Emil Walter, der in Wirklichkeit anders heißt, geht zur Zeit nicht gerne einkaufen. An der Supermarktkasse erlebt der 70-jährige Rentner aus Bad Kissingen jedes Mal einen Preisschock. "Das kann bald keiner mehr bezahlen", stöhnt er. "Alles ist teurer geworden. Gerade wenn man auch mal frische Sachen wie Obst und Gemüse oder Fleisch kaufen möchte."
Walter war selbständiger Textilkaufmann, "mit mehreren eigenen Läden", erzählt er und Stolz schwingt in seiner Stimme mit. In die Rentenkasse habe er kaum etwas eingezahlt. "Ich wollte privat fürs Alter vorsorgen." Doch seine Läden liefen irgendwann nicht mehr, er musste Insolvenz anmelden. "Es war ein großer Fehler, nicht in die gesetzliche Rentenversicherung einzuzahlen", sagt er heute. Später war Walter als "Bierkutscher" für eine Brauerei tätig, erzählt er. Das Tragen der Bierkästen und Fässer habe seinen Rücken kaputtgemacht.
Als dann auch noch seine Ehe zerbrach, habe er mit 56 Jahren gar nicht mehr arbeiten können: "Ich hatte ständig Schmerzen, musste Tabletten nehmen." Der Bad Kissinger hat eine Erwerbsminderungsrente beantragt. Das Problem: Wer nur wenig in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlt hat, bekommt später auch keine große Rente. Ein großer Teil der Selbstständigen ist nicht freiwillig rentenversichert, beziehungsweise sorgt auch privat nicht für das Alter vor. Das betreffe, so das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin, ungefähr 2,5 Millionen Menschen in Deutschland.
Wer hat Anspruch auf Grundsicherung?
Emil Walter erhält 358 Euro Erwerbsminderungsrente, die mit 449 Euro Grundsicherung aufgestockt wird, darin ist auch ein Zuschuss zur Miete enthalten. Anspruch auf Grundsicherung im Alter haben Menschen, die das Eintrittsalter zur Regelaltersrente erreicht haben und ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestreiten können, so die Deutsche Rentenversicherung (DRV). Als einfache Faustregel gelte: Liegt das gesamte Einkommen unter 924 Euro, sollte man prüfen lassen, ob man Anspruch auf Grundsicherung hat.
Von den 807 Euro Einkünften die der Rentner hat, gehen 420 Euro Miete für sein kleines Häuschen ab. Vom Sozialamt bekommt er keine weitere Unterstützung. Zum Leben – also für Lebensmittel, Drogerieartikel, Kleidung, Telefon – bleiben dem 70-Jährigen nach Abzug von Nebenkosten sowie Gas- und Stromrechnungen nicht mal 400 Euro. Hobbys, Urlaube oder Ausflüge kann sich der Rentner nicht leisten. "Mein Hobby ist mein Garten", sagt der Vater einer Tochter.
Emil Walter ist keine Ausnahme. Immer mehr Rentnerinnen und Rentner in Deutschland können von ihrer Rente nicht leben. Das zeigen auch die Daten des Rentenreports Bayern 2021, den der Deutsche Gewerkschaftsbund Bayern jährlich veröffentlicht. Rund 81 Prozent der Frauen und knapp 45 Prozent der Männer, die 2019 in Bayern in Rente gingen, blieben mit ihrer gesetzlichen Altersrente unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle von aktuell 1155 Euro.
Dazu kommt noch der Teuer-Schock: Nach vorläufigen Daten des Statistischen Bundesamts müssen die Menschen in Deutschland derzeit 6,2 Prozent mehr für Nahrungsmittel ausgeben als im Vorjahr. Nudeln vom Discounter kosteten derzeit 35 Prozent mehr – und eine Markenbutter sogar 70 Prozent mehr als im Vorjahr. Der 70-jährige Rentner ist froh, dass er gut kochen und wirtschaften kann. "Dafür durchforste ich jeden Tag sämtliche Werbeangebote."
Statt Butter gibt es bei Emil Walter Margarine. "Wenn sie im Angebot ist, kaufe ich fünf Stück." Oder Putenfleisch. "Aus einem Kilo Fleisch mache ich mehrere Portionen Geschnetzeltes, die ich einfriere." Später gebe es dazu wahlweise Reis, Kartoffeln oder Spätzle. Wenn möglich peppt der 70-Jährige den Reis noch mit Paprika oder Karotten auf. "Zur Tafel will ich nicht gehen. Noch nicht", sagt Walter. Das wäre ihm unangenehm.
Viele Menschen scheuen die Bürokratie
Altersarmut sei immer noch ein schambesetztes Thema, sagt Michaela Metz, Kreisgeschäftsführerin beim Sozialverband VdK in Bad Kissingen. "Wir wissen aus unseren Beratungen, dass viele Menschen keine Grundsicherung beantragen, weil sie sich schämen, weil sie nicht zum Sozialamt wollen oder weil sie Bürokratie scheuen", sagt Metz. Aus den Beratungen weiß sie, dass es für einkommensschwache Haushalte immer schwieriger werde, sich ausgewogen und gesund zu ernähren. "Ich beobachte schon, dass die meisten am Essen und an der Heizung sparen."
Das Gas für seine Heizung hat Emil Walter schon lange abgestellt. "Wenn es mir kalt ist, heize ich mit dem Bollerofen." Holz bekomme er immer irgendwo her. Der Sozialverband VdK fordert die Energiepreispauschale von 300 Euro auch für Rentnerinnen und Rentner. "Sie dürfen nicht leer ausgehen", sagt Michaela Metz. "Denn gerade Seniorinnen und Senioren mit kleinen Renten sind besonders auf das Geld angewiesen, weil sie am Ende des Monats nicht mehr wissen, wie sie über die Runden kommen sollen." Jeder Erwerbstätige, egal wie viel er verdient, bekomme diese Pauschale. "Obwohl ein Großteil der Bevölkerung sie gar nicht bräuchte", so die VdK-Kreisgeschäftsführerin.
"Selbständige haben ein überdurchschnittliches Risiko später im Leben auf Grundsicherung angewiesen zu sein", sagt Johannes Geyer vom Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin, das dazu eine Studie gemacht hat. Das betreffe natürlich nur einen Teil dieser sehr unterschiedlichen Gruppe. Doch Geyer hält es für angebracht, die Personen, die bisher nicht in einem obligatorischen System abgesichert sind, in die gesetzliche Rentenversicherung aufzunehmen. "Die zusätzlichen Beitragszahlungen würden zudem helfen, die Finanzen der Rentenversicherung für einige Jahre zu entlasten."
Emil Walter weiß, dass er selbst für seine Situation verantwortlich ist. "In meinem Leben ist einiges schief gelaufen", sagt er. Mit bald 71 Jahren könne er daran auch nicht mehr viel ändern.
Warum geht das bei uns nicht?
Verkürzt erklärt.