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WÜRZBURG
Autobahn-Schütze vor Gericht
Autobahnschütze gefasst       -  Der Mann, der jahrelang auf deutschen Autobahnen auf Autotransporter schoss, ist offenbar gefasst.
Foto: Norbert Schwarzott | Der Mann, der jahrelang auf deutschen Autobahnen auf Autotransporter schoss, ist offenbar gefasst.
esz/dpa
 |  aktualisiert: 22.06.2022 09:17 Uhr
Mehr als 700 Mal soll der Schütze vom Steuer aus andere Fahrzeuge auf der Autobahn ins Visier genommen haben. Ab Montag steht er in Würzburg vor Gericht. 169 Fälle sind angeklagt. 

Der gravierendste Fall war im November 2009: Die 40-jährige Petra war auf der A 3 unterwegs, als plötzlich ihre Seitenscheibe splitterte. Eine Kugel traf die Fahrerin im Nacken. Nach dem Schuss schrammt die Frau rund 100 Meter weit mit ihrem Skoda an der Mittelleitplanke entlang. Dann bleibt sie liegen. Später wird sie in einer Würzburger Klinik operiert.

Über fünf Jahre hielt die Serie von Schüssen auf Deutschlands Autobahnen die Lastwagenfahrer in Angst und Schrecken, die Polizei ermittelte auf Hochtouren. Erst mit einer beispiellosen Datensammlung kam das Bundeskriminalamt dem mutmaßlichen Rachefeldzug eines Fernfahrers auf die Spur. Im Juni vergangenen Jahres wurde der 58-jährige Täter dann dingfest gemacht.

Frustrierter Einzelgänger

Die große Frage lautet jetzt: Sind die Attacken als Mordversuche zu werten? So sieht es die Staatsanwaltschaft. Folgt man den Schilderungen von Oberstaatsanwalt Dietrich Geuder nach der Festnahme im vergangenen Jahr, so wähnte sich der «frustrierte Einzelgänger» auf der Autobahn im Krieg. Aus Ärger über rücksichtslose Kollegen soll er zur Waffe gegriffen haben, «eine Art Selbstjustiz», wie Geuder es damals nannte.

Der Mann habe erzählt, er sei vor Jahren einmal von einem Autotransporter abgedrängt worden, es habe fast einen Unfall gegeben.Mit seinen Pistolen mit selbstgebauten Schalldämpfern soll der Mann vor allem die Ladung von Autotransportern ins Visier genommen haben. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass er die Geschäftsfrau wohl versehentlich beschoss. Doch er habe heimtückisch gehandelt und einen Fehlschuss - und damit den möglichen Tod anderer - «zumindest billigend in Kauf genommen», hieß es bei Anklageerhebung.


Fotoserie

"Er hatte nie die Absicht, jemanden zu verletzen."

Die Verteidiger halten diese Argumentation für falsch. «Wir sehen den Tötungsvorsatz auch nicht in Form des Eventualvorsatzes, überhaupt nicht», betont Anwalt Guido Reitz. Sein Mandant habe Schüsse gestanden, auch wenn er sich natürlich nicht an jeden einzelnen Vorfall erinnern könne. «Was er von vorneherein gesagt hat, noch bevor er mit einem Anwalt gesprochen hatte: Er hatte nie die Absicht, jemanden zu verletzen. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.» Zur Motivation des Angeklagten will er sich vorab nicht äußern.


Außer der 40-jährigen Frau wurden bei einer weiteren Attacke zwei Männer von splitterndem Glas verletzt. Als Mordversuch sind auch drei Fälle angeklagt, in denen niemand zu Schaden kam, das Risiko aus Sicht der Ermittler aber besonders hoch war - zum Beispiel wegen dichten Verkehrs. Außerdem werden dem 58-Jährigen gefährliche Körperverletzung, unerlaubter Waffenbesitz, Sachbeschädigung und Eingriff in den Straßenverkehr zur Last gelegt.
 

Die Suche nach dem Geisterschützen war für die Fahnder auch deshalb eine harte Nuss, weil die Einschusslöcher oft erst am Zielort bemerkt wurden. So fiel es schwer, Tatort und -zeit zu ermitteln. Als der Unbekannte von einem Kleinkaliber auf eine Neun-Millimeter-Waffe gewechselt war, übernahm das BKA die Federführung und Präsident Jörg Ziercke richtete einen dramatischen Appell an die Öffentlichkeit: «Wir müssen diese Tatserie stoppen, bevor Schlimmeres passiert!» 

Mehr als 180 Nagelplättchen auf Straßen ausgelegt

Die Sonderkommission «Transporter» ließ an sieben Autobahnabschnitte automatisch Millionen Nummernschilder erfassen. Wenn Schüsse fielen, wurden die Kennzeichen aus der fraglichen Zeit ausgewertet - so zog sich die Schlinge um den mutmaßlichen Autobahnschützen schließlich zu. Das Vorgehen zog auch Kritik von Datenschützern auf sich.

Nun kann die Öffentlichkeit sich ein eigenes Bild des Mannes machen, der auch mehr als 180 Mal Nagelplättchen auf Straßen ausgelegt haben soll. Inwieweit er vor Gericht redet, ist noch unklar. «Grundsätzlich hat er sich geäußert, und diese Äußerungen werden zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden», sagt Verteidiger Reitz. Und macht klar: «Sobald es um den Mordversuch geht, werden wir uns zurückhaltend zeigen.» Für das umfangreiche Verfahren sind neun Verhandlungstage bis Mitte September angesetzt.

 
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