Er hat viele Gesichter und ist mehr als eine Krankheit: Krebs. Die Diagnose bedeutet für Betroffene einen tiefen Einschnitt in ihr gewohntes Leben. Alltag und Beruf, Familie und Freizeit sind berührt. Auch wenn die Therapie gut verläuft, bleiben häufig gesundheitliche Einschränkungen und Ängste. Patientinnen und Patienten müssen sich neu orientieren, wieder Vertrauen und Zuversicht finden – und gleichzeitig Schwächen akzeptieren.
Körper, Geist und Seele in die Reha einbeziehen
Bei all dem kann eine onkologische Rehabilitation helfen, bei der die Verbesserung der Lebensqualität nach einer Krebserkrankung im Mittelpunkt steht. Auftanken. Kraft schöpfen. Die Rehaklinik am Kurpark in Bad Kissingen hat sich darauf spezialisiert. Die Wochenpläne sind so individuell wie die Situation und die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten. Nur eines haben sie gemeinsam: Immer geht es um den ganzen Menschen – um Körper, Geist und Seele.
Brustkrebs-Patientin Ruth Bender: Erst Chemo und Bestrahlung, dann Bewegung und Impulse
Ruth Bender traf die Diagnose vor ziemlich genau einem Jahr: Brustkrebs, die Mammografie ließ keine Zweifel. Gleich nach Weihnachten begann für die 64-Jährige die Chemotherapie. 16 Einheiten, die schlauchten. Die Nägel gingen ab, die Sensorik an Händen und Füßen litt. Im Sommer wurde Ruth Bender – brusterhaltend – operiert, es folgten Bestrahlungen im September und Oktober.
Im Krankenhaus schlug man der Patientin eine Anschluss-Reha vor: drei Wochen, die übliche Zeitspanne für eine onkologische Reha. Ruth Bender ist froh, sie in Anspruch genommen zu haben. Die Klinik dafür konnte sie – so steht es im Sozialgesetzbuch – selbst wählen.
Ihre Gefühlsstörungen haben sich deutlich gebessert, berichtet die 64-Jährige. Sie hat viel Gymnastik gemacht, teils auch im Wasser. Dazu kam Gerätetraining: Stepper, Ergometer, Laufbänder – fast wie im Fitness-Studio sieht es in dem Klinikbereich aus, dazu gibt es in der Bad Kissinger Rehaklinik Spezialgeräte wie einen 3D-Stabilisationstrainer für Füße und Beine.
Überhaupt ist Bewegung ein zentraler Schlüssel in der Krebs-Rehabilitation, erklärt Steffen Wentrock. "Der Körper", sagt der Leiter der Bewegungstherapie, "lernt mit Impulsen umzugehen." Auch Wärme-Anwendungen werden, wenn medizinisch nichts dagegen spricht, in der Rehaklinik eingesetzt. Dafür gibt es Infrarotkabinen und eine Sauna.
Um ihre Erkrankung noch besser zu verstehen, besucht Ruth Bender Vorträge: Medizinische Wissensvermittlung gehört ebenso zu den Reha-Wochen wie die Sozialberatung für berufliche Wiedereingliederung oder Frühverrentung, Ernährungsberatung und Ergotherapie.
Leukämie-Patient Rolf Schnitzler: Neue Kraft tanken, Ausdauer gewinnen – dazu Yoga und Tai Chi
Rolf Schnitzler ist bereits zum zweiten Mal nach Bad Kissingen gekommen. Der 49-Jährige muss sich mit seiner Blutkrebs-Diagnose arrangieren. Die chronische myeloische Leukämie (CML) ist eine bösartige Erkrankung des Knochenmarks, bei der zu viele weiße Blutkörperchen gebildet werden. Zwar konnte über die Jahre die Behandlung durch neuentwickelte Medikamente verbessert werden. Doch so unbeschwert und planbar wie vor seiner Erkrankung wird das Leben von Rolf Schnitzler wohl nie mehr sein.
Durch Zufall, bei einer regulären Blutbild-Untersuchung, waren die Ärzte im Juni 2017 auf die Leukämie gestoßen. Schon 14 Tage später begann für Rolf Schnitzler mit Tabletten die Therapie. Nebenwirkungen blieben nicht aus: häufiges Wasserlassen, vor allem aber Erschöpfungszustände. Das Fatigue-Syndrom trifft viele Krebskranke. "Mir diese Schwäche einzugestehen, war kein leichter Schritt. Aber wichtig", sagt der Versicherungskaufmann im Außendienst. "Der Akku ist leer, nur ist die Krankheit nicht sichtbar." Sich in der Reha mit anderen Leukämie-Patientinnen und -Patienten auszutauschen – das habe ihm geholfen: "Man merkt, dass man damit nicht allein ist."
Drei Monate nach der Krebsdiagnose erlitt Rolf Schnitzler einen Schlaganfall, zurückzuführen vermutlich auf die Therapie, wie er sagt. Er leidet seitdem unter Gefühlsstörungen im rechten Fuß, die Finger erkalten unvermittelt. Jeden Tag muss er Tabletten nehmen, dazu Interferon zur Stärkung des Immunsystems. Der 49-Jährige kann mit der Krebserkrankung leben, muss aber extrem dosieren.
Wenn Krebspatienten nicht aus dem Vollen schöpfen können
Wenn der Akku leer ist, lässt die Konzentration nach. Mails müsse er vormittags schreiben, berichtet der Versicherungskaufmann. Die vom Nachmittag verstehe er bisweilen selbst nicht mehr. "Ich muss überlegen, wie ich mir den Tag einteile, damit es für den Nachmittag noch reicht." Spontan etwas zu unternehmen? Schwierig.
So reicht die Erkrankung weit hinein ins soziale Umfeld. Auch für seinen 15-jährigen Sohn könne er nicht immer da sein, sagt Schnitzler. Im Urlaub müsse er sich oft ausklinken, weil die Kraft nicht mehr reicht. In guten Stunden kann er einige Kilometer joggen. Langsamer als früher, aber immerhin. Dieses Wechselbad, "das können die meisten nicht verstehen". Das Joggen steht zwar nicht auf seinem Therapieplan. Aber jeden zweiten Morgen darf der 49-Jährige eine Runde drehen. Es tut ihm gut, macht den Kopf frei.
In der Reha in Bad Kissingen lernt Rolf Schnitzler auch, zu sich zu kommen - mit Yoga und Tai Chi. Dabei geht es um Strategien zur Alltagsbewältigung. Und vor allem: ums Auftanken. Denn im Mittelpunkt steht in der Reha die einzelne Patientin oder der einzelne Patient. Schon im Aufnahmegespräch gilt es herauszufinden, in welcher körperlichen und psychischen Verfassung sich jemand befindet. Daraus werden dann die Anwendungen abgeleitet – ohne Leistungsdruck: "Jeder nach seinem Maß", sagt Therapeut Steffen Wentrock.
Bewegung und psychologische Gesprächstherapie werden verbunden: "Wir versuchen, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten", beschreibt Chefarzt Dr. Andreas Willer das Prinzip hinter der onkologischen Reha. Im Idealfall setzen sie die Patientinnen und Patienten zuhause fort, deshalb bietet die Klinik auch Angebote zur ambulanten Nachsorge. "Das ist vor allem für Patienten aus der Nähe interessant", sagt der kaufmännische Klinikleiter Holger Metz. Bis zu 26 Therapieeinheiten à 90 Minuten seien möglich. Eine Hilfestellung, um am Ball zu bleiben.
Leukämie-Patientin Monika Meyer: Kampf mit Nebenwirkungen, Schwäche und Kinderwunsch
Für Monika Meyer (Name auf Wunsch von der Redaktion geändert) kam der Krebs im ersten Corona-Herbst. Die Diagnose wie bei Rolf Schnitzler: chronische myeloische Leukämie. Eine schwierige Zeit, Meyers Partner durfte nicht mit in die Klinik. Dabei waren sie gerade in der Familienplanungsphase. Der Kinderwunsch der 34-Jährigen – jäh ausgebremst?
Die Verzweiflung ist in ihrem Gesicht zu lesen, Tränen fließen, während sie erzählt. Aber die Labor-Assistentin gibt noch nicht auf. Sie muss täglich Tabletten nehmen und hofft auf ein neues Medikament für eine schnellere Remission. Sie leidet unter den Nebenwirkungen der medikamentösen Therapie: Kopfschmerzen, Schlafstörungen und die Fatigue, die Müdigkeit. In der Reha lernt sie, damit umzugehen und die Schwäche zu akzeptieren. Ihr Leben so zu gestalten, dass sie etwas davon hat.
Doch die quälenden Fragen bleiben: Würde sie Schwangerschaft und Geburt überhaupt schaffen? Krebs ist weit mehr als eine Krankheit. Patienten, die es geschafft haben, machen Monika Meyer Mut. "Ich hoffe, gestärkt hier rauszugehen." Die Klinik am Kurpark hat sich auf die chronische Leukämie spezialisiert, zweimal pro Woche trifft sich eine psychologisch geführte Gesprächsgruppe extra für die Betroffenen, Dazu kommt das normale Reha-Programm: Bewegungstherapie in drei Belastungsstufen, Atemtherapie und Hockergymnastik, Walking und Qi Gong.
Onkologische Reha in Bad Kissingen seit über 20 Jahren
Dabei treffen die Krebspatienten in den Gruppen dann auch Teilnehmer aus der orthopädischen Reha. Man wolle keine "Ghettoisierung", sagt der kaufmännische Leiter Holger Metz. Seit dem Jahr 2000 schon gibt es die onkologische Reha an der Bad Kissinger Klinik. 100 Betten und Zimmer sind dafür vorgehalten, 83 Betten für die Orthopädie. Die onkologische Reha folgt einem ganzheitlichen Ansatz und will Krebspatienten stabilisieren, ohne Druck und Zwang. Oder wie es Cheftherapeut Wentrock formuliert: "Es geht nicht darum, sich Ziele zu setzen, sondern sich auf den Weg zu machen."