Kinderbetreuung, Unterstützung der Eltern, Job – und all das oft alleine und ohne Partner: Die Doppel- und Dreifachbelastung in der Pandemie hat besonders Mütter seelisch erkranken lassen. Was eine Reha bringt und warum er am Ende einer Therapie manchmal voller Sorge ist, erklärt Dr. Joan-Felix Balsianu, stellvertretender Leiter der psychosomatischen Abteilung der Rehaklinik Bad Bocklet (Lkr. Bad Kissingen), im Interview.
Dr. Joan-Felix Balsianu: Ja, durchaus. Etwa zwei Drittel der Patienten sind Frauen - und unter ihnen sind viele alleinerziehende Mütter. Deren ohnehin schon starke Belastung ist natürlich noch gewachsen. Wegen der Schließung von Kitas und Schulen waren die Alleinerziehenden ja rund um die Uhr für ihre Kinder zuständig und mussten nebenbei arbeiten. Oder, solche Fälle erleben wir auch, Alleinerziehende wurden in der Pandemie arbeitslos. Sie müssen um ihre Existenz fürchten, verspüren Zukunftsängste, fühlten sich besonders stark isoliert.
Balsianu: Stichwort Großeltern – da gibt es noch ein Phänomen, das ich bei Frauen sehr oft und bei Männern so gut wie nie beobachte: Dass nämlich Frauen zusätzlich zur Sorge für die Kinder noch die Sorge um die Eltern oder sogar die Pflege der alten, kranken Eltern übernehmen. Und ich spreche hier nicht von kurzen Besuchen, sondern von mehrmaliger Betreuung pro Woche, ja von täglicher Betreuung. Das ist natürlich eine Doppel- oder Dreifachbelastung, wenn man Kinder betreut, Eltern pflegt und vielleicht noch arbeitet.
Balsianu: Das ist eine sehr wichtige Frage, die wir auch bei der Rehabilitation klären müssen. Die Patientinnen klagen oft über Beschwerden, die sich zunächst banal anhören: "Besonders schlecht geht es mir nicht, ich habe Schlafstörungen wie viele andere auch." Besonders Durchschlafstörungen sind ein verbreitetes Symptom bei unseren Rehabilitanden. Die Leute schlafen schlecht, grübeln viel, fühlen sich am nächsten Tag wie gerädert, können sich schlecht konzentrieren. Deshalb sind sie gereizt, was sich auf die Beziehungen zur Familie oder den Kollegen niederschlägt. Und sie sind fast alle müde. Diese Müdigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch fast alle Erstaufnahmegespräche. Dazu kommen oft Ängste, ein vermindertes Selbstwertgefühl. Das Interessante ist: Krankgeschrieben sind diese Menschen oft wegen eines "Burnouts". Das sehe ich hier als eine euphemistische Hilfsdiagnose. Tatsächlich leiden viele Menschen mit einer solchen Symptomatik an einer klinischen Depression.
Balsianu: Der erste Schritt ist, Erkrankten behutsam zu erklären, was ihre Symptome bedeuten. Viele tun sich schwer zu akzeptieren, dass sie an einer Depression leiden. Diese Krankheit ist noch immer schambehaftet und stellt für viele ein Schwächebekenntnis dar. Aber ohne die Akzeptanz des Patienten kann man die Krankheit nicht heilen. In einem zweiten Schritt geht es um Ursachenforschung. Oft reichen Gründe für bestimmte Handlungsweisen weit in die Vergangenheit zurück. Übrigens haben wir gesehen, dass gerade durch die gezwungene Vereinsamung in der Pandemie sehr viele Kindheitsverletzungen hochkommen. Dies zu ergründen, braucht Zeit. Der dritte Schritt während der fünfwöchigen Reha besteht darin, Lösungswege zu finden, Weichen zu stellen. Vielen Patientinnen und Patienten hilft auch die Erfahrung etwa in der Gruppentherapie, dass sie mit ihrer Problematik nicht alleine sind. Ganz wichtig ist mir: Diese fünf Rehawochen, bei denen übrigens in unserem Haus auch die Kinder mitbetreut werden, können nur der Anfang der Heilung sein. Die Therapie müsste dann weitergehen. Tut sie aber oft nicht.
Balsianu: Gerade habe ich hier ein Paar kurz vor der Entlassung, das absolut notwendig eine Anschlussbehandlung bräuchte. Aber wo immer das Paar auch anruft, haben Psychotherapeuten und Psychiater ellenlange Wartelisten und kaum Plätze. Wir haben zwar ein neues Psychotherapeutengesetz in Deutschland, aber zu einer besseren Versorgung der Patienten führt dieses Gesetz eigentlich nicht. Dass Patienten nach einer psychosomatischen Reha bei uns keine Anschlussbehandlung bekommen, sehe ich in der überwiegenden Anzahl der Fälle! Ja, die schlechte Versorgung im Bereich der Psychiatrie und Psychosomatik ist ein Dauerzustand seit Jahren in Deutschland.
Balsianu: Absolut. Allein die Psychopharmaka, die vor und manchmal während der Reha verordnet werden, sind kein Ersatz für eine Psychotherapie. Das ist in etwa so sinnvoll wie nur Paracetamol als Symptombehandlung bei Fieber zu verabreichen, ohne die Ursachen zu ergründen und diese kausal zu behandeln. Antidepressiva sind bei schweren Depressionen unentbehrlich, ansonsten ist die Psychotherapie die erste Wahl. Die Medikamente machen oft gleichgültig, helfen, die Situation zu überstehen. Es hilft aber nicht weiter. Wir bräuchten viel mehr Psychotherapeuten, die in einer langfristigen Therapie den Patienten helfen, sich selbst zu verstehen, ihre anscheinend unlösbaren Probleme oder Konflikte zu lösen und sie zu einem veränderten Leben zu begleiten.