen? Männliche Bewerber streben nach wie vor in männerdominierte Berufe wie Industriemechaniker, Kfz-Mechatroniker und Elektroniker. Bewerberinnen suchen weitergehend "Frauenberufe" wie Einzelhandels- oder Industriekauffrau oder Verkäuferin. Die in den vergangenen Jahren unternommenen Anstrengungen, das geschlechterspezifische Verhalten bei der Berufswahl mit Aktionen wie "Girls Day" oder "Boys Day" aufzuweichen, zeigen kaum Wirkung, sagte Berufsberaterin Vanessa Bachmann.
Das positive Verhältnis von Bewerbenden zu Ausbildungsstellen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass nicht jeder ode jede Jugendliche den Wunschberuf ergreifen kann. Das gilt etwa für Jobs im Bereich Informatik und im Büro. Umgekehrt hätten unbesetzte Stellen teilweise auch mit den hohen Anforderungen der Firmen zu tun oder mit der schlechten Erreichbarkeit des Arbeitsortes. Die Agentur für Arbeit appelliert weiter an die Betriebe, Ausbildungsstellen zu melden, um jetzt die Fachkräfte für die Zukunft auszubilden. Vor allem sollten Betriebe die schulischen Praktika nutzen, um für ihre Unternehmen und die von ihnen angebotenen Ausbildungsberufe zu werben.