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"Ich lebe meine Rolle"
Isolde Krapf
 |  aktualisiert: 03.12.2019 09:56 Uhr

Es ist immer wieder spannend, wenn ich auf der Bühne stehe“, sagt Franz Wüst und es klingt ein bisschen so, als wäre er selbst darüber erstaunt. Seit 1983 mimt der gebürtige Münnerstädter im Heimatspiel den Oberbürgermeister Hans Vait. Damals wechselte er sich noch mit Winfried Hanshans ab. Seit 1994 ist der Hobby-Schauspieler mit der kehligen Sonorstimmen nun quasi der hauptamtliche OB in Ludwig Nüdlings Bühnenstück. Nein, Lampenfieber hat man da keins mehr, wiegelt der Laien-Profi ab. Dennoch gibt er zu: „Ein gewisses Kribbeln kommt kurz vorher schon in mir hoch.“

Schon als Kind begeistert

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde „Die Schutzfrau von Münnerstadt“ ab 1949 wieder regelmäßig aufgeführt. Damals war der heute 71-Jährige erst drei. Aber bei den Proben am Anger schaute er auch als kleiner Kerl schon begeistert zu. „Meine Tante Anna wohnte am Anger und da saß ich dann immer draußen vor dem Haus auf der Treppe und betrachtete alles.“ Sein Onkel Fritz hatte zudem Pferde, die jedes Jahr zum Heimatspiel angefordert wurden.

Damals wie heute sind die Münnerstädter personell voll engagiert, wenn es darum geht, die wundersame Errettung ihres Städtchens durch die Jungfrau Maria während des Dreißigjährigen Krieges brandaktuell auf die Bühne zu bringen. Groß und Klein wirken da wie selbstverständlich mit. Kaum war Wüst also damals in der Schule, wurde er in die Gruppe der Buben integriert, die sich während des Schauspiels auf der Bühne aufhalten.

Seit 1971 Senator

Als er etwas älter war, berief man ihn in die Schar der Scholaren. Mit 16 Jahren wurde er Schnitter. 1971 rückte Wüst dann so zu sagen schon in den historischen Stadtrat jener Zeit ein, als er im Heimatspiel die Rolle des Senators Markus Deichmann übernahm und zusammen mit den anderen Senatoren zum Beraterkreis von Hans Vait gehörte. Ab 1983 schlüpfte er einmal pro Jahr ins Kostüm des Stadtoberhaupts, während Hanshans den Oberbürgermeister bei zwei Aufführungen spielte.

So leicht wie Wüst damals spieltechnisch in die Oberschicht aufrückte, war der soziale Aufstieg in der Ständegesellschaft jener Zeit jedoch nicht. „Die Obrigkeit hatte es sehr gut, während die Handwerker und die Bauern sich plagen mussten“, charakterisiert Wüst das soziale Leben im 17. Jahrhundert. Mit der Historie hat sich Wüst gedanklich immer wieder auseinandergesetzt: Als 1641 die schwedischen Truppen daher sprengten und die Landsknechte zahlreiche Ländereien brandschatzten, flohen die Bauern draußen in den Dörfern in die Städte und suchten Schutz. Denn dort machte man die Stadttore zu, wenn der Feind anrückte. „Der Oberbürgermeister konnte sagen, wer in der Stadt bleibt. Er hatte Entscheidungsgewalt“, sagt Wüst. Das war auch im Fall Münnerstadts so. Als die Schweden vor den Mauern der Stadt standen, hatten die in die Stadt geflüchteten Bauern dem Stadtchef schon von den grausamen Taten des Feindes berichtet.

Vorbild war Max Katzenberger

Die Rolle des Stadtoberhaupts hat Wüst stets fasziniert. „Schon als Kind hab ich an Max Katzenbergers Lippen gehangen.“ Der OB-Darsteller der 1940er Jahre war für ihn ein Vorbild, dem man nacheifern konnte. „Er wirkte seriös, strahlte Selbstverständlichkeit aus. Er ist in seiner Rolle aufgegangen.“ Auch bei Wüst ist das nicht anders. Nach den Verhandlungen mit Schwedenobrist Otto von Schaumburg ruft er als Oberbürgermeister im Heimatspiel die Männer und ihre Söhne auf die Mauern. Sie sollen Deckung suchen, weil der Kampf bevorsteht.

Und dann kommt die Szene, die Wüst wohl auch nach hundertmaligem Spielen noch ergreifen wird: „Kehrt keiner von den treuen Mannen wieder, so schreibt ins Heldenbuch aufs erste Blatt: Sie starben stolz und gern für Münnerstadt“ lautet der Text. „Dann drehe ich mich um und gehe zum Jörgentor, um dort dem Feind entgegenzutreten. Und wenn ich die Treppe der Bühne hinuntersteige, geht mir so etwas wie ein Schauer über den Rücken“, beschreibt der Routinier, was ihn beim Spielen auch nach Jahrzehnten immer neu befällt. „Es ist nun mal so. Wenn ich spiele, dann lebe ich meine Rolle.“

Nahezu identische Charaktere

Hans Vait war der Regent, der alles in die Hand nahm. Er war verantwortungsvoll und wollte, dass es dem Volk wohl ergehe. Er erschien selbstbewusst, zeigte jedoch auch mal Schwäche. Franz Wüst hat den Charakter seines szenischen Alter Ego inzwischen haargenau studiert – und sich in ihn hineingelebt. Vait war beliebt beim Volk, man ließ ihn vor dem Rathaus hochleben. Und das genoss er.

