Ein Unternehmer hat ein Problem, also holt er sich einen kompetenten Mitarbeiter und der löst das dann. Ein anderer Unternehmer will ein neues Produkt auf den Markt bringen, also holt er sich einen kompetenten Mitarbeiter und der erfindet dann was. Nein, so einfach ist das Leben nicht. Wenn Unternehmer heute den Stein der Weisen finden wollen, lösen sie gerne umfangreiche Prozesse in ihrem Hause aus. Schnell werden Arbeitsgruppen gebildet, es wird viel diskutiert.
Eigentlich ist Design Thinking nicht neu
Eine neue Welle geht in dieser Hinsicht durch die Firmenlandschaft: Design Thinking. Wobei die Sache so neu nicht ist, denn diese Team-Methode zum Finden von Lösungen gibt es schon seit gut zehn Jahren. Doch erst jetzt breitet sie sich hierzulande intensiv aus. Was in Mainfranken an der Tatsache zu erkennen ist, dass das neue Zentrum für digitale Innovationen (ZDI) in Würzburg eigens zwei Design-Thinking-Experten in seine Belegschaft aufgenommen hat.
Michael Sabah und Tobias Greissing heißen diese Experten. Sie sollen helfen, die Methode in Betrieben zu etablieren. Bedarf ist offenbar da: Mittlerweile suchten Unternehmen händeringend nach Design-Thinking-Coaches, haben Sabah und Greissing beobachtet. Diese Coaches sind speziell geschulte Fachkräfte, die die firmeninternen Teams beim Design Thinking entsprechend leiten.
Es geht um „erfinderisches Denken“
Agilität, Brainstorming und wie sie alle heißen: Es gibt mittlerweile viele und sich oft ähnelnde Vorgehensweisen, wie Arbeitsgruppen Probleme lösen und auf neue Wege stoßen können. Die Stärke von Design Thinking sei „erfinderisches Denken“, sagt Sabah. Dabei stehe eines unverrückbar im Mittelpunkt: Wie denkt der Kunde? Oder, wie man in der Fachliteratur lesen kann: Design Thinking „ist das empathische Eintauchen in die Lebenswelt anderer Menschen“.
ZDI in Würzburg hat sich eingeklinkt
Sabah ist neben seiner Arbeit für das Würzburger ZDI in Fürth freiberuflicher Berater in Sachen Design Thinking. Um das mit dem Denken des Kunden zu verstehen, fällt ihm ein schwäbischer Hersteller von Ratschen ein. Irgendwann sei dieser Firma aufgefallen, so Sabah, dass die Ratschen wegen häufiger Mängel beanstandet wurden. Also stellte sich die Frage, wo der Fehler liegt und wie die Ratschen optimaler werden können. Daraufhin schwärmte das dafür gebildete Design-Thinking-Team aus und fand heraus, dass die Kunden die großen Ratschen oft als Hammer einsetzen, was dann mitunter zu Defekten führte. Doch es wurde auch klar: Der Kunde will Ratsche und Hammer in einem – das neue Produkt war geboren.
Beispiele, was mit Design Thinking entstanden ist
Anderes Beispiel: die Packstationen der Post-Tochter DHL. Sie wurden Sabah zufolge vor einigen Jahren im Rahmen eines Design-Thinking-Prozesses entwickelt, weil dem Unternehmen bewusst wurde: Der Kunde ist häufig genervt, dass die Postfiliale gerade dann geschlossen ist, wenn er sein Paket abschicken oder abholen will. Also gab man dem Kunden eine Möglichkeit, dies zu allen möglichen Zeiten tun zu können – an den Automaten eben.
Diese Beispiele zeigen, was Design Thinking den Unternehmen in erster Linie bringen soll: innovative Produkte oder Dienstleistungen mit Erfolg im Markt unterbringen – immer aus der Sicht des Kunden gedacht. Und das wiederum in Teams, in denen es keine Grenzen im Denken und keine Scheu vor Neuem gibt: „Denn der größte Feind der Kreativität ist die Angst“, sagt Sabah.
In Mainfranken läuft schon ein bisschen was
Was so pfiffig und erfolgreich klingt, geht in der mainfränkischen Wirtschaft „jetzt so langsam los“, weiß Sabahs Kollege Greissing. Das zeigte sich zuletzt beim Würzburger Gründerstammtisch vor wenigen Tagen, wo die beiden Experten über Design Thinking sprachen. Von Mai bis Juli liefen zudem in Würzburg, Schweinfurt und Bad Kissingen vom ZDI organisierte Tagesseminare zum Thema.
Indes zieht die Methode in Deutschland Kreise. Eines der Zentren ist die Universität in Potsdam, wo ein nach SAP-Mitgründer Hasso Plattner benanntes Institut für Softwaresystemtechnik seit 2007 eine „School of Design Thinking“ hat. Es ist nach eigenen Angaben die einzige Einrichtung dieser Art in Europa und hat hierzulande eine Vordenkerfunktion. Plattner gilt als ein Vorreiter für Design Thinking in Deutschland.
In Berlin geht was
Die Methode ist in Metropolen wie etwa Berlin viel weiter verbreitet ist als in der vom Mittelstand geprägten Wirtschaft Mainfrankens. Das jedenfalls hat Tobias Greissing beobachtet. Der gelernte Industriedesigner aus Wittighausen (Main-Tauber-Kreis) weiß auch, warum das so ist: Der klassische Mittelständler „tut sich sehr schwer mit Design Thinking“. Doch selbst für den Bäcker, Metzger oder Maschinenbauer um die Ecke sei die Methode für das Finden von Innovationen sinnvoll – und das nicht erst, wenn die Geschäfte schlecht laufen. „Denn dann ist es zu spät.“ Greissing sieht im Handwerk gerade die Innungen als gute Adressen, um Design Thinking in die Unternehmen zu tragen.
Für den Durchbruch fehlt in den Firmen wohl noch der Leidensdruck
Kollege Sabah hat einen anderen Effekt entdeckt: Momentan geht es den Firmen außerordentlich gut – zu gut, so dass die Chefs bei all den vielen Aufträgen oft keinen Kopf und keine Zeit mehr für fundamentale Fragen rund um ihren Betrieb hätten. Also auch keine Zeit für den Blick, wo Gefahren lauern und wo eine Innovation notwendig wäre. Sich in diesen Zeiten des wirtschaftlichen Brummens mit Design Thinking auseinanderzusetzen, dazu „fehlt offenbar noch der Leidensdruck“, meint Sabah.
Die 6 Phasen von Design Thinking
Design Thinking ist kein Durcheinander von Ideen der Teammitglieder, sondern eine in sechs Phasen eingeteilte Vorgehensweise. Ein Design-Thinking-Team hat idealerweise vier bis sechs Mitglieder, ein eigenes Budget und arbeitet in einem eigenen Raum.
Phase 1 – Verstehen:
Angenommen, Kugelschreiberhersteller Mustermann will ein neues Modell auf den Markt bringen. In Phase 1 stellt sich die Frage: Was braucht der Markt? Und: Was gibt es dort schon? Genau dem geht das Design-Thinking-Team nach: Es untersucht den Markt.
Phase 2 – Beobachten:
In dieser Phase schauen sich die Teammitglieder im Alltag um: Wie nutzen Menschen in allen möglichen Lebenslagen einen Kugelschreiber im Allgemeinen und die Produkte von Mustermann im Besonderen? Haben diese Nutzer vielleicht Probleme mit den Kugelschreibern? Die Ergebnisse werden gesammelt.
Phase 3 – Synthese:
Diese Stufe ist eine Zusammenfassung der Phasen 1 und 2. Die Teammitglieder tragen ihre Beobachtungen vor und ziehen erste Schlussfolgerungen. Auch versucht das Team, in Form von Schlagworten oder Oberthemen einen ersten roten Faden hin zum neuen Kugelschreibermodell zu finden. Oder es ergibt sich, dass das Team erkennt, dass der Markt gar kein neues Kugelschreibermodell braucht. Oder etwas völlig anderes, was mit einem Kugelschreiber gar nichts zu tun hat, von Mustermann aber trotzdem angeboten werden könnte.
Phase 4 – Ideen:
Rund um das, was Phase 3 gebracht hat, werden nun Ideen gesammelt. Dazu wird gerne die Methode Brainstorming verwendet. Konkrete Leitfragen – durchaus auch mit ungewöhnlicher Richtung („Welche Art von Kugelschreiber wäre richtig sinnlos?“) – sollen die Ideen sprudeln lassen. Die Teammitglieder kleben Zettel mit ihren Ideen an die Wand, später werden die Fragen zu bestimmten Aspekten gebündelt.
Phase 5 – Prototypen:
Die Teammitglieder basteln: Wie aus den Ideen heraus der neue Kugelschreiber aussehen kann, sollen diese Prototypen zeigen. Sie dürfen aus Pappe oder ähnlichem Material sein. Sogar Rollenspiele oder andere Formen sind erlaubt.
Phase 6 – Testen:
Das Team schwärmt mit den Prototypen aus: Zum Beispiel durch spontane Umfragen unter Passanten soll herausgefunden werden, was die Leute auf der Straße vom neuen Kugelschreiber halten. Es kann passieren, dass gerade die Phasen 5 und 6 mehrfach wiederholt werden müssen, bis letztendlich feststeht, wie der Kugelschreiber von morgen aussieht. Diese Erkenntnis fließt dann in die Produktion ein.