Die Wut ist groß, doch bislang sind die Bauernproteste weitgehend friedlich verlaufen. Bundesweit legten Landwirtinnen und Landwirte immer wieder den Verkehr lahm und blockierten Autobahnzufahrten- auch in Unterfranken. Der Protest ist bestens organisiert. Zur Vernetzung und Mobilisierung nutzen die Bauernverbände und Vereine soziale Medien und Nachrichtendienste. Doch einigen Mitgliedern dienten diese Gruppen offenbar als Ventil für ihren Frust.
Im Landkreis Haßberge ist dieser Frust im Chat eines Messengerdienstes in Hass umgeschlagen – und vor allem gegen einen Amtsträger gerichtet: Landrat Wilhelm Schneider (CSU). Der Fall zeigt, wie aufgeladen die Stimmung ist - und wie wenig Gegenwind radikale Aussagen in der Gesellschaft teilweise bekommen.
Gummistiefelproteste sind Thema in der Gruppe
Ende Dezember 2023 entspinnt sich in einer Messenger-Gruppe des Vereins "Landwirtschaft verbindet Bayern" (LsV) eine Diskussion um die – laut Polizei illegalen – Gummistiefelproteste an den Ortsschildern. Der Verlauf liegt dieser Redaktion vor. Mehrere hundert Menschen sind zu dieser Zeit in dem Chat, und der Zulauf ist enorm.
In der Gruppendiskussion macht ein Bild die Runde: Eine Person, offenbar Mitarbeiter eines kommunalen Bauhofs aus dem nördlichen Landkreis Haßberge, entfernt Gummistiefel von einem Ortsschild. Ein Nutzer kommentiert das Foto mit einem einzigen Wort: "Überfahren". Eine direkte Reaktion aus der Gruppe darauf gibt es nicht.
Die Gummistiefel sind in den folgenden Tagen immer wieder Thema. Am 30. Dezember 2023 mutmaßt ein Nutzer, Landrat Wilhelm Schneider sei für das Verschwinden verantwortlich. Ein anderes Gruppenmitglied antwortet: "Wenn Irlmaier recht hat und eines Tages solche an den Laternen aufgehängt werden, werde ich das beim Schneider persönlich tun. Mit dem hab ich noch ne Rechnung offen".
Hellseher-Zitat aus Extremisten-Kreisen
Alois Irlmaier, auf den sich dieser Beitrag bezieht, hatte als Hellseher in Bayern Bekanntheit erlangt. Dem 1959 gestorbenen Brunnenbauer wird – manche vermuten irrtümlicherweise – ein Zitat zugeschrieben, das den Kontext der Chat-Aussage in noch deutlicherem Licht erscheinen lässt: "Wenn die ganze Lumperei aufkommt, steht das Volk auf mit den Soldaten. Dann wird jeder, der ein Amt hat, an der nächsten Laterne oder gleich am Fensterkreuz aufgehängt." Das Zitat wurde immer wieder von Extremisten mit Umsturzfantasien verbreitet, auch während der Corona-Pandemie.
In der Gruppe von "Landwirtschaft verbindet Bayern" bleibt es nicht bei dieser einen Aussage: Am 3. Januar 2024 fantasiert das selbe Gruppenmitglied erneut von Gewalt. Wieder geht es um Landrat Wilhelm Schneider, wieder wird der Hellseher genannt: "Wenn Irlmaier recht hat, wird man den auch eines Tages am Fensterkreuz erhängen."
Die Kriminalpolizei Schweinfurt hat inzwischen Ermittlungen in dem Fall aufgenommen. Konkret gehe es um den Tatverdacht der "Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten", teilt die Staatsanwaltschaft Bamberg auf Nachfrage mit. Es seien "operative Maßnahmen durchgeführt" worden. Genauere Angaben könne man zum jetzigen Zeitpunkt nicht machen.
Anwalt liefert Einordnung: Kontext ist für Konsequenzen entscheidend
Dem Urheber der Aussagen könnten weitreichende Konsequenzen drohen. Der Gesetzgeber sieht in solchen Fällen eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder eine Geldstrafe vor. Bernhard Langer, Rechtsanwalt der Haßfurter Kanzlei Langer & Kollegen, hilft bei der Einordnung: Bei solchen Aussagen komme es auch auf den Kontext an, in dem die Nachricht steht. Und auf die konkrete Wortwahl.
"Aufhängen kann ich jemanden, und er lebt noch. Beispielsweise an den Füßen, mit dem Kopf nach unten", sagt der Jurist. "Erhängen hat die Bedeutung, dass die Person danach nicht mehr lebt."
Geahndet werden könnte laut Strafgesetzbuch auch das Verhalten der Mitglieder, die zum Zeitpunkt der Nachricht in der Gruppe waren – wegen der "Nichtanzeige geplanter Straftaten", geregelt in Paragraf 138. Wenn eine Nachricht von vornherein als Witz klar erkennbar war, bestehe wohl keine Anzeigepflicht, so die Einschätzung des Rechtsanwalts. "Aber: Das hier ist schon relativ konkret", sagt Langer.
Landrat Wilhelm Schneider nimmt die Drohung "sehr ernst"
Das sieht auch der Betroffene selbst so: "Ich nehme die Drohung sehr ernst, habe aber keine Angst", teilt Wilhelm Schneider auf Nachfrage mit. Er habe Strafanzeige gegen den Urheber der Äußerungen gestellt.
Vergleichbare Fälle seien in Unterfranken bislang nicht bekannt, teilt das Polizeipräsidium in Würzburg mit. Man habe keine Kenntnisse darüber, ob es im Zuge der Bauernproteste zu anderen möglicherweise strafrechtlich relevanten Beiträgen in den sozialen Medien gegen Amts- und Mandatsträger gekommen sei.
Für Landrat Schneider ist es nicht der erste Vorfall dieser Art. Bereits in der Vergangenheit habe er mit Mord- und Gewaltaufrufen gegen seine Person zu tun gehabt, berichtet er. Woher dieser Hass komme, wisse er nicht. Schneider vermutet, stellvertretend für andere an der Pranger gestellt zu werden: "Da wird nicht mehr differenziert."
Für das Entfernen der Stiefel von Ortsschildern sei er nicht verantwortlich, stellt Schneider klar. "Wegen einer solchen Angelegenheit Morddrohungen zu äußern, ist wirklich ein unglaublicher Vorgang." Die Verrohung der Sitten schreite immer weiter voran. Vor allem in den sozialen Netzwerken, unter dem Deckmantel der Anonymität, zeige sich oft das gesamte Gewaltpotenzial.
Anruf bei der mutmaßlichen Verfasserin der Nachricht
Was aber veranlasst Menschen zu öffentlichen Gewaltfantasien wie dieser? Anruf bei der Person, unter deren Handynummer die Aussagen im Gruppenchat verfasst wurden. Eine Frau hebt ab. Ihren Namen will sie nicht nennen, sie stamme aber aus dem Landkreis Haßberge, sagt sie.
Die Frau bestreitet, die Beiträge mit Bezug zu Irlmaier verfasst zu haben. Ihr Handy liege öfter irgendwo herum, die Drohung könne jeder verfasst haben. Das ganze Dorf, in dem sie lebe, könne den Landrat nicht leiden, meint sie. Viele Amtsträger seien korrupt. Eine Hinrichtung aber wünsche sie niemandem. Wenn, dann einen fairen Prozess. Am Ende des Telefonats fragt die Frau lachend, ob sie nun eine Waschmaschine gewonnen habe.
"Aufhängen": Kein Gegenwind, kein Contra aus der Gruppe
In den Tagen um Silvester geht es in der Gruppe immer wieder um das "Aufhängen". Manche Verfasserinnen oder Verfasser lassen offen, ob sie damit Gummistiefel meinen oder doch Menschen. "Es gehört mal einer aufgehängt das Se merken das es so nicht weitergehen kann", schreibt eine Person. Eine andere wird konkreter: "Finde auch schon seit längerem das das hängen oder steinigen wieder eingeführt gehört." – "So viele Seile und Steine gibt es gar nicht", reagiert ein Nutzer und schiebt einen Lachsmiley hinterher.
Es sind nur wenige, die sich derart radikal äußern. Direktes Contra aber erhalten sie vom Rest der Gruppe nicht. Vereinzelt melden sich Stimmen, die dazu aufrufen, "sachlich" zu bleiben oder sich zu "zügeln". Ein Administrator aus dem Organisationsteam Unterfranken des LsV fordert mehr Disziplin. Am 5. Januar schließen die Administratoren die Kommentarfunktion der Gruppe, nur noch sie können Beiträge verfassen.
Administratoren distanzieren sich von den Aussagen
Warum aber haben die beiden Administratoren nicht direkt auf die Gewaltaufrufe reagiert? Es sei nicht möglich gewesen, den gesamten Verlauf im Auge zu behalten, erklären die beiden Organisatoren aus dem Landkreis Haßberge auf Nachfrage. Binnen weniger Tage seien hunderte neue Gruppenmitglieder dazugekommen, da kenne man nicht jeden einzelnen. "Wir distanzieren uns aber klar von solchen Aussagen", sagt einer der Administratoren. Dem legitimen Anliegen der Bauern würde dieses Verhalten schaden.
Eine Anfrage an den LsV-Bayern blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet. Das Kommentieren in der Chat-Gruppe ist seit 15. Januar wieder möglich. Die Person, die die Drohungen schrieb, ist noch immer Mitglied der Gruppe. Zu Wort gemeldet hat sie sich nicht mehr.