
In George Bernard Shaws "Pygmalion" (1913) ist Eliza Doolittle naseweis, ungestüm und vielleicht etwas linkisch. Im Musical "My Fair Lady", das 1956 am Mark Hellinger Theatre in New York uraufgeführt wurde, bekommt das kleine Blumenmädchen weitere charakterliche Konturen. Denn plötzlich hat sie auch irgendwie Pfiff. Christin Decker als Eliza weiß das in der aktuell in Bad Kissingen gespielten Bühnenfassung professionell in Szene zu setzen.
Bei der Probe am Freitagvormittag im Innenhof des Luitpoldbads erkennt man schnell: Diese junge Frau aus dem Volk weiß ziemlich genau, was sie will. Sie ist schrill, lustig und irgendwie zauberhaft, was die Zuschauerinnen und Zuschauer bei den geplanten elf Aufführungen sicher zu schätzen wissen werden.
Musical musste wegen der Pandemie mehrfach verschoben werden
Eliza Doolittle sollte eigentlich schon 2020 ihren frechen Charme auf der Freilichtbühne im Luitpoldbad in Bad Kissingen versprühen, während der gelehrte Phonetik-Professor Henry Higgins (Manfred Gorr) sie verzweifelt zu bändigen sucht. Das Musical "My Fair Lady", das von der Agentur Depro Dienstleistungen GmbH (Gemünden/Wohra) in Zusammenarbeit mit Regisseur Peter Radestock (Marburg) auf die Bad Kissinger Bühne kommt, musste aber wegen der Corona-Pandemie mehrfach verschoben werden.
Weißer Hut, Mikrofon, Sonnenbrille: Regisseur Peter Radestock sitzt ganz vorn am Zuschauerbereich und beobachtet an diesem Freitag bei der Probe die Szenerie vor sich auf der Bühnentreppe. Mr. Pickering (David Gerlach), der gerade bei Higgins zu Gast ist, lümmelt auf einem kleinen Sofa und ist mit seinem Gastgeber in einen sprachwissenschaftlichen Diskurs vertieft, als das Hausmädchen Mrs. Pierce (Kathrin Bürger) Eliza Doolittle anmeldet.

Wird Professor Higgins dem spröden Mädchen Unterricht geben?
"Stopp! Der Einsatz der Musik ist zu früh", sagt Radestock plötzlich und hebt den Arm. Die Schauspielerinnen und Schauspieler vorn auf der Bühne lockern sich wie beim Sport, sind aber schnell wieder in Startposition. Weiter geht’s! Auf der Bühne wird ausbaldowert, ob der Professor dem spröden Blumenmädchen mit der volkstümlichen Ausdrucksweise nun Unterricht geben soll oder nicht.
Radestock blättert unterdes immer mal in seinem dicken Skript. Es sind offenbar lose Blätter, die der Wind fortzutragen droht. Dann greift er wieder in das bunte Geschehen vor sich ein, weil ihm zwei Akteure offenbar zu wuselig erscheinen: "Und ihr bleibt mal ganz ruhig", mahnt er hin zur Bühne. Dann betritt Eliza Doolittles Vater in Gestalt von Frank Damerius die Bühne.

Wenn der Hauskutscher auf der Bühne erscheint
Laut Drehbuch ist er "nur" ein gewöhnlicher Hauskutscher. Aber als er da ist, hat er Präsenz, nicht nur weil er gerade an der Reihe ist. Manchmal ist das so: Ein Schauspieler kommt nicht auf die Bühne, sondern er erscheint – und nimmt alle gleich gefangen.
Es gibt ein paar Szenen des Musicals, die am Freitagvormittag zweimal geprobt werden, entweder weil der Regisseur noch Unebenheiten sieht oder weil zum Beispiel Christin Decker sich das so wünscht. Radestock ist da offen. Überhaupt hat man das Gefühl, dass bei der Probe nicht nur der Regisseur dirigiert, sondern jeder und jede aus dem Ensemble sagen kann, was er will und braucht.

Im Chor wirken Personen aus Bad Kissingen mit
Der Chor ist am Vormittag nicht dabei. Schade, denn dort wirken zwölf Darstellerinnen und Darsteller aus Bad Kissingen mit. Leicht seien die nicht zu finden gewesen, gibt Radestock zu. Es hätten sich zwar etliche angemeldet, geblieben seien dann aber nur ein paar dieser Eifrigen. Vor drei Wochen habe sich der Chor aber dann stabilisiert.
Radestock findet das Ambiente am Luitpoldbad für die Aufführung sehr gut. Aber die Hitze nervt, sagt er. Denn die Schauspielerinnen und Schauspieler proben die ganze Zeit zweimal täglich, am Vormittag und am Abend – und das bei diesen Rekord-Temperaturen. Am Freitagvormittag knistert noch dazu der Wind durch die riesigen Lautsprecher.

"Aber es entwickelt sich langsam", sagt der 77-Jährige und meint damit, dass sich alle mit den hitzigen Umständen arrangiert haben und dennoch fähig sind, Tag für Tag ihr Bestes zu geben. "Es gibt sehr viel zu organisieren", sagt der Profi auch mit Blick auf die Technik und macht klar, dass am Freitag noch nicht alles vollkommen ist.
Bis zum kommenden Montag soll dann die Bühne bis ins kleinste Detail ausgestaltet sein. Radestock: "Wir behalten alle die Nerven." Das tut übrigens gerade auch Professor Higgins vorn auf der Bühne, wo Eliza die ersten linguistischen Gehversuche unternimmt und rezitiert: "Es grünt so grün, wenn Spaniens Blüten blühen."
Karten gibt's unter Tel. (06453) 912470 (Ticket-Hotline) sowie in der Tourist-Information, Tel. (0971) 8048-4 44 und online unter www.badkissingen.de/events.