Es geht um zwei Euro. Läppische zwei Euro, möchte man meinen. Zwei Euro, für die der Durchschnittsdeutsche knapp sieben Minuten arbeiten muss. Zwei Euro, die man bisweilen schneller ausgegeben hat, als man das Wort „Butterpreis-Irrsinn“ aussprechen kann. Für eine Packung Chips zum Beispiel, die man eigentlich nicht braucht, aber trotzdem kauft.
Für zwei Kugeln Eis, die man sich an den letzten warmen Tagen gegönnt hat. Oder auch nur, wenn man sein Auto eine Stunde lang im Parkhaus einer Großstadt abstellen will. Seit das Päckchen Markenbutter aber 1,99 Euro kostet, scheint das richtig viel Geld zu sein. Von „astronomischen Preisen“ ist die Rede, vom „gelben Gold“.
Milchbauer aus Mainfranken: „Erst mal Löcher stopfen“
Das ist für den Vollerwerbslandwirt Anton Fischer aus Bad Königshofen (Lkr. Rhön-Grabfeld) nicht der entscheidende Aspekt. Der 63-Jährige war im vergangenen Jahr bei einem Milchpreis um die 25 Cent wirtschaftlich an seine Grenzen gestoßen. Jetzt bekommt er 38 Cent „und das ist langfristig okay so“. Ab 35 Cent könne man die Kosten decken und an Gewinn denken, sagt er.
Doch eitel Sonnenschein herrscht für Fischer nicht, denn mit dem aktuellen Profit „muss man jetzt erst mal Löcher stopfen“. Heißt: Die Talfahrt des Milchpreises in den vergangenen Monaten hat dazu geführt, dass Fischer auf seinem Hof Investitionen und Reparaturen aufschieben musste. Erst jetzt hat er wieder das Geld dafür.
Mehrere Standbeine haben beim Überleben geholfen
Die Misere hat Fischer nach eigenen Worten nur deshalb überstanden, weil er neben den 80 Milchkühen auch auf Ackerbau, Mastvieh, eine Beteiligung an einer Biogasanlage und Lohnarbeiten für andere Landwirte setzt. Diese breite Aufstellung hat er auch bei Kollegen in der Region beobachtet, so dass dort kein Hof allein wegen des niedrigen Milchpreises habe schließen müssen.
Fischer verkauft pro Jahr bis zu 600 000 Liter Milch nach Würzburg an die „Frankenland“. Das Unternehmen gehört zur Genossenschaft „Bayerische Milchindustrie“ in Landshut. Seine Milchmenge sei in den vergangenen Jahren gleichgeblieben, sagt der Bad Königshofener Landwirt. Unterm Strich habe sich die Lage entspannt. „Doch die nächste Krise kommt bestimmt.“
Frankenland hält sich bedeckt
Bei Frankenland hält man sich indes bedeckt, was den Butterpreis angeht. „Aus kartellrechtlichen Erwägungen“ habe man sich dazu entschieden, sich nicht im Detail zu äußern, teilt das Unternehmen mit und bleibt deshalb entsprechend vage: „Die gestiegenen Butterpreise liegen vor allem an der gestiegenen Nachfrage – der Trend geht weg von Light-Produkten und hin zu mehr Genuss.“ Die gestiegenen Preise seien marktüblich. Frankenland stellt nach eigenen Angaben Butter allein im Werk Zapfendorf (Lkr. Bamberg) her.
Jetzt gibt es 38 Cent fürs Kilo Milch
Dass noch nicht alles Gold ist, was glänzt, sieht Jürgen Speinle in Weisingen bei Dillingen so wie sein Kollege Fischer in Bad Königshofen. Auch Speinle bekommt 38 Cent für das Kilo Milch. „Für meinen Betrieb ist das ein Preis, mit dem ich arbeiten kann.“ Zuletzt hat er wieder investiert, ein bisschen mehr Platz für die 110 Kühe, neue Tränkbecken. Das geht erst jetzt wieder, da der Preis höher liegt. Speinle reagiert wie Kollege Fischer: „Ich muss die Löcher stopfen, die die letzten anderthalb Jahre gerissen haben.
“ Diese letzten anderthalb Jahre waren für Speinle nicht viel anders als für die anderen Milchbauern: Viel zu viel Milch war auf dem Markt, der Preis rutschte immer tiefer, durchschnittlich 25 Cent bekamen die Bauern vergangenen Sommer im Freistaat. Davon, dass Melken zum Verlustgeschäft wird, war die Rede, von einem neuen Höfesterben. In der Tat: Neun Prozent der Milchbauern haben seit Mai 2015 aufgehört.
Butterpreis jetzt fast dreimal so hoch wie vor einem Jahr
Jetzt ist Jürgen Speinle keiner, der jammern würde. Nicht über die Kapriolen des Wetters, nicht über die Arbeit, die ein Hof macht, auch nicht über manche Marktzusammenhänge, die ohnehin schwer zu erklären sind. Zum Beispiel, warum jetzt, nach dem Ende der Milchkrise, doch nicht alles wie geschmiert läuft. Wie es sein kann, dass das Päckchen Butter vor gut einem Jahr gerade einmal 70 Cent kostete – und jetzt doppelt bis dreimal so viel. Und warum dann nicht auch die Milch wieder mehr wert ist.
Dann öffnet Speinle seinen Ordner, zeigt Grafiken, spricht von globalen Märkten, vom Ölpreis und vom Dollarkurs, vom Fett- und Pulvermarkt, von den Abhängigkeiten zwischen Handel, Molkereien und Bauern. „Die Landwirte sind die Letzten in der Kette“, sagt er. „Und wir können den geringsten Druck auf die Preise ausüben.“
Bleibt die Frage: Was ist ein „normaler Preis“ für die Milch?
Nun ist das mit dem Butterpreis ohnehin so eine Sache – nicht nur, weil er in den letzten Monaten bisweilen schneller in die Höhe geschossen ist als der Dax. Vor allem ist er das, was Handelsexperten wie Andreas Gorn vom Agrarinformationsdienst AMI einen „Eckpreis“ nennen – einer, den die Konsumenten im Kopf haben. Da weiß der aufmerksame Kunde noch, dass er im Supermarkt mal 65 Cent für die Deutsche Markenbutter bezahlt hat. Und ist sich sicher, dass es noch nie so viel war wie jetzt.
Was ein normaler Preis ist? Schwer zu sagen. In Umfragen heißt es zwar, die Mehrheit wäre bereit, mehr für die Butter zu bezahlen, solange das Geld beim Bauern ankommt. Die Realität aber sieht anders aus. Allein im ersten Halbjahr haben die Deutschen zehn Prozent weniger Butter gegessen. Andere berichten davon, dass Kunden bei Sonderangeboten größere Mengen horten und einfrieren.
Ein Beispiel aus dem Oberallgäu
Wer das Butter-Preis-Phänomen ganz verstehen will, muss ins Oberallgäu fahren, nach Kimratshofen. Am Ortsrand erhebt sich das Werk von Allgäu Milch Käse (AMK). Geschäftsführer Hubert Dennenmoser erzählt von seinem „Projekt Butter“, das er 2009 hier startete, und davon, dass kaum jemand an den Erfolg geglaubt habe. Das mag auch daran liegen, dass die Butterproduktion in Deutschland auf wenige Hersteller konzentriert ist. Und: Im Vergleich zu anderen Milchprodukten ist es eine Nische.
Nur 1,5 Prozent der Rohmilch geht hierzulande in Butter, mehr als die Hälfte wird zu Käse verarbeitet. Heute wird in Kimratshofen in erster Linie Käse unter der Marke „Allmikäs“ produziert, aber eben auch 7600 Tonnen Butter im Jahr. Dennenmoser steht neben der Butterungsmaschine, wo der Rahm in die Trommel läuft und mit 700 bis 800 Umdrehungen geschlagen wird, bis sich Butterkörner bilden. „Das ist nichts anderes als ein großer Mixer“, erklärt der 59-Jährige und zeigt auf den nächsten Behälter, in dem die Masse geknetet und die Buttermilch abgeschieden wird.
Ein Bauer, der die Nische für sich entdeckt hat
Ein paar Minuten später laufen die gelben Blöcke vom Band, verpackt in 50 Versionen: Standardpäckchen zu 250 Gramm, 25-Kilo-Blöcke für Bäckereien, Kleinpackungen für Krankenhäuser. Allgäuer Butter oder die Handelsmarke für den Discounter. Sauerrahm- oder Süßrahmbutter. Bio oder Heumilch. Dennenmoser hat sich über die Jahre Nischen gesucht: „Ich mach das, was die anderen Molkereien nicht machen wollen.“
Die letzten Monate, als der Butterpreis immer weiter nach oben kletterte – „das war ein Wahnsinn“. Weil man als Molkerei nur noch dem Markt hinterherhechele. Weil sie in Kimratshofen verbuttert haben, was ging – kein Wunder, wenn die Nachfrage so hoch und der Preis so gut ist. Doch das hat seine Grenzen, erklärt der Molkereimeister und muss noch einmal ganz von vorne anfangen – bei der Milch, die im Werk angeliefert wird, und ihren Bestandteilen: Wasser, Eiweiß, Laktose – und eben Fett, das man für die Butter braucht. Wer mehr Butter produzieren will, braucht mehr Milch und muss folglich auch die anderen Stoffe verarbeiten und absetzen.
Der Markt für Eiweiß liegt am Boden
Gute Preise aber erzielt man derzeit nur für das Fett, der Markt für Eiweiß dagegen, das als Magermilchpulver exportiert wird, liegt am Boden. Deswegen, sagt Dennenmoser, könne man die Produktion nicht einfach steigern. Und deswegen geht das Milchgeld, das die Molkerei den Bauern zahlt, nicht weiter nach oben. 39 Cent pro Kilo Milch bekommen die Bauern, die an AMK liefern, derzeit. Vor gut einem Jahr, inmitten der Milchkrise, waren es 24,5 Cent.
Was der Bundesverband der Milchviehhalter meint
Einige glauben, dass es mit den Preisen schnell wieder bergab gehen könnte. Hans Foldenauer, der Sprecher des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter, etwa. Was ihm Sorgen macht, sind die jüngsten Statistiken. Die zeigen, dass die Bauern nun, da die Preise gestiegen sind, in den letzten Wochen auch wieder mehr Milch produziert haben. „Meines Erachtens steuern wir sehenden Auges auf die nächste Milchmarktkrise zu“, sagt Foldenauer. Wenn die Preise wieder bröckelten, werde es für viele Betriebe, die die jüngste Krise gerade so überstanden haben, eng. So schwarz will Hans-Jürgen Seufferlein es nicht sehen. Der Geschäftsführer des Milcherzeugerverbands Bayern sagt: „Die Spitze am Buttermarkt ist erreicht.“ Es komme jetzt darauf an, dass die Bauern gegensteuern.
Butterpreis fällt wohl bald wieder
Und der Kunde im Supermarkt? Kann er sich möglicherweise darüber freuen, dass die Butter ein bisschen günstiger wird? Jetzt, vor Weihnachten, wo man viel Butter für Plätzchen und Stollen braucht? Es sieht ganz danach aus. Die Lebensmitteldiscounter Norma und Aldi-Nord haben schon wieder Butterpreise von 1,59 Euro pro 250-Gramm-Päckchen angekündigt. Dafür werden andere Produkte teurer wie Schlagsahne, Sprühsahne und Milch selbst. Aber eigentlich ist das doch egal: Schließlich verbraucht der Durchschnittsdeutsche gerade mal sechs Kilo Butter im Jahr – macht zwei Päckchen im Monat. Was sind da schon zwei Euro?