Es ging lange Zeit steil bergauf: Mehr als 30 Jahre lang hatte die Fitnesswirtschaft ein kontinuierliches Wachstum erlebt. Erstmals nach drei Jahrzehnten vermeldet die Branche nun einen Rückgang. Ende 2020 waren rund 10,3 Millionen Menschen in Deutschland in einem Fitnessstudio angemeldet und damit 11,6 Prozent weniger als noch im Vorjahr. Der Jahresumsatz ist um 24,5 Prozent eingebrochen und lag bei 4,16 Milliarden Euro, wie aus Angaben der deutschen Fitness-Wirtschaft 2021 hervorgeht.
Der Rückgang verwundert freilich nicht angesichts der Corona-Pandemie mit monatelangem und bis heute anhaltendem Lockdown. Seit rund einem halben Jahr sind die Sportstudios in Bayern dicht. Während für etliche Bereiche allmählich Lockerungen möglich erscheinen, geht der Freistaat bei den Fitnesscentern den harten Weg und sieht auch bei einer Inzidenz von unter 100 keine an Auflagen geknüpfte Öffnung vor, zumindest nicht für Innenbereiche - trotz im ersten Lockdown erarbeiteter Hygienekonzepte.
Oliver Radler dürfte da den Studiobetreibern im Landkreis und darüber hinaus kollektiv aus der Seele sprechen, wenn er sagt: "Ich hätte mir gewünscht, dass sich mit uns an einen Tisch gesetzt und nach Lösungen gesucht wird. Stundenweise Termine, eine beschränkte Anzahl an Leuten auf der Trainingsfläche, nachvollziehbare Kontakte, Training mit Maske und so weiter - das wäre natürlich Aufwand, aber alles denkbar gewesen. Es gibt immer noch nur die einfachste und schnellste Lösung, einfach komplett dichtzumachen."
Verständnis, dass bestimmte Dinge derzeit eingeschränkt werden, sei vorhanden. "Aber es wurde sehenden Auges in diese Situation gelaufen und im Sommer versäumt, die richtigen Schritte zu gehen." Das müsse auch seine Branche jetzt ausbaden. Radler betreibt zwei Fitnesscenter, eines davon in Bad Kissingen. Die Auswirkungen der Dauer-Schließung sind längst erkennbar. "Vor dem Lockdown hatten wir 1200 Mitglieder, jetzt sind es noch 900. Ein Viertel ist weg."
Aber kommen die Sportlerinnen und Sportler wieder? Pandemiebedingt haben die Menschen sich Alternativen zugewandt. Joggen, Radfahren oder auch das Trainieren zu Hause, im sogenannten Home-Gym, erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Die Absatzzahlen für passende Ausrüstung sind seit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 sprunghaft angestiegen. "Ängste sind natürlich da. Das ist die Lebensgrundlage meiner Familie", sagt Oliver Radler. "Wir haben über Jahre 70, 80 Stunden in der Woche gearbeitet, um dahin zu kommen, wo wir waren. Und diese Arbeit war umsonst. Es wird sicherlich ein oder zwei Jahre dauern, bis die Leute daheim die Nase voll haben und wieder zu uns kommen."
Vermehrt wird die Szene deshalb auf das setzen müssen, was der Solo-Sport in den eigenen vier Wänden nicht bietet: Soziale Kontakte, besondere Trainings- und Kursmöglichkeiten und nicht zuletzt kompetente Betreuung. Auch da gibt es Probleme. Zwar habe Radler Kündigungen dank Staatlicher Hilfen und Kurzarbeit bislang vermeiden können. Doch etliche der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wären auf den vollen Lohn angewiesen und hätten sich andere Stellen gesucht, um über die Runden zu kommen.
Skurrile Öffnungen von Freiluft-Trainingsflächen
Zumindest im Freien könnte derweil mancherorts trainiert werden. Branchenriese McFit hatte Anfang des Jahres einen Vorstoß gewagt und deutschlandweit zehn Outdoor-Fitnessbereiche geöffnet. Seit dem 15. Mai darf auch in der Würzburger Filiale unter freiem Himmel und Auflagen trainiert werden, wie das Unternehmen auf seiner Website mitteilt.
Und fast schon grotesk: Im, beziehungsweise vor dem, Schweinfurter Studio werden ebenfalls Gewichte gestemmt, wie eine Mitarbeiterin auf Nachfrage dieser Redaktion bestätigt. Trotz der mit 232,1 (Stand 16. Mai, 3.10 Uhr) bundesweit zweithöchsten Inzidenz und ohne vorherige Testpflicht - die wiederum in Würzburg, bei einer Inzidenz von 69,6, Voraussetzung für das Freiluft-Training ist. Die Erlaubnis zur Öffnung erteilen die örtlichen Behörden.
Hoffnung auf Lockerungen im Juni
Was für die großen Ketten lohnen mag, ist für die meisten kleineren Studios keine Option. "Ich werde den Teufel tun", sagt Oliver Radler. "Das ist eine klare Kosten-Nutzen-Frage. Es fängt ja schon da an, dass wir überwiegend Indoor-Geräte haben, die für draußen gar nicht geeignet sind. Also müssten wir ein Zelt anmieten. Das müsste dann abends ja auch irgendwie überwacht werden. Und die Kosten für die Betreuung fallen auch an."
Bei alledem stelle sich vor allem die Frage: Wie viele kommen tatsächlich? "Im ersten Lockdown hatte ich in meinem kleineren Studio den Außenbereich geöffnet. In zwei Wochen waren gefühlt fünf Leute da. Und heuer ist das Wetter ja auch nicht gerade berauschend." Für Radler wie für die meisten Studiobetreiber heißt es weiter: abwarten. Die aktuellen Schutzmaßnahmen aus der Bayerischen Staatskanzlei gelten bis zum 6. Juni. Danach könne die gebeutelte Branche weitersehen.