
Wer in diesen späten Herbsttagen einen Spaziergang im Wildpark macht, hört ihn manchmal noch. Sobald die Dämmerung beginnt, kann man damit rechnen, dass der Hirsch im Rotwild-Gehege seinen mächtigen Brunftschrei ausstößt. Der tiefe und lang gezogene Ruf soll die Konkurrenz erschauern lassen. Zunächst zuckt man zusammen, überlegt, woher dieser imposante, fast markerschütternde Hall kommt. Denn irgendwie klingt das Röhren des Hirsches an diesem nebelschwangeren Abend auch ein bisschen so, als ob da drüben auf der Wiese der Motor einer alten Schrottkarre gerade kurz auf volle Drehzahl hochgejagt wird - und dann leise verhungert.
Brunftzeit des Rotwilds ist eigentlich im Oktober. Doch der sechsjährige 14-Ender kann offenbar auch jetzt, Anfang November, von den Weibchen im Gehege noch nicht ganz lassen, denn sie stoßen wohl noch Duftstoffe aus, sagt Wildparkleiter Axel Maunz. Acht Alttiere, die bereits Junge zur Welt brachten, und drei Schmaltiere, die 2018 geboren sind, nehmen jetzt plötzlich Menschen-Witterung auf und setzen sich mit dem Platzhirsch in Bewegung, weil Besucher am Gatter stehen. Ein paar Kälber sausen den Großen sofort hinterher.
Der Platzhirsch und der Spießer
Und dann ist da noch der zweite Mann am Platz, ein einjähriger Hirsch, den man wegen seines noch recht kleinen Geweihs, die wie Dolche aus dem Kopf hervorkommen, auch Spießer nennt. Noch darf der Jüngling sich auch im Gehege herumtreiben. Er wird allerdings von seinem älteren Nebenbuhler kaum noch toleriert und hält sich eher abseits der Herde auf.

Der Platzhirsch achtet darauf, dass sich der Spießer nicht in die Nähe der Damen wagt, erklärt Maunz das Natur-Schauspiel am Klaushof. Denn schließlich ist der Einjährige bereits geschlechtsreif und könnte die Weibchen schon "beschlagen", wie der Vorgang des Begattens beim Rotwild heißt. "Man muss Obacht geben, dass die nicht miteinander kämpfen", sagt Maunz. "2020 muss der Spießer raus, wir tun ihn dann in ein anderes Gehege."
Anlocken mit Duftstoffen
In der Welt des Rotwilds ergreift das Weibchen zur Brunftzeit stets die Initiative, erklärt der Stadtförster. Sie strömen dann ganz besondere Duftstoffe aus, die dem Männchen am Platz ihre Bereitschaft zur Paarung signalisieren. Der Hirsch gibt daraufhin Signale von sich, sagt Maunz. "Es ist ein Imponiergehabe. Damit sagt er: 'Achtung! Ich bin da!'" Während er majestätisch im Gehege hin und her schreitet und stolz sein eindrucksvolles Geweih zur Schau stellt, mache er lauthals klar, dass das alles seine Weibchen sind. Hat es mit der Befruchtung geklappt, kommt sieben Monate später, meist im Juni, der Nachwuchs zur Welt, so Maunz weiter. Heuer sind es fünf Kälber gewesen.