Michael Hilbel lebt in zwei musikalischen Welten - mindestens. Die eine liegt ihm am Herzen, in der anderen hat er Spaß und verdient das meiste Geld für den Lebensunterhalt. Das gilt für normale Zeiten, die Corona-Pandemie kommt für den 51 Jahre alten gebürtigen Hammelburger, der seit 1993 selbstständiger Musiker ist und nach eigener Aussage alles spielt, was Saiten und Bünde hat, einem Berufsverbot gleich. Es gab einfach keine Auftritte mehr.
Wie verdienen Sie normalerweise Ihr Geld? Leben Sie ausschließlich von Ihrer künstlerischen Tätigkeit?
Michael Hilbel: Normalerweise spiele ich Auftritte in unterschiedlichen Formationen von Bierzeltmusik, Rockcover, Irish Folk und so weiter bis zu Worldmusic . Und das deutschlandweit und im angrenzenden Ausland. Im Februar sah die Auftragslage 2020 für meine Verhältnisse recht vielversprechend aus. Seit gut 20 Jahren spiele ich die meisten Gigs am E-Bass in einer Partyband, die von Agenturen vermittelt wird. Doch musikalisch strebe ich nach mehr Abwechslung.So habe ich mich in den letzten Jahren als Ideengeber und Mitwirkender für die Vernetzung von Musikern aus verschiedenen Sparten wie Rock, Jazz, Volksmusik, Klassik beim Seminar "Musik-Kreativ-Tage" an der Bayerischen Musikakademie Hammelburg engagiert. Ich verwirkliche auch immer wieder Projekte mit Eigenkompositionen. Zusätzlich halte ich noch Ausschau im Internet nach Formationen mit bestehenden bezahlten Gigs, bei denen ein Musiker abspringt oder fehlt. Das ist für mich viel effizienter, als nach einzelnen Gigs zu suchen. Auf jeden Fall gibt es ein paar Bands unterschiedlicher Stilistik, mit denen ich Spaß habe und Geld verdiene. Es war noch nie einfach, ich bin nie reich geworden. Es gibt in meinem Job kaum Sicherheiten. Aber ich habe mich damit arrangiert, und es ist meine Lebensrealität.
Wie sieht Ihre derzeitige berufliche Situation aus? Wann hatten Sie Ihren letzten Auftritt, wann gab es die letzte Gage ?
Meinen letzten Auftritt hatte ich im September 2020 in einem Altenheim auf der Terrasse. Getrennt von den Bewohnern durch eine Fensterscheibe. Es war ohne großen Aufwand und einfach nur für den guten Zweck. Die letzte Gage habe ich an Fasching bekommen.In welchen persönlichen Umständen leben Sie?
Ich wohne alleine zur Miete, aber mit meinem zwölfjährigen Sohn und dessen Mutter im selben Haus, was vieles einfacher macht. Denn ich kann mich jederzeit um mein Kind kümmern, und es kann mich jederzeit besuchen. Wir waren nie eine klassische Familie im herkömmlichen Sinn. Einkünfte brauche ich als Künstler natürlich wie jeder andere zum Überleben. Außerdem kümmere ich mich um meine 81-jährige Mutter, was mich teilweise auch ganz schön beansprucht. Für mich ist an meinen persönlichen Umständen nichts Besonderes, sondern es ist einfach nur so wie es ist.Haben Sie die versprochenen staatlichen Unterstützungsprogramme bekommen?
Ja, aber dass die groß angekündigten Hilfen für soloselbstständige Musiker ein Dilemma sind, ist inzwischen überall angekommen. Kredite kommen für mich nicht in Frage, denn es gibt ja überhaupt keine Planungssicherheit. Die "Soforthilfe Corona" habe ich sofort beantragt. Angegeben habe ich nur, was mir zu diesem Zeitpunkt schon an Gagenausfällen klar war. Dann der Schock, als bekannt wird, dass das Geld nur für Betriebsausgaben ist. Währenddessen wurden mir immer mehr Auftritte abgesagt. Nach Wochen der Entwicklung und technischer Schwierigkeiten war dann endlich das von Ministerpräsident Söder angekündigte Onlineformular für weitere Künstler-Hilfen zum Teil einsehbar. Allerdings nur für die, die keine anderen Corona-Soforthilfen oder Leistungen zur Grundsicherung erhalten oder beantragt hatten. Totales Chaos oder doch berechnende Absicht? Nach weiteren gefühlten Ewigkeiten wurden die Künstler-Hilfen stillschweigend nachgebessert. Ich habe mich für eine Antragstellung entschieden und wurde bei einer Zufallsstichprobe für eine Prüfung der Rechtmäßigkeit ausgewählt. Ich hatte kein Problem damit, alle angeforderten Unterlagen schnellstens einzureichen. Die weiteren Künstler-Hilfen, die für den Lebensunterhalt vorgesehen waren, wurden mit der Soforthilfe Corona für Betriebsausgaben verrechnet, so dass ich seit März bis jetzt insgesamt 3000 Euro staatliche Unterstützung erhalten habe.Und wie ging es dann weiter?
Nachdem alle Gigs für 2020 und darüber hinaus abgesagt wurden, habe ich mich Anfang Oktober, wie von staatlicher Seite empfohlen, dazu entschlossen, den "vereinfachten Antrag auf Grundsicherung ( Hartz IV )" zu stellen. Dieser könnte innerhalb von drei bis sechs Tagen genehmigt sein. Doch das Jobcenter Bad Neustadt hat vom vereinfachten Verfahren anscheinend noch nichts mitbekommen, so dass ich bis jetzt rund 60 Seiten Anlagen und Nachweise eingereicht habe. Da wird etwa das Einkommen meiner Ex-Frau erfragt, von der ich seit 20 Jahren getrennt lebe und seit über zehn Jahren geschieden bin. Oder mein Vermieter soll beantworten, ob die Wohnung, in der ich lebe, frei- oder mit öffentlichen Mitteln finanziert wurde. Auf Genehmigung warte ich noch. So viel zum vereinfachten Zugang zur Grundsicherung . Bei den aktuell angekündigten Hilfen läuft es ja auch schon wieder schräg. Da wird von 75 Prozent der Einnahmen aus dem November 2019 geredet. Doch es gibt nicht wenige Musiker , die im November so gut wie gar keine Einnahmen haben. Bei mir geht die Saison von April bis Oktober. Glücklicherweise wurde das inzwischen nachgebessert, und es kann das Jahreseinkommen als Berechnungsgrundlage genommen werden. Aber ich bekomme ja eh nichts, weil ich Hartz IV beantragt habe.Wie haben Sie sich über Wasser gehalten?
Mitte April habe ich nach langem Überlegen auf Facebook eine Spendenaktion gestartet. Die Reaktion war für mich überwältigend. Davon lebe ich immer noch. An dieser Stelle möchte ich allen Spendern noch mal meinen allerherzlichsten Dank aussprechen. Ihr seid echte Heroes.Wie sieht Ihre berufliche Zukunft aus?
Wer weiß, wie es mit der Livemusik weitergeht? Ich habe mich auch für einen Antrag auf Grundsicherung entschieden, weil ich mir eine Weiterbildung erhoffe. Rumsitzen und abwarten ist nicht mein Ding. Ich möchte die Zeit nutzen und in der Zukunft meinen Geschäftsbereich mehr auf die Musikproduktion verlagern. Dazu benötige ich eine Auffrischung meiner Kenntnisse im Bereich Tontechnik. Bei Vorab-Anfragen im Jobcenter habe ich eine Woche lang im Kreis herumtelefoniert, um zu erfahren, dass ich erst einen Antrag stellen muss, um eine Auskunft darüber zu bekommen, ob meine Weiterbildungsidee unterstützt wird. Die Maßnahme, die ich mir ausgesucht habe, ist zu 100 Prozent förderungsfähig und staatlich anerkannt. Mal sehen, was da rauskommt. Das Gespräch führteMichael Petzold.