Seit Monaten beschäftigt es die kommunalen Entscheidungsträger der Region intensiv: Die Bundesnetzagentur und der Übertragungsnetzbetreiber TenneT haben, zusätzlich zum Entstehen des SuedLink, jetzt offenbar den Bau einer Freileitung P 43 (von Dipperz nach Grafenrheinfeld) fest im Visier. Die Trasse soll Ende Juli 2020 bereits an höchster Stelle erörtert und dann im Herbst 2020 vom Bundestag ins Bundesbedarfsplangesetz eingearbeitet werden, erläuterte Regierungsdirektor Thomas Schoenwald in der Bürgermeister-Dienstbesprechung am 17. Juli. Die endgültige Entscheidung des Bundes steht für Ende 2021 im Raum. Der springende Punkt: Die Trasse wird mitten durch die beiden Landkreise Bad Kissingen und Rhön-Grabfeld führen, aber auch die Landkreise Schweinfurt und Main-Spessart berühren.
Das Thema wurde bereits in verschiedenen Gremien besprochen. In der Bürgermeister-Dienstbesprechung am 17. Juli im Landratsamt wies Landrat Thomas Bold die 26 Gemeindechefs - vor allem die neu gewählten - auf die aktuelle Brisanz des Themas hin. Dass der Bau der "Fulda-Main-Leitung", wie die P 43 inzwischen genannt wird, nun auf höchster Ebene festgezurrt scheint, stellt für Bold eine völlige Abkehr vom Eckpunktepapier vom 1. Juli 2015 dar, in dem sich die Parteichefs von CDU, CSU und SPD bei einer Zusammenkunft in Berlin für einen "bürgerfreundlichen Netzausbau" ausgesprochen hatten.
Freileitung mitten durch die Rhön
Damals habe man angestrebt, den Einspeiseknotenpunkt Grafenrheinfeld - und damit die Landkreise, die von den Zuleitungen betroffen wären - zu entlasten, sagte Bold. Die Netzbetreiber sollten Alternativen entwickeln. Doch nun sei man auf die P 43 fixiert. Was Bold besonders fuchst: Dass man auch von ministerieller Seite aus stets anführe, dass die zu bauenden Leitungen ja alle unter der Erde geführt werden könnten. Für die Gleichstromtrasse SuedLink treffe das zu. Eine Wechselstromtrasse könne jedoch nicht komplett in die Erde verlegt werden, wusste der Kreischef aus den Gesprächen mit Fachleuten zu berichten.
Man könne zwar mal fünf Kilometer Kabel unter Tag verbauen, dann müsse die Leitung jedoch oberirdisch weitergeführt werden, so Bold weiter. Dies würde dort, wo die Leitung in die Erde führt und dort, wo sie wieder ans Tageslicht kommt, jeweils den Bau von mehreren kleinen Umspannwerken erfordern, was wiederum zusätzliche Eingriffe in die Natur zur Folge hätte. "Wollte man uns denn mit dem Versprechen der Erdverkabelung Sand in die Augen streuen?"
Noch mehr Strom nach Süden leiten?
Unklarheit besteht unter den Kommunalvertetern offenbar über die Notwendigkeit dieser 380-kV-Höchstspannungsleitung. Nach Angaben von Bad Brückenaus Bürgermeister Jochen Vogel habe man seinerzeit im Zuge der Diskussionen um den SuedLink von TenneTs Seite aus stets damit argumentiert, dass die Gleichstromtrasse "mehr Strom nach Süden, also nach Bayern" bringe als seinerzeit im Atomkraftwerk Grafenrheinfeld produziert wurde. Wozu also jetzt noch eine neue Wechselstromtrasse, die weiteren Strom in Umlauf bringt? Auch Bold verstand nicht, warum die Stromversorgung in Bayern, wie von TenneT angegeben, vom Bau der zusätzlichen P 43 abhängt. Seiner Ansicht nach ist die P 43 für die Stromversorgung Bayerns nicht ausschlaggebend.
Mit dem Strombedarf lasse sich jedoch schlecht argumentieren, weil es kein Berechnungsmodell für den gesamten Bedarf in Deutschland gibt, so Bold weiter. Aber bevor die P 43 kommt, könne man von TenneT den Nachweis einfordern, dass sämtliche anderen netztechnischen Maßnahmen, wie beispielsweise die Verstärkung des SuedLink, nicht für eine flächendeckende Versorgung ausreichen. "Wir sind nicht bereit, diesen rücksichtslosen Strom-Transport durch unsere Region einfach so zu akzeptieren", sagte Bold entschlossen und plädierte für eine "Stromführung nach Bedarf".
Auf die Entscheidung Einfluss nehmen
Bei einer nichtöffentlichen Informationsveranstaltung von TenneT im Hotel Frankenland in Bad Kissingen am 9. Juli 2020 waren Landrat Bold und die Bürgermeister über den Stand der Dinge informiert worden. Oberbürgermeister Dirk Vogel (Bad Kissingen) gab bei der Dienstbesprechung am 17. April seinen Eindruck wieder, als er die dort von TenneT präsentierte Karte mit der P 43 studierte: "Ich dachte, Leute, ihr seid hier am falschen Platz, wenn ihr das Projekt mit diesen 65 Meter hohen Masten in der Rhön durchziehen wollt."
"Wir haben jetzt noch die Chance, die P 43 zu verhindern, weil sie noch nicht im Bundesbedarfsplangesetz steht", sagte Bold und machte klar, dass man gemeinsam versuchen sollte, auf diese anstehende Entscheidung Einfluss zu nehmen. Er habe sich im bundesweit agierenden "Hamelner Bündnis", dem die von der Stromtrasse betroffenen Landkreise und auch etliche Kommunen angehören, dafür stark gemacht, eigens einen Ausschuss zur P 43 zu gründen, der das Genehmigungsverfahren kritisch begleiten soll. Zudem stünden demnächst noch Gespräche mit den in Bund und Freistaat zuständigen Ministern Peter Altmaier und Hubert Aiwanger an, denen die vier Landräte der Region ihr Anliegen bereits in Briefen unterbreiteten, sagte Bold.
Besondere Brisanz in 2020
Die Resonanz der Bevölkerung auf den tiefen Einschnitt in die Natur hält sich, zumindest was die Rhön-Landkreise angeht, in Grenzen. Und das, obwohl laut Bold sogar schon Unterschriftenlisten, unter anderem im Landratsamt und in etlichen Kommunen, gegen die P 43 auslagen. "Das Thema ist weit von den Leuten weg", stellte Bold nüchtern fest. Dennoch sei es genau jetzt, im Jahr 2020, relevant. "Wir müssen das Interesse der Bevölkerung wecken."
Etliche Bürgermeister wollen das Thema nun in ihren Gemeinderatssitzungen diskutieren. Bürgermeister Johannes Krumm (Elfershausen) forderte seine Kollegen dazu auf, TenneT gegenüber geschlossen aufzutreten. Zudem klang von Seiten des Landrats an, dass der Landkreis, zusammen mit den Gemeindechefs, noch eine Resolution zur P 43 verfassen will.
Möglicherweise wachen die Bürger auch erst auf, wenn der Korridor für die P 43 in der Rhön endgültig festgelegt ist? Für Regierungsdirektor Thomas Schoenwald ist jedenfalls klar: "Wenn erst einmal das Planfeststellungsverfahren eingeleitet wird, sorgt das in den Kommunen für Unruhe, weil dann klar wird, um welche Grundstücke es geht."