Entsprechen diese Persönlichkeitsmerkmale auch Wüst selbst? Der OB-Darsteller tut sich mit der Antwort schwer, während seine Frau Elisabeth sofort nickt: „Ja, ganz genau“, sagt sie und lacht. Nach kurzem Nachdenken kommt auch Wüst zu dem Schluss, dass er gern Verantwortung übernimmt und etwas bewegen will in der Welt. „Ich kann mich energisch für etwas einsetzen und zur Not auch mal auf den Tisch hauen. Ja, die Rolle ist mir schon wie auf den Leib geschneidert“, sagt er und grinst.

Wortgefecht mit dem Schwedenobristen

Dennoch ist es eine statische Rolle, „man kann nicht viel weiterentwickeln“, sagt der Münnerstädter mit Bedauern. Doch Hans Vait brennt sich in die Köpfe der Zuschauer ja vor allem durch seine Verse ein, die er zum Volk hin spricht. Ob dieser Mann einst laut und mit kräftiger Stimme sprach, weiß keiner so genau. Doch spätestens wenn Wüst auf der Bühne dem Schwedenobristen gegenübertritt, energisch gestikuliert und mit teils wilder Mimik seine Wortgewalt herausschreit, erschauert nicht nur das Volk. Auch die Zuschauer rundum sind wie erstarrt, weil jede Silbe sitzt, jeder Reim vollkommen ist. Seine Stimme wird Darstellungsmittel, seine laute Rhetorik erzählt Geschichte.

Obwohl Wüst seit Kindstagen beim Heimatspiel mitmischt und seit 45 Jahren dort tragende Rollen spielt, freut er sich jedes Jahr wieder auf das neue alte Schauspiel am Anger. „Es wird nie langweilig. Es gehört einfach zum Leben dazu“, sagt der Vollblut-Darsteller. Auch seine drei Kinder Steffen, Matthias und Andrea haben dort lange Zeit mitgemacht. Es ist das gemeinsame Erlebnis in der Gruppe, das ihn über das Spielen hinaus so begeistert. Man trifft sich, übt gemeinsam, sitzt gelegentlich mal zum Plaudern zusammen.

Jung und Alt mit Begeisterung dabei

Dass Jung und Alt sich gleichermaßen engagieren, ist für Wüst ein besonderes Merkmal des Münnerstädter Sommerspektakels. Und dann gibt's da auch jedes Jahr diese kleinen netten Begebenheiten, die man sich später als Anekdoten wiedererzählt. So heißt es im Stück, dass die Schweden „vom Karlsberg herunter“ auf die Stadt schossen. Bei Wüst feuerten sie einmal gar „vom Kreuzberg aus“.

Vorgänger: Winfried Hanshans Anfang der 1980er Jahre in Würzburg.
Foto: Franz Wüst | Vorgänger: Winfried Hanshans Anfang der 1980er Jahre in Würzburg.
Max Katzenberger verkörperte Hans Vait in den 1940er Jahren.
Foto: Heimatspielgemeinde | Max Katzenberger verkörperte Hans Vait in den 1940er Jahren.
Schlüsselszene: Die Schweden sind da. Der Oberbürgermeister (Franz Wüst) verhandelt mit dem Schwedenobristen.
Foto: Fotos (3): Isolde Krapf | Schlüsselszene: Die Schweden sind da. Der Oberbürgermeister (Franz Wüst) verhandelt mit dem Schwedenobristen.
Heimatspiel anno dazumal: Das Gruppenbild entstand 1927. Vorn in der Mitte (mit Stock) posiert der Autor des Bühnenstücks, Ludwig Nüdling. Dahinter Dionys Hanshans, der erste Oberbürgermeister des Heimatspiels.
Foto: Heimatspielgemeinde (2), Franz Wüst (1) | Heimatspiel anno dazumal: Das Gruppenbild entstand 1927. Vorn in der Mitte (mit Stock) posiert der Autor des Bühnenstücks, Ludwig Nüdling. Dahinter Dionys Hanshans, der erste Oberbürgermeister des Heimatspiels.
Senator Markus Deichmann.
Foto: FFranz Wüst | Senator Markus Deichmann.
Erst die Arbeit . . .
Foto: Isolde Krapf | Erst die Arbeit . . .
. . .  und dann das Vergnügen.
Foto: Isolde Krapf | . . . und dann das Vergnügen.
 
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