Wem würde bei einer Einladung zum Dinner nicht etwas blümerant zumute, wenn der Gastgeber alles absolut perfekt arrangierte? Lieblingswein, Lieblingsessen, Lieblingsmusik, dazu ein Übermaß an Aufmerksamkeit. Da kann man schon ins Grübeln kommen - wie Antoine, der Gast in der neuesten Inszenierung im Theater Schloss Maßbach, der Komödie "Das Abschiedsdinner".
Das erfolgreiche französische Autorenduo Matthieu Delaporte und Alexandre de La Patellière steht für quicklebendige, messerscharfe Dialoge, tiefsinnigen Humor, feine Ironie und niemals schale Happy Ends. Am erfolgreichsten war es mit der zweimal verfilmten Komödie "Der Vorname", die 2022 auch in Maßbach zu sehen war.
Man lehnt sich, soweit das geht, zurück und lässt die da vorne spielen
Nun lässt uns Regisseur Ingo Pfeiffer in die gute Stube des gebildeten Kulturbürgertums blicken, und Bühnenbildner Wolfgang Clausnitzer (Kostüme: Daniela Zepper) hat dazu ein Schöner-Wohnen-Ambiente geschaffen, in dem sich die digitale Moderne so selbstverständlich eingenistet hat wie der wandhohe Kunstdruck eines barocken niederländischen Blumenstilllebens. Siri sorgt auf Zuruf für passendes Licht und passende Musik. Wenn das nicht beste Voraussetzungen für das wunderbare Zusammenspiel von äußerer Perfektion und innerem Chaos sind!
Und dann geschieht etwas, was man nicht alle Abende im Theater erlebt. Man lehnt sich, soweit das geht, zurück und lässt die da vorne spielen, ohne jeden Anflug von Skepsis und Sorge. Ja, man vergisst sogar, dass man sich im Theater befindet und ein Regisseur mit drei Schauspielern wochenlang das Stück geprobt hat.
Im Spiel von Ludwig Hohl und Anna Katharina Fleck als Ehepaar Pierre und Clotilde und Yannick Rey als Pierres altem Freund Antoine ist so gut wie keine kursiv gedruckte Regieanweisung gedanklich mitzulesen. Kein Fitzelchen Bauanleitung des Stücks lugt hinter der Handlung hervor. Die Drei spielen als wären wir, das Publikum, gar nicht da, als befänden sie sich tatsächlich in einem Appartement in irgendeiner vornehmen Pariser Vorortstraße. Chapeau!
Antoine versucht, von der Männerfreundschaft zu retten, was zu retten ist
Die Frage, die über allem schwebt: Was macht man mit Freunden, die einem schon lange fremd geworden sind, und die man nur noch aus Gewohnheit und schlechtem Gewissen einlädt? Pierre und Clotilde basteln an einer Lösung, planen ein allerletztes Abschiedsdinner und fangen mit Antoine und dessen Partnerin an. Dann erscheint aber nur Antoine, riecht nach einigem Geplänkel den Braten, ist stinksauer, versucht aber, von der Männerfreundschaft zu retten, was zu retten ist - mittels gruppendynamischem Spiel: Rollentausch, inklusive Kleidertausch samt Unterhose. Pierre wird zu Antoine, Antoine zu Pierre. Clotilde wird erstmal ausgeblendet. Und siehe da: Es kommen Eigenarten ans sanft gedimmte Raumlicht, die Selbstbild und Fremdbild gehörig auf den Kopf stellen.
Das alles geschieht vor unseren Augen, als säßen wir wie unsichtbare Zaungäste, eingeklemmt zwischen Büchern, in der mobilen Regalwand, lachten, schmunzelten und lauschten gestpannt den Wortgefechten.
Großes Theater im kleinen Haus, mit dem Resumee: Leute, lasst euch diese Szenen eines Abschiedsdinners nicht entgehen. Man kommt vor lauter Aufregung gar nicht zum Dinieren. Nur als von irgendwoher hausgemachte Essensdüfte in den Raum kriechen, erwachen die kulinarischen Gelüste. Vorher verharrt man ganz im Bann des sich Um-Kopf-und-Kragen-Redens.
Ach ja: Dass Pierre und Antoine am Ende ihre Unterhosen nicht zurücktauschen – ist das nun ein Zeichen von Vergesslichkeit oder unverbrüchlicher Freundschaft?
Vorstellungen im Intimen Theater und auf Gastspielreisen bis 5. Januar. Kartentelefon (09735) 235. www.theater-massbach.de