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Nachruf auf einen Nikolaus: Ernst Zwirlein war in Winkels der Archetyp des Nikolauses schlechthin
Drei Generationen Kindern hat der vor drei Jahren gestorbene Ernst Zwirlein aus dem Goldenen Buch vorgelesen. Warum er den Nikolaus wie kein anderer verkörperte.
Ernst Zwirlein als Nikolaus bei Winkelser Kindern im Jahr 1989.
Foto: Archiv Ines Renninger | Ernst Zwirlein als Nikolaus bei Winkelser Kindern im Jahr 1989.
Ines Renninger
 |  aktualisiert: 10.05.2023 09:41 Uhr

Nikoläuse sollten nicht sterben! Weil, so will es das Happy End, die Guten immer überleben. In Winkels hat sich das Leben nicht ans Drehbuch gehalten. Im Oktober 2019 ist dort mit Ernst Zwirlein ein Mann gestorben, der den Nikolaus über Jahrzehnte wie kein anderer verkörperte.

Wer ihn kannte, zweifelt nicht: Ernst Zwirlein war der Archetyp des Nikolauses schlechthin. Über 60 Jahre hat der am Ende 82-Jährige im Laufe seines Lebens Kindern aus dem Goldenen Buch gelesen. Erstmals gespielt hat er den Nikolaus für die beiden eigenen Söhne. Schnell weitete sich sein Nikolaus-Engagement auf den Winkelser Kindergarten aus, am Ende besuchte er viele, viele Familien im Bad Kissinger Stadtteil.

Wer Zwirlein erlebte, spürt seither am 6. Dezember eine Leerstelle

Auch bei drei Generationen meiner Familie, ich eingeschlossen, klopfte er an die Tür. Wer Zwirlein im klassischen Nikolausgewand, mit Mitra und Krummstab erlebt hat, spürt seither am 6. Dezember eine Leerstelle.

Ernst Zwirlein bei einem seiner Nikolaus-Auftritte im Jahr 1987. 
Foto: Archiv Ines Renninger | Ernst Zwirlein bei einem seiner Nikolaus-Auftritte im Jahr 1987. 

Genau vier Jahre ist es her, dass das Winkelser Urgestein das letzte Mal an unsere Tür pochte: "Von drauß‘ vom Walde komm ich her!" Auch mit Mitte 30 war es sofort zurück, das Schaudern der Kindheit. Die Mischung aus beklommenem Schreck und vorfreudiger Erwartung, übertönt von aufgeregten Kinderstimmen inmitten von Plätzchenkrümeln und Glühweinduft. Schließlich das angestrengte Luftanhalten, wenn seine schweren Schritte langsam näherkamen, bis die stattliche Gestalt im Türrahmen stand. "Oh lieber Herre Christ, meine Reise fast zu Ende ist, ich soll nur noch in diese Stadt, wo's eitel gute Kinder hat." Ein Mann ganz Rauschebart und Rausche-Augenbrauen, unter denen die gütigsten aller Augen blitzten.

25 Jahre lang schloss Küster Ernst Zwirlein seine Kirche jeden Morgen für die Gläubigen auf und abends wieder zu. Das Foto entstand 2015, als Zwirlein das Küster-Amt nach 25 Jahren Dienst niederlegte.
Foto: Archivbild Sigismund von Dobschütz | 25 Jahre lang schloss Küster Ernst Zwirlein seine Kirche jeden Morgen für die Gläubigen auf und abends wieder zu. Das Foto entstand 2015, als Zwirlein das Küster-Amt nach 25 Jahren Dienst niederlegte.

Natürlich, der Nikolaus war nur eine von Ernst Zwirleins vielen Rollen im Leben: 25 Jahre war er Küster, acht Jahre Fußball-Abteilungsleiter, zehn Jahre Sportvereins-Vorsitzender. Er war Mann für alles beim Winkelser Kindergarten Kleine Strolche, Tenor im Gesangverein Edelweiß Winkels. Den Dreikönigen briet er jährlich die besten aller Schnitzel, beim Kinderfasching frittierte er die schmackhaftesten Pommes. Er war liebevoller Vater, Groß- und am Ende Urgroßvater, im Beruf Postbeamter.

2007 überreichte die Stadt die Bürgermedaille für ehrenamtliches Engagement

Anlässlich seines Todes bezeichnete ihn die Stadt Bad Kissingen, respektive der damalige Oberbürgermeister Kay Blankenburg, als "hochgeachtete Persönlichkeit", die sich durch "uneigennütziges ehrenamtliches Engagement in Vereinen und kirchlichen Einrichtungen, insbesondere in seiner Arbeit für Kinder und Jugendliche verdient gemacht hat". 2007 hatte die Stadt dem damals 69-Jährigen deshalb die Bürgermedaille verliehen.

Im Rahmen des Neujahrsempfangs der Stadt Bad Kissingen wurde Ernst Zwirlein 2007 die Bürgermedaille für ehrenamtliches Engagement verliehen.
Foto: Archivbild Roland Pleier | Im Rahmen des Neujahrsempfangs der Stadt Bad Kissingen wurde Ernst Zwirlein 2007 die Bürgermedaille für ehrenamtliches Engagement verliehen.

Vermutlich könnten also viele Menschen viel über Ernst Zwirlein erzählen. Wie er wurde, was er ist, wie er blieb, was er war – trotz einiger Schicksalsschläge. Für mich ist der Nikolaus nach wie vor seine Paraderolle.

Ein Nikolaus, der immer auf Seiten der Kinder stand

Es war immer das vorwitzigste aller Kinder, das seinen Krummstab halten durfte. "Nun sprecht, wie ich's hierinnen find: Sind’s gute Kind, sind's böse Kind?" Keiner las wie Ernst Zwirlein aus dem Goldenen Buch, nie verurteilend, immer aufbauend, wunde Punkte dennoch nicht scheuend: "Manchmal sollst du etwas frech sein?"

Wenn Kinderaugen dann nervös hin- und her sprangen, sich das kleine Gesicht ertappt rötete, war er es, der auf der Stille zu Hilfe eilte: "Das ist halt wie du bist. Und das ist gut!" Beschämt guckten dann höchstens noch die Eltern. Es war Zwirleins ehrliche, vorbehaltlose Wertschätzung, die mitunter ganze Familien zurück auf den Teppich brachte.

Das Geheimrezept: Warum er die Rolle wie kein anderer verkörperte

Wie viele große Männer wäre Ernst Zwirlein nichts gewesen ohne seine Frau im Hintergrund. Hilde Zwirlein fuhr ihn zu allen Nikolauseinsätzen, kleidete ihn an, wartete zahllose Male vor den Haustüren. Einmal kam sie kurz rein. Saß mit im Wohnzimmer, als der Nikolaus klopfte. Irgendwann zwischen Flöten- und Kinderkrippenspiel, passierte er dann, der Moment der Bewusstwerdung: Als die Achtjährige erkannte: "Der Nikolaus, das ist ja Ernst Zwirlein aus dem Dorf!"

Statt Enttäuschung machte sich damals tiefe Zufriedenheit breit. Wer wenn nicht er, sollte den Nikolaus geben? Ein Mann, der auch im echten Leben ein Inbegriff von Hilfsbereitschaft, Tatkraft, Nächstenliebe war. Warum er die Rolle verkörperte wie kein anderer? Weil er war, was er spielte. "So ist es recht, so geh mit Gott, mein treuer Knecht."

 
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