"So sieht die Werkstatt aus, wenn ich aufgeräumt hab'", sagt Johann Germann, als wir die Treppe runter in sein Reich hinabsteigen. Noch bevor ich mich dort umschauen kann, legt er los: "Diese Drehbank hab ich mal für 25 Euro auf dem Flohmarkt gekauft", weist er mich ein und deutet auf eines seiner antiken Prachtstücke mitten im Raum. Die Regale an den Wänden quellen schier über: Kisten, Schachteln, Pappkartons – darin all die Schätze, die der gelernte Maschinenschlosser im Lauf von Jahrzehnten zusammengetragen hat.
Da ragen Eisenwerkzeuge aus einem Gestell griffbereit hervor. Baumhölzer in Latten- und Balkenform warten darauf verarbeitet zu werden. Dazwischen ausgediente Haushaltsgeräte und Kabelknäuel. Der Werktisch ist übersät mit Utensilien. Für mich ein klarer Fall: Hier wird ernsthaft gehobelt, sorgfältig gedreht und fleißig geschliffen.
"Ich bin ein Jäger und Sammler", sagt Germann pfiffig und grinst. "Die Leute wissen das. Wenn einer was braucht, kommt er zu mir." Er habe Ersatzteile, die es seit 50 Jahren nicht mehr gibt, sagt der 75-Jährige und nimmt als Beispiel einen rostigen Rollo-Wickler aus den 1960-ern vom Gestell herunter.
Der Opa kam als Bäckermeister nach Thundorf
Dann marschiert der flinke Senior in den Nebenraum. Ich hinterher. Warum sein Nachname Germann zwei "n" hat, frage ich beiläufig und sieze ihn natürlich. "Also, ich bin erst mal der Hans, das weißt du ja wahrscheinlich schon", bietet er mir unausweichlich das Du an. "Dann bin ich die Isolde", schlag ich ein und merke, wie er sich freut, dass ich in seine urige Heim-Werkstatt eingedrungen bin und wissen will, wie er dazu kommt, seit zehn Jahren kleine und große Kinder mit diesen hochkomplex gebauten hölzernen Karfreitagsratschen auszustatten.
"Mein Opa kam aus Neuburg an der Donau hierher", kommt Hans auf seinen Nachnamen mit zwei "n" zurück. Bis Anfang der 1960-er Jahre war er der Bäckermeister in Thundorf. Dann sei Schluss gewesen, denn die Ausstattung der Bäckerei stammte aus den 1920-er/1930-er Jahren. Der grauhaarige Bäckermeister-Enkel vor mir zuckt mit den Schultern. "Er hätte alles neu machen müssen damals", sagt er und winkt ab. Da habe er lieber mit dem Backen aufgehört.
Der Showroom eines Schlossers mit Hang zum Schreinern
Ich frage unermüdlich nach und kritzle schnell seine Antworten mit. "Das passt doch gar net alles auf deinen Block", bemerkt Hans trocken. Und grinst. Eigentlich lächelt er immerzu – es ist kein augenblickliches Verlegenheitslächeln, sondern eine natürliche Heiterkeit, die von einem ausgeglichenen erfüllten Leben kündet.
Im Raum nebenan mache ich große Kinderaugen: Etwa 40 große und kleine Ratschen sind da auf eine langen Tisch in Reih und Glied angeordnet. Davor kleine Möbelstücke für Puppenhäuser. Das ist sozusagen der "Showroom" eines Schlossers mit Hang zum Schreinern.
"Guck mal, die nehm' ich immer auf den Markt in Haßfurt mit", sagt Hans und hängt sich eine Riesenratsche um, an der er probehalber die Handkurbel dreht: Ein furchtbar laut knatterndes Rrrrrrhhhhhh! ist zu hören. Das Klappern der Zapfen, die über die Welle gleiten, bohrt sich in meine Ohren – und hallt ewig nach. Mir wird klar: Es hätte nicht geschadet, Ohrstöpsel mitzunehmen.
"Haßfurt ist aber ein schlechtes Pflaster", kommt Hans auf den Hobbybastlermarkt zurück und der Schalk blitzt wieder mal aus seinen Augen. Dort seien nämlich viele evangelisch, also werde auch nicht überall geklappert. Und dann wollten freilich auch nicht viele Leute bei ihm Ratschen kaufen. "Das Klappern war ganz früher nämlich eine rein katholische Angelegenheit, die von den Ministranten verrichtet wurde", klärt er mich auf.
Klappern in allen Größen und für jede Hand
In etlichen Dörfern klappern auch heute nur die Ministranten, weiß er. "Aber es wird überall immer weniger. Und wenn die Kirchen irgendwann mal geschlossen werden, kann man das Klappern ganz vergessen", gibt Hans als Prognose aus. Und lacht. In Thundorf bestehe diese Gefahr aber noch nicht, weil der Ort überwiegend katholisch ist und hier alle Kinder klappern gehen.
"Eigentlich hat mich mein Enkel Felix drauf gebracht", kommt Hans auf die Anfänge seines Ratschenbauens zu sprechen. Als der Bub damals acht war - also vor 13 Jahren - wollte er sich auch endlich in die Phalanx der Klapperkinder einreihen. Da wagte sich Hans dann an seine erste Ratsche ran.
Die Klappern sind bei ihm in allen Größen zu finden – denn schließlich gehen ja nicht nur große, sondern auch kleine Kinder mit den Ratschen durchs Dorf, sagt er. "Wenn jemand kommt und eine Ratsche braucht, will er meist eine kleine kaufen", erklärt Hans den Trend der Zeit. Ich fummle derweil genießerisch an den kleinen und großen Klapperkästen herum, heb die eine hoch, streiche über die andere. Hans ist begeistert, weil ich begeistert bin.
Auf diese Erfindung ist er ganz besonders stolz: Er stellt nämlich Ratschen her, die auch für Linkshänder geeignet sind. Wie das geht? "Ganz einfach. Man darf die Halter der Welle nicht verleimen, sondern muss sie mit einer Gewindebüchse und Inbusschrauben verbinden", erklärt Hans fachmännisch. So lassen sich dann die Schrauben leicht lösen und man könne die Welle jederzeit umbauen. Übrigens entscheiden sich die meisten Eltern sowieso für diese wandelbare Klapper.
Sechs bis neun Klangfedern haben die Ratschen à la Johann Germann. Sie machen den kräftigen Klang aus. Sie müssen generell natürlich biegsam sein, weshalb Hans beim Bauen "zu 99 Prozent" auf Eschenholz schwört. "Es ist ein Glücksfall, wenn ich mal Zwetschgenholz in die Hände bekomme", toppt er seine Erzählung und demonstriert mir das Ergebnis dieses Glücksfalls an einer seiner Ratschen: Die Federn sind nicht nur dunkler, sondern auch geschmeidiger als die aus Esche.
Wenn der Riemen das Holz im Bottich nach oben zieht
Der 75-Jährige ist noch vom alten Schrot und Korn. Einer, der noch weiß, wie es geht, wenn man aus der Not eine Tugend machen muss. 1972 hat er vom Schlosser zum Rolladenbauer umgesattelt, wirft er mir im Laufschritt über die Schulter, als ich ihm zur Kellertüre folgen soll. "Guck mal, ich hab mir einen Aufzug gebaut, mit dem ich mein Brennholt runterlasse", klärt er mich auf und deutet draußen auf einen schwarzen Bottich, der an Rolladen-Riemen befestigt ist. Als wir die Außentreppe erklommen haben, betätigt Hans den mechanischen Rolladen-Riemen-Aufzug, mit dem er den Bottich nach oben zieht und später, wenn er ihn mit Holz aus dem Schuppen gefüllt hat, wieder nach unten gleiten lässt.
"Geh mal mit", sagt Hans erneut und läuft zum Schuppen voraus. Mein Besuch hat etwas von einer kirchlichen Prozession, bei der man würdig hinter dem Pfarrer und dem Allerheiligsten in der Monstranz her läuft und an heiligen Bildstöcken ehrfürchtig Pausen einlegt. Nur dass Hans kein Pfarrer ist, sondern ein weltlicher Mann mit viel Humor und dem Herzen am rechten Fleck.
Wenn Spinnerei und Blödsinn soviel bedeuten wie Kreativität
Als wir später wieder in den Keller runter steigen, weiß ich nicht nur, dass er drei gut erhaltene Traktor-Oldtimer sein eigen nennt und früher leidenschaftlicher Motorradfahrer war, sondern ich kenne praktisch alle aus der Familie ganz gut vom Hörensagen.
Dann stößt Enkel Felix zu uns, auf den Hans offensichtlich mächtig stolz ist. Kein Wunder, denn Felix hat, wie der Opa, Schlosser gelernt und sich in der Werkstatt von Hans so einiges abgeschaut.
"Ist halt so eine Spinnerei", sagt Hans lapidar, als ich im Gespräch thematisch wieder zurück zu den Ratschen will. Zeit und Mühe koste es ihn schon, so eine Ratsche zu bauen, gibt er zu. Mit fünf bis sechs Stunden müsse er da rechnen. "Und dann mach ich zwischendurch lauter Blödsinn", grinst er und schüttelt dabei den Kopf. Eigentlich will er damit aber sagen, dass er unterwegs dauernd kreative Ideen hat und die auch umsetzt: So brachte er zum Beispiel mal an der Welle einer Ratsche, statt der runden Zapfen, lauter Vierkant-Zapfen an. "Sieht anders aus, macht aber den gleichen Krach."
Auch für seine heute 15-jährige Enkelin Lina hat er eine Ratsche gebaut, sagt Hans und man merkt gleich, dass das eine ganz spezielle Arbeit war. "An der hab ich den Boden des Resonanzkastens abgerundet und die Federn weiß-rot-grün lackiert. Aber das kannst du nur für jemanden machen, den du besonders gern hast."