zurück
Kleinsteinach
Als Jude floh er vor den Nazis nach England. Nun besuchten 70 Nachfahren von Walter Neumann seine Heimat Kleinsteinach
Er war der einzige Holocaust-Überlebende seiner Familie. In England fasste er dauerhaft Fuß und gründete er seine eigene Familie mit vielen Kindern
Über 70 Nachkommen von Walter Neumann kamen am Montag nach Kleinsteinach auf eine Reise in die Vergangenheit ihrer Familie. Hier sieht man die große Gruppe im ehemaligen Schulhaus.
Foto: Martin Schweiger | Über 70 Nachkommen von Walter Neumann kamen am Montag nach Kleinsteinach auf eine Reise in die Vergangenheit ihrer Familie. Hier sieht man die große Gruppe im ehemaligen Schulhaus.
Martin Schweiger
 |  aktualisiert: 07.08.2024 02:39 Uhr

Im Jahr 1939 floh der damals 16-jährige Jude Walter Neumann vor den Nationalsozialisten aus seinem Heimatort Kleinsteinach nach England. Er sollte der Einzige seiner Familie sein, der den Holocaust überlebte. Seine beiden Eltern und seine beiden Geschwister wurden im Jahr 1942 ins Arbeitslager Treblinka deportiert, wo sie starben – weil sie Juden waren.

Walter Neumann blieb dauerhaft in England und ließ sich in Manchester nieder. Am Montag kamen über 70 Nachkommen und Verwandte von Neumann nach Kleinsteinach, zurück zu den Wurzeln der Familie Neumann. Sie besuchten das Museum "Jüdische Lebenswege", lernten bei einem Ortsrundgang das Leben früherer jüdischer Mitbürgerinnen und Mitbürger sowie den Ort der ehemaligen Synagoge kennen. Und sie besuchten den jüdischen Friedhof.

Vier von fünf Nachfahren Walter Neumanns leben noch immer in Manchester, die anderen in London oder Israel. Sie alle trafen sich in Frankfurt, von wo aus die Reise durch Deutschland startete. Ein weiterer Haltepunkt war in Burgpreppach, wo Moritz Neumann, der Vater von Walter Neumann, aufgewachsen war. Der Vater heiratete später Meda Grünbaum aus Kleinsteinach und arbeitete in der Schuhhandlung seines Schwiegervaters mit.

Besucher haben keine Vorbehalte gegen Kleinsteinach

Von Ressentiments war bei den Nachkommen Neumanns nichts zu spüren. "Dieser Ort repräsentiert nicht, was in Deutschland in den schlechten Jahren passierte", sagte Arnold Henry, ein Schwiegersohn Walter Neumanns, und meinte damit Kleinsteinach. Sein Schwiegervater sei beliebt gewesen im Ort. Über 400 Jahre lang hätten Juden und Deutsche in Frieden und Harmonie zusammengelebt. Als die Juden auf Anordnung der Nazis nicht mehr einkaufen durften, hätten dies Bürgerinnen und Bürger aus Kleinsteinach für sie übernommen.

Sie kennen nun den Ort, in dem ihr Vater oder Großvater seine Kindheit verbracht hat: Die Nachfahren von Walter Neumann in Kleinsteinach.
Foto: Martin Schweiger | Sie kennen nun den Ort, in dem ihr Vater oder Großvater seine Kindheit verbracht hat: Die Nachfahren von Walter Neumann in Kleinsteinach.

Bernd Brünner, der Leiter des Arbeitskreises und des Museums, hatte entscheidend bei der Organisation des Besuchs mitgeholfen. Pfarrer Jürgen Blechschmidt machte sich als Dolmetscher verdient. Bürgermeister Bernd Fischer begrüßte die Reisegruppe im ehemaligen Schulhaus.

Walter Neumann handelte mit Stoffen und Immobilien

Auf Bitte der Redaktion machte Bernd Brünner noch einige Angaben zum Leben Walter Neumanns. Der Mann mit den vielen Nachfahren kam am 9. März 1923 zur Welt. 1939 gelang ihm mit einem Schülertransport die Flucht nach England. Hier habe er mit 16 Jahren zunächst in Liverpool in einer Kleiderfabrik gearbeitet, ehe er sich mit einer kleinen Textilfabrik selbstständig machte. "Später allerdings stieg er in den Stoffhandel ein und wiederum später handelte er dann mit Immobilien", schreibt Brünner.

Mit 23 Jahren habe Walter Neumann, dessen Schreibweise in England Shimon Neumann war, seine Frau Freidel Lissberger (geboren am 21. Juni 1920) geheiratet und eine Familie mit schließlich 14 Kindern gegründet. Am 18. Mai 1998 hat Walter Neumann sogar noch einmal seinen Heimatort Kleinsteinach besucht - fast 60 Jahre nach seiner Flucht. Nicht lange danach, am 18. Januar 2000, ist er verstorben.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Fassung dieses Beitrags hatten wir das Geburtsdatum von Walter Neumann falsch angegeben. Und seine Ehefrau hieß tatsächlich Freidel (nicht Friedel, wie von uns geschrieben). Die Redaktion bedauert die Irrtümer.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Kleinsteinach
Martin Schweiger
Bernd Fischer
Holocaust
Holocaust-Überlebende
Jürgen Blechschmidt
Nachkommen
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top