Es ist frisch zwischen den Kühlregalen. Doch Julian Geier stört das nicht. Der 27-Jährige hat hier, im hinteren Bereich des Edeka Frische-Centers Höchner in Hofheim, genügend zu tun. Mit geübtem Handgriff zieht der junge Mann die Tür eines Kühlregals auf und kontrolliert die Rückseiten von Leberwurst- und Aufschnittverpackungen auf das Mindesthaltbarkeitsdatum.
Dabei nutzt er stets die linke Hand. Der 27-Jährige hat seit seiner Geburt eine Spastik. Seine rechte Hand ist versteift und angewinkelt. Geier kann sie nicht vollständig benutzen – doch arbeiten kann er trotzdem. Er ist einer von 35 Menschen mit Behinderung, die im Landkreis Haßberge über die Initiative "Mensch inklusive" der Lebenshilfe Schweinfurt fit für den Arbeitsmarkt gemacht werden.
Inklusion in ganz normalen Betrieben
"'Mensch inklusive' ist eine Art virtuelle Werkstatt", erklärt Benedikt Brückner. Er ist Inklusions- und Bildungsbegleiter und steht Geier als Mentor und Ansprechpartner zur Seite. "Nur, dass die Betroffenen nicht in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung arbeiten – so wie man es eben kennt –, sondern an verschiedenen Standorten, in ganz normalen Betrieben."
Das könne im Landratsamt sein, in einem Kindergarten oder auch bei einer Metallbaufirma. Oder – wie in Geiers Fall – eben im Supermarkt. Im Unterschied zur klassischen Behinderten-Werkstatt kommen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Initiative raus unter Menschen ohne Behinderung und rein in die ganz normalen Betriebe, erklärt Brückner. "Und das auch Sozialraum orientiert. Sie arbeiten dort, wo sie wohnen."
Das hat auch bei Geier geklappt. Knapp drei Kilometer lang ist der Arbeitsweg für den Goßmannsdorfer. Der 27-Jährige fing im März vergangenen Jahres mit einem Langzeitpraktikum über das Projekt "Mensch inklusive" im Edeka Frische-Center Höchner an. Pro Tag arbeitet er sieben Stunden inklusive Pause und kümmert sich vor allem um die Kühlregale. Mittlerweile, so berichtet er, klappen die Arbeitsabläufe wie im Schlaf.
"Vorher war ich über die Arbeitsagentur in anderen Projekten, zur Qualifizierung für den ersten Arbeitsmarkt", erklärt der junge Mann, der in der Vergangenheit bereits eine kaufmännische Ausbildung absolviert hat. "Das hat aber nicht sein sollen."
Geier wechselt an das nächste Kühlregal, dabei schiebt er einen gefüllten Einkaufswagen vor sich her. Darin liegt eine ganze Bandbreite an verschiedenen Fleisch- und Milchprodukten. Den Transport im Einkaufswagen habe er sich angewöhnt. "Damit ich die Sachen besser transportieren und einräumen kann", erklärt er und schmunzelt. "Man findet mit der Zeit seine Methoden."
Geistige, körperliche oder psychische Einschränkungen
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben verschiedene Arten von Behinderungen, wie Brückner erklärt. "Wir haben Menschen mit geistiger Behinderung, mit körperlichen oder psychischen Einschränkungen. Da ist alles mit dabei. So bunt wie die Welt ist, so bunt sind unsere Teilnehmer."
In der linken Hand hält Geier mittlerweile einen Scanner und liest damit Produkt für Produkt die Barcodes ab. Neben den Produkten im Einkaufswagen liegt ein kleines Druckgerät, das alle paar Sekunden rote Etiketten ausdruckt. Immer wieder hält Geier inne und zupft einen der frisch gedruckten Aufkleber von der Banderole ab. Weil die Mindesthaltbarkeit einiger Lebensmittel bald überschritten wird, muss Geier sie neu bepreisen. Für ihn eine Routinearbeit.
"Ich habe es leichter wie jemand, der erst später Einschränkungen bekommt. Ich kenne es ja nicht anders", sagt der junge Mann. "Ich weiß, wie ich mit den Dingen umgehen kann." Vorher sei er oft nicht ernst genommen oder gar bevormundet worden, berichtet er. Das sei jetzt anders. "Hier bekomme ich den Freiraum, den ich brauche", sagt Geier.
"Man muss immer schauen: Wie passen Betrieb und Teilnehmer zusammen?", bestätigt Brückner. Zusammen mit zwei weiteren Kollegen betreut er neben Geier noch die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer im Haßbergkreis, die der Initiative der Schweinfurter Lebenshilfe, die es seit 2014 gibt, angehören. Bisher habe es noch keine Probleme gegeben, die nicht lösbar waren. "Mindestens einmal pro Woche sind wir vor Ort in den Betrieben, bei den Teilnehmern."
Der Beruf im Lebensmitteleinzelhandel sei sehr schnelllebig, erklärt Marius Höchner, Inhaber und Geschäftsführer des Edeka Frische-Centers Höchner in Hofheim. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssten funktionieren. Doch das klappe auch bei den Personen, die über "Mensch inklusive" vermittelt werden, weiß Höchner, der noch weitere Märkte an den Standorten Schweinfurt und Bad Königshofen betreibt.
Möglichkeit auf einen normalen Arbeitsvertrag besteht
Im Schweinfurter Markt habe er bereits vor drei Jahren mit der Lebenshilfe zusammengearbeitet. Zug um Zug sei dort damals eine Frau mit Behinderung eingearbeitet worden. Er zieht eine positive Bilanz: "Das hat wunderbar geklappt. Mittlerweile arbeitet die Dame Vollzeit in dem Markt." Angestellt sei sie derzeit über die Lebenshilfe. Doch künftig bestünde für sie auch die Möglichkeit, einen normalen Arbeitsvertrag zu erhalten.
Wichtig sei, dass die Angestellten über die Initiative Bescheid wissen, und den Menschen mit Behinderung auch einmal unter die Arme greifen, falls es Probleme gibt. Ebenso, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer damit zurechtkommen, auch mal für einige Stunden alleine zu arbeiten, sagt der Geschäftsführer. Im Fall von Julian Geier klappe das gut.
Etwas mehr als ein Jahr ist seit Start seines Langzeitpraktikums bisher vergangen. Mittlerweile ist der 27-Jährige gut im Team integriert, versteht sich mit Kolleginnen und Kollegen und auch die Arbeit macht ihm Spaß, wie er zusammenfasst. Für ihn sei die Initiative "Mensch inklusive" eine Chance gewesen, Fuß auf dem Arbeitsmarkt zu fassen. Und das hat auch geklappt, wie er stolz berichtet. Seit 1. Juni dieses Jahres ist Geier über die Lebenshilfe fest im Frische-Center Höchner angestellt.
Als ich jung war (vor etwa 60 Jahren) war es leider ganz normal, dass Männer nur einen Arm oder nur ein Bein hatten. Die wurden damals noch nicht ausgegrenzt.
Dies liegt vor allem an den großen Trägern, die sich zwar gerne mit besonderen "Projekten" schmücken, wo es aber gerade in der Verwaltung und dort, wo es um´s Geld geht, der Mensch nichts zählt, seien es nun Mitarbeiter oder Klienten.....
Der Fachkräftemangel ist Ausdruck dieser Missstände.
Inclusion sollte Normalität sein, und keinen Anlass für eine Berichterstattung liefern!
Hieran sieht man doch sehr deutlich, daß es leider inzwischen immer noch nicht der Fall ist!