
Es ist der erste Advent 2022. Eigentlich alles wie immer, die Radiostationen spielen Weihnachtslieder und auf dem Wohnzimmertisch steht ein Adventskranz, auf dem die erste Kerze brennt. In den Nachrichten überschlagen sich die Ereignisse – Energiekrise, Armut, weltweite Flüchtlingswellen.
Meine Smartwatch vibriert, über 30 neue Nachrichten auf WhatsApp. Eigentlich möchte ich gar nicht aufs Handy schauen... ich tue es doch. Ah, meine geliebte Freundin schreibt mir: "Schnubbi, alles okay bei dir?? Die Nachrichten haben gesagt...", ein Freund: "...bei euch in der Nähe ist eine Rakete...", der Nächste: "...in die Fahrzeuge eines Hilfskonvois eingeschlagen...", eine Kollegin: "...über 20 Tote Zivilisten – alles Helfer..." – und so weiter!
Ich schaue meinen Freund Christian an, der neben mir auf einer Bank in einem Schutzbunker in der zentralen Ukraine sitzt. Raketenalarm – seit fast zwei Stunden. Und maximal 4-5 Stunden pro Tag Strom, fließendes Wasser und Heizung. Auch er empfängt besorgte Nachrichten am laufenden Band. Wir schauen uns nur an, nicken uns voller Vertrauen und Zuversicht zu und beantworten ruhig die Nachrichten an unsere Liebsten. Die wohl am häufigsten gestellte Frage seit neun Monaten: "Wieso machst du das überhaupt?"
Seit dem 24. Februar tobt ein furchtbarer Krieg ganz in unserer Nähe, seit dem 4. März engagiere ich mich ehrenamtlich aktiv in Sachen Humanitärer Hilfe für die Ukraine. Mit einem großartigen Team von Freiwilligen haben wir viele Menschen aus dem Krisengebiet ins sichere Deutschland geholt, überwiegend Frauen mit zum Teil sehr traumatisierten Kindern.
Wir haben berührende Schicksale erlebt, wie zum Beispiel diesen Bus voller Kinder, die alle ihre Eltern durch Kriegshandlungen verloren hatten. Bei mittlerweile zwölf Hilfsmissionen durften wir weit über 200 Tonnen gespendeter Hilfsgüter direkt an betroffene Menschen liefern.
Das ehrliche Feedback ist es, was uns immer wieder antreibt, die rührenden Blicke von Kindern, die sich über eine winzige Kleinigkeit freuen, die strahlenden Augen der Mütter, wenn ihre Kleinsten seit Wochen mal wieder lächeln – wegen eines Schoko Nikolaus. Oder die Dankbarkeit eines erfahrenen Chefarztes, der sich mit Tränen in den Augen über Schmerzmittel und OP-Werkzeuge freut.
Wieso mache ich das überhaupt? Meine Seele gab mir hierauf nur eine Antwort: NÄCHSTENLIEBE!
Ich lade dich dazu ein, vor allem jetzt in der Vorweihnachtszeit doch einmal richtig hinzuschauen und dein Gegenüber wirklich wahrzunehmen. Vielleicht erkennst du sofort, was er oder sie braucht. Meistens kostet es gar nichts. Nur ein kleines bisschen Nächstenliebe!
Fröhliche und friedliche Weihnachten.
Text: Dirk Stumpe
Foto: Carmen Hergeberger / Montage: Alissa Bakhchevan
Dirk Stumpe (48) wohnt in Bad Brückenau und ist ehrenamtlicher Einsatzleiter für die Ukraine beim Verein Bad Brückenau hilft e.V.
In der Kolumne "Kissinger Adventskalender" schreiben Menschen aus dem Landkreis Bad Kissingen Anekdoten und Gedanken rund um Advent und Weihnachtsfest